Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Oken's Vorstellung von den Jnfusorien (Zellentheorie).
Recht, indem er mehr ahnend, als wissend den Satz aussprach: "Alles
Organische ist aus Schleim hervorgegangen, ist Nichts als verschieden
gestalteter Schleim. Dieser Urschleim ist im Meere im Verfolge der
Planeten-Entwickelung aus anorganischer Materie entstanden."

Mit der Urschleimtheorie Oken's, welche wesentlich mit der
neuerlichst erst fest begründeten, äußerst wichtigen Protoplasma-
theorie
zusammenfällt, steht eine andere, eben so großartige Jdee
desselben Naturphilosophen in engem Zusammenhang. Oken be-
hauptete nämlich schon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere
entstehende Urschleim alsbald die Form von mikroskopisch kleinen Bläs-
chen annehme, welche er Mile oder Jnfusorien nannte. "Die
organische Welt hat zu ihrer Basis eine Unendlichkeit von solchen
Bläschen." Die Bläschen entstehen aus den ursprünglichen festflüssi-
gen Urschleimkugeln dadurch, daß die Peripherie derselben sich verdich-
tet. Die einfachsten Organismen sind einfache solche Bläschen oder
Jnfusorien. Jeder höhere Organismus, jedes Thier und jede Pflanze
vollkommnerer Art ist weiter Nichts als "eine Zusammenhäufung (Syn-
thesis) von solchen infusorialen Bläschen, die durch verschiedene Com-
binationen sich verschieden gestalten und so zu höheren Organismen
aufwachsen". Sie brauchen nun wiederum das Wort Bläschen oder
Jnfusorium nur durch das Wort Zelle zu ersetzen, um zu einer der
größten biologischen Theorien unseres Jahrhunderts, zur Zellen-
theorie
zu gelangen. Schleiden und Schwann haben zuerst
vor dreißig Jahren den empirischen Beweis geliefert, daß alle Orga-
nismen entweder einfache Zellen oder Zusammenhäufungen (Synthesen)
von solchen Zellen sind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach-
gewiesen, daß der wesentlichste (und bisweilen der einzige!) Bestand-
theil der echten Zelle das Protoplasma (der Urschleim) ist. Die
Eigenschaften, die Oken seinen Jnfusorien zuschreibt, sind eben die
Eigenschaften der Zellen, die Eigenschaften der elementaren Jndivi-
duen, durch deren Zusammenhäufung, Verbindung und mannichfal-
tige Ausbildung der Bau und die Lebenserscheinungen der höheren
Organismen allein zu Stande kommen.

Oken’s Vorſtellung von den Jnfuſorien (Zellentheorie).
Recht, indem er mehr ahnend, als wiſſend den Satz ausſprach: „Alles
Organiſche iſt aus Schleim hervorgegangen, iſt Nichts als verſchieden
geſtalteter Schleim. Dieſer Urſchleim iſt im Meere im Verfolge der
Planeten-Entwickelung aus anorganiſcher Materie entſtanden.“

Mit der Urſchleimtheorie Oken’s, welche weſentlich mit der
neuerlichſt erſt feſt begruͤndeten, aͤußerſt wichtigen Protoplasma-
theorie
zuſammenfaͤllt, ſteht eine andere, eben ſo großartige Jdee
deſſelben Naturphiloſophen in engem Zuſammenhang. Oken be-
hauptete naͤmlich ſchon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere
entſtehende Urſchleim alsbald die Form von mikroſkopiſch kleinen Blaͤs-
chen annehme, welche er Mile oder Jnfuſorien nannte. „Die
organiſche Welt hat zu ihrer Baſis eine Unendlichkeit von ſolchen
Blaͤschen.“ Die Blaͤschen entſtehen aus den urſpruͤnglichen feſtfluͤſſi-
gen Urſchleimkugeln dadurch, daß die Peripherie derſelben ſich verdich-
tet. Die einfachſten Organismen ſind einfache ſolche Blaͤschen oder
Jnfuſorien. Jeder hoͤhere Organismus, jedes Thier und jede Pflanze
vollkommnerer Art iſt weiter Nichts als „eine Zuſammenhaͤufung (Syn-
theſis) von ſolchen infuſorialen Blaͤschen, die durch verſchiedene Com-
