lich von den anderen Säugethieren verschieden sei, einen solchen Zwi- schenkiefer besitzen müsse. Er behauptete diesen Schluß, ohne den Zwi- schenkiefer des Menschen wirklich gesehen zu haben und bewies dessen Existenz erst nachträglich durch die wirkliche Beobachtung (S. 70).
Die Jnduction ist also ein logisches Schlußverfahren aus dem Besonderen auf das Allgemeine, aus vielen einzelnen Erfah- rungen auf ein allgemeines Gesetz; die Deduction dagegen schließt aus dem Allgemeinen auf das Besondere, aus einem allge- meinen Naturgesetze auf einen einzelnen Fall. So ist nun auch ohne allen Zweifel die Descendenztheorie ein durch alle genann- ten biologischen Erfahrungen empirisch begründetes großes Jnduc- tionsgesetz; die Pithekoidentheorie dagegen, die Behaup- tung, daß der Mensch sich aus niederen, und zunächst aus affen- artigen Säugethieren entwickelt habe, ein einzelnes Deductions- gesetz, welches mit jenem allgemeinen Jnductionsgesetze unzertrenn- lich verbunden ist.
Der Stammbaum des Menschengeschlechts, wie ich seine Grund- züge Jhnen im letzten Vortrage in ungefähren Umrissen gegeben habe, bleibt natürlich (gleich allen vorher erörterten Stammbäumen der Thiere und Pflanzen) in allen seinen Einzelheiten nur eine mehr oder weniger annähernde genealogische Hypothese. Dies thut aber der Anwendung der Descendenztheorie auf den Menschen im Ganzen keinen Eintrag. Hier, wie bei allen Untersuchungen über die Abstammungsverhältnisse der Organismen, müssen Sie wohl unterscheiden zwischen der allge- meinen oder generellen Descendenz-Theorie, und der besonderen oder speciellen Descendenz-Hypothese. Die allgemeine Abstam- mungs-Theorie beansprucht volle und bleibende Geltung, weil sie durch alle vorher genannten allgemeinen biologischen Erscheinungsrei- hen, und durch deren inneren ursächlichen Zusammenhang inductiv be- gründet wird. Jede besondere Abstammungs-Hypothese dagegen ist in ihrer speciellen Geltung durch den jeweiligen Zustand unserer biologischen Erkenntniß bedingt, und durch die Ausdehnung der ob- jectiven empirischen Grundlage, auf welche wir durch subjective
Juduction und Deduction.
lich von den anderen Saͤugethieren verſchieden ſei, einen ſolchen Zwi- ſchenkiefer