Oken's Vorstellung vom Urschleim (Protoplasmatheorie).
eine Anzahl von werthvollen und tiefen Gedanken. Einige von diesen Jdeen haben erst in neuerer Zeit, viele Jahre nachdem sie von ihm ausgesprochen wurden, allmählich wissenschaftliche Geltung erlangt. Jch will Jhnen hier von diesen, fast prophetisch ausgesprochenen Ge- danken nur zwei anführen, welche zugleich zu der Entwickelungsthe- orie in der innigsten Beziehung stehen.
Eine der wichtigsten Theorien Oken's, welche früherhin sehr verschrieen, und namentlich von den sogenannten exakten Empirikern auf das stärkste bekämpft wurde, ist die Jdee, daß die Lebenserschei- nungen aller Organismen von einem gemeinschaftlichen chemischen Substrate ausgehen, gewissermaßen einem allgemeinen, einfachen "Le- bensstoff", welchen er mit dem Namen "Urschleim" belegte. Er dachte sich darunter, wie der Name sagt, eine schleimartige Substanz, eine Eiweißverbindung, die in festflüssigem Aggregatzustande befind- lich ist, und das Vermögen besitzt, durch Anpassung an verschiedene Existenzbedingungen der Außenwelt, und in Wechselwirkung mit deren Materie, die verschiedensten Formen hervorzubringen. Nun brauchen Sie bloß das Wort Urschleim in das Wort Protoplasma oder Zellstoff umzusetzen, um zu einer der größten Errungenschaften zu gelangen, welche wir den mikroskopischen Forschungen der letzten sieben Jahre, insbesondere denjenigen von Max Schultze, verdanken. Durch diese Untersuchungen hat sich herausgestellt, daß in allen leben- digen Naturkörpern ohne Ausnahme eine gewisse Menge einer schlei- migen, eiweißartigen Materie in festflüssigem Dichtigkeitszustande sich vorfindet, und daß diese stickstoffhaltige Kohlenstoffverbindung aus- schließlich der ursprüngliche Träger und Bewirker aller Lebenserschei- nungen und aller organischen Formbildung ist. Alle anderen Stoffe, welche außerdem noch im Organismus vorkommen, werden erst von diesem activen Lebensstoff gebildet, oder von außen aufgenommen. Das organische Ei, die ursprüngliche Zelle, aus welcher fast jedes Thier und jede Pflanze zuerst entsteht, besteht wesentlich nur aus einem runden Klümpchen solcher eiweißartigen Materie. Auch der Eidotter ist nur Eiweiß, mit Fettkörnchen gemengt. Oken hatte also wirklich
Oken’s Vorſtellung vom Urſchleim (Protoplasmatheorie).
eine Anzahl von werthvollen und tiefen Gedanken. Einige von dieſen Jdeen haben erſt in neuerer Zeit, viele Jahre nachdem ſie von ihm ausgeſprochen wurden, allmaͤhlich wiſſenſchaftliche Geltung erlangt. Jch will Jhnen hier von dieſen, faſt prophetiſch ausgeſprochenen Ge- danken nur zwei anfuͤhren, welche zugleich zu der Entwickelungsthe- orie in der innigſten Beziehung ſtehen.