binationen ſich verſchieden geſtalten und ſo zu hoͤheren Organismen
aufwachſen“. Sie brauchen nun wiederum das Wort Blaͤschen oder
Jnfuſorium nur durch das Wort Zelle zu erſetzen, um zu einer der
groͤßten biologiſchen Theorien unſeres Jahrhunderts, zur Zellen-
theorie
zu gelangen. Schleiden und Schwann haben zuerſt
vor dreißig Jahren den empiriſchen Beweis geliefert, daß alle Orga-
nismen entweder einfache Zellen oder Zuſammenhaͤufungen (Syntheſen)
von ſolchen Zellen ſind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach-
gewieſen, daß der weſentlichſte (und bisweilen der einzige!) Beſtand-
theil der echten Zelle das Protoplasma (der Urſchleim) iſt. Die
Eigenſchaften, die Oken ſeinen Jnfuſorien zuſchreibt, ſind eben die
Eigenſchaften der Zellen, die Eigenſchaften der elementaren Jndivi-
duen, durch deren Zuſammenhaͤufung, Verbindung und mannichfal-
tige Ausbildung der Bau und die Lebenserſcheinungen der hoͤheren
Organismen allein zu Stande kommen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099" n="78"/><fw place="top" type="header">Oken&#x2019;s Vor&#x017F;tellung von den Jnfu&#x017F;orien (Zellentheorie).</fw><lb/>
Recht, indem er mehr ahnend, als wi&#x017F;&#x017F;end den Satz aus&#x017F;prach: &#x201E;Alles<lb/>
Organi&#x017F;che i&#x017F;t aus Schleim hervorgegangen, i&#x017F;t Nichts als ver&#x017F;chieden<lb/>
ge&#x017F;talteter Schleim. Die&#x017F;er Ur&#x017F;chleim i&#x017F;t im Meere im Verfolge der<lb/>
Planeten-Entwickelung aus anorgani&#x017F;cher Materie ent&#x017F;tanden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Mit der Ur&#x017F;chleimtheorie <hi rendition="#g">Oken&#x2019;s,</hi> welche we&#x017F;entlich mit der<lb/>
neuerlich&#x017F;t er&#x017F;t fe&#x017F;t begru&#x0364;ndeten, a&#x0364;ußer&#x017F;t wichtigen <hi rendition="#g">Protoplasma-<lb/>
theorie</hi> zu&#x017F;ammenfa&#x0364;llt, &#x017F;teht eine andere, eben &#x017F;o großartige Jdee<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben Naturphilo&#x017F;ophen in engem Zu&#x017F;ammenhang. <hi rendition="#g">Oken</hi> be-<lb/>
hauptete na&#x0364;mlich &#x017F;chon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere<lb/>
ent&#x017F;tehende Ur&#x017F;chleim alsbald die Form von mikro&#x017F;kopi&#x017F;ch kleinen Bla&#x0364;s-<lb/>
chen annehme, welche er <hi rendition="#g">Mile oder Jnfu&#x017F;orien</hi> nannte. &#x201E;Die<lb/>
organi&#x017F;che Welt hat zu ihrer Ba&#x017F;is eine Unendlichkeit von &#x017F;olchen<lb/>
Bla&#x0364;schen.&#x201C; Die Bla&#x0364;schen ent&#x017F;tehen aus den ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen fe&#x017F;tflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
gen Ur&#x017F;chleimkugeln dadurch, daß die Peripherie der&#x017F;elben &#x017F;ich verdich-<lb/>
tet. Die einfach&#x017F;ten Organismen &#x017F;ind einfache &#x017F;olche Bla&#x0364;schen oder<lb/>
Jnfu&#x017F;orien. Jeder ho&#x0364;here Organismus, jedes Thier und jede Pflanze<lb/>
vollkommnerer Art i&#x017F;t weiter Nichts als &#x201E;eine Zu&#x017F;ammenha&#x0364;ufung (Syn-<lb/>
the&#x017F;is) von &#x017F;olchen infu&#x017F;orialen Bla&#x0364;schen, die durch ver&#x017F;chiedene Com-<lb/>
binationen &#x017F;ich ver&#x017F;chieden ge&#x017F;talten und &#x017F;o zu ho&#x0364;heren Organismen<lb/>
aufwach&#x017F;en&#x201C;. Sie brauchen nun wiederum das Wort Bla&#x0364;schen oder<lb/>
Jnfu&#x017F;orium nur durch das Wort <hi rendition="#g">Zelle</hi> zu er&#x017F;etzen, um zu einer der<lb/>
gro&#x0364;ßten biologi&#x017F;chen Theorien un&#x017F;eres Jahrhunderts, zur <hi rendition="#g">Zellen-<lb/>
theorie</hi> zu gelangen. <hi rendition="#g">Schleiden</hi> und <hi rendition="#g">Schwann</hi> haben zuer&#x017F;t<lb/>
vor dreißig Jahren den empiri&#x017F;chen Beweis geliefert, daß alle Orga-<lb/>
nismen entweder einfache Zellen oder Zu&#x017F;ammenha&#x0364;ufungen (Synthe&#x017F;en)<lb/>
von &#x017F;olchen Zellen &#x017F;ind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach-<lb/>
gewie&#x017F;en, daß der we&#x017F;entlich&#x017F;te (und bisweilen der einzige!) Be&#x017F;tand-<lb/>
theil der echten Zelle das Protoplasma (der Ur&#x017F;chleim) i&#x017F;t. Die<lb/>
Eigen&#x017F;chaften, die <hi rendition="#g">Oken</hi> &#x017F;einen Jnfu&#x017F;orien zu&#x017F;chreibt, &#x017F;ind eben die<lb/>
Eigen&#x017F;chaften der Zellen, die Eigen&#x017F;chaften der elementaren Jndivi-<lb/>
duen, durch deren Zu&#x017F;ammenha&#x0364;ufung, Verbindung und mannichfal-<lb/>
tige Ausbildung der Bau und die Lebenser&#x017F;cheinungen der ho&#x0364;heren<lb/>
Organismen allein zu Stande kommen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0099] Oken’s Vorſtellung von den Jnfuſorien (Zellentheorie). Recht, indem er mehr ahnend, als wiſſend den Satz ausſprach: „Alles Organiſche iſt aus Schleim hervorgegangen, iſt Nichts als verſchieden geſtalteter Schleim. Dieſer Urſchleim iſt im Meere im Verfolge der Planeten-Entwickelung aus anorganiſcher Materie entſtanden.“ Mit der Urſchleimtheorie Oken’s, welche weſentlich mit der neuerlichſt erſt feſt begruͤndeten, aͤußerſt wichtigen Protoplasma- theorie zuſammenfaͤllt, ſteht eine andere, eben ſo großartige Jdee deſſelben Naturphiloſophen in engem Zuſammenhang. Oken be- hauptete naͤmlich ſchon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere entſtehende Urſchleim alsbald die Form von mikroſkopiſch kleinen Blaͤs- chen annehme, welche er Mile oder Jnfuſorien nannte. „Die organiſche Welt hat zu ihrer Baſis eine Unendlichkeit von ſolchen Blaͤschen.“ Die Blaͤschen entſtehen aus den urſpruͤnglichen feſtfluͤſſi- gen Urſchleimkugeln dadurch, daß die Peripherie derſelben ſich verdich- tet. Die einfachſten Organismen ſind einfache ſolche Blaͤschen oder Jnfuſorien. Jeder hoͤhere Organismus, jedes Thier und jede Pflanze vollkommnerer Art iſt weiter Nichts als „eine Zuſammenhaͤufung (Syn- theſis) von ſolchen infuſorialen Blaͤschen, die durch verſchiedene Com- binationen ſich verſchieden geſtalten und ſo zu hoͤheren Organismen aufwachſen“. Sie brauchen nun wiederum das Wort Blaͤschen oder Jnfuſorium nur durch das Wort Zelle zu erſetzen, um zu einer der groͤßten biologiſchen Theorien unſeres Jahrhunderts, zur Zellen- theorie zu gelangen. Schleiden und Schwann haben zuerſt vor dreißig Jahren den empiriſchen Beweis geliefert, daß alle Orga- nismen entweder einfache Zellen oder Zuſammenhaͤufungen (Syntheſen) von ſolchen Zellen ſind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach- gewieſen, daß der weſentlichſte (und bisweilen der einzige!) Beſtand- theil der echten Zelle das Protoplasma (der Urſchleim) iſt. Die Eigenſchaften, die Oken ſeinen Jnfuſorien zuſchreibt, ſind eben die Eigenſchaften der Zellen, die Eigenſchaften der elementaren Jndivi- duen, durch deren Zuſammenhaͤufung, Verbindung und mannichfal- tige Ausbildung der Bau und die Lebenserſcheinungen der hoͤheren Organismen allein zu Stande kommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/99
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/99>, abgerufen am 22.11.2024.