Eine der wichtigſten Theorien Oken’s, welche fruͤherhin ſehr verſchrieen, und namentlich von den ſogenannten exakten Empirikern auf das ſtaͤrkſte bekaͤmpft wurde, iſt die Jdee, daß die Lebenserſchei- nungen aller Organismen von einem gemeinſchaftlichen chemiſchen Subſtrate ausgehen, gewiſſermaßen einem allgemeinen, einfachen „Le- bensſtoff“, welchen er mit dem Namen „Urſchleim“ belegte. Er dachte ſich darunter, wie der Name ſagt, eine ſchleimartige Subſtanz, eine Eiweißverbindung, die in feſtfluͤſſigem Aggregatzuſtande befind- lich iſt, und das Vermoͤgen beſitzt, durch Anpaſſung an verſchiedene Exiſtenzbedingungen der Außenwelt, und in Wechſelwirkung mit deren Materie, die verſchiedenſten Formen hervorzubringen. Nun brauchen Sie bloß das Wort Urſchleim in das Wort Protoplasma oder Zellſtoff umzuſetzen, um zu einer der groͤßten Errungenſchaften zu gelangen, welche wir den mikroſkopiſchen Forſchungen der letzten ſieben Jahre, insbeſondere denjenigen von Max Schultze, verdanken. Durch dieſe Unterſuchungen hat ſich herausgeſtellt, daß in allen leben- digen Naturkoͤrpern ohne Ausnahme eine gewiſſe Menge einer ſchlei- migen, eiweißartigen Materie in feſtfluͤſſigem Dichtigkeitszuſtande ſich vorfindet, und daß dieſe ſtickſtoffhaltige Kohlenſtoffverbindung aus- ſchließlich der urſpruͤngliche Traͤger und Bewirker aller Lebenserſchei- nungen und aller organiſchen Formbildung iſt. Alle anderen Stoffe, welche außerdem noch im Organismus vorkommen, werden erſt von dieſem activen Lebensſtoff gebildet, oder von außen aufgenommen. Das organiſche Ei, die urſpruͤngliche Zelle, aus welcher faſt jedes Thier und jede Pflanze zuerſt entſteht, beſteht weſentlich nur aus einem runden Kluͤmpchen ſolcher eiweißartigen Materie. Auch der Eidotter iſt nur Eiweiß, mit Fettkoͤrnchen gemengt. Oken hatte alſo wirklich
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Oken’s Vorſtellung vom Urſchleim (Protoplasmatheorie).
eine Anzahl von werthvollen und tiefen Gedanken. Einige von dieſen
Jdeen haben erſt in neuerer Zeit, viele Jahre nachdem ſie von ihm
ausgeſprochen wurden, allmaͤhlich wiſſenſchaftliche Geltung erlangt.
Jch will Jhnen hier von dieſen, faſt prophetiſch ausgeſprochenen Ge-
danken nur zwei anfuͤhren, welche zugleich zu der Entwickelungsthe-
orie in der innigſten Beziehung ſtehen.
Eine der wichtigſten Theorien Oken’s, welche fruͤherhin ſehr
verſchrieen, und namentlich von den ſogenannten exakten Empirikern
auf das ſtaͤrkſte bekaͤmpft wurde, iſt die Jdee, daß die Lebenserſchei-
nungen aller Organismen von einem gemeinſchaftlichen chemiſchen
Subſtrate ausgehen, gewiſſermaßen einem allgemeinen, einfachen „Le-
bensſtoff“, welchen er mit dem Namen „Urſchleim“ belegte. Er
dachte ſich darunter, wie der Name ſagt, eine ſchleimartige Subſtanz,
eine Eiweißverbindung, die in feſtfluͤſſigem Aggregatzuſtande befind-
lich iſt, und das Vermoͤgen beſitzt, durch Anpaſſung an verſchiedene
Exiſtenzbedingungen der Außenwelt, und in Wechſelwirkung mit deren
Materie, die verſchiedenſten Formen hervorzubringen. Nun brauchen
Sie bloß das Wort Urſchleim in das Wort Protoplasma oder
Zellſtoff umzuſetzen, um zu einer der groͤßten Errungenſchaften zu
gelangen, welche wir den mikroſkopiſchen Forſchungen der letzten ſieben
Jahre, insbeſondere denjenigen von Max Schultze, verdanken.
Durch dieſe Unterſuchungen hat ſich herausgeſtellt, daß in allen leben-
digen Naturkoͤrpern ohne Ausnahme eine gewiſſe Menge einer ſchlei-
migen, eiweißartigen Materie in feſtfluͤſſigem Dichtigkeitszuſtande ſich
vorfindet, und daß dieſe ſtickſtoffhaltige Kohlenſtoffverbindung aus-
ſchließlich der urſpruͤngliche Traͤger und Bewirker aller Lebenserſchei-
nungen und aller organiſchen Formbildung iſt. Alle anderen Stoffe,
welche außerdem noch im Organismus vorkommen, werden erſt von
dieſem activen Lebensſtoff gebildet, oder von außen aufgenommen.
Das organiſche Ei, die urſpruͤngliche Zelle, aus welcher faſt jedes
Thier und jede Pflanze zuerſt entſteht, beſteht weſentlich nur aus einem
runden Kluͤmpchen ſolcher eiweißartigen Materie. Auch der Eidotter
iſt nur Eiweiß, mit Fettkoͤrnchen gemengt. Oken hatte alſo wirklich
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/98>, abgerufen am 22.11.2024.
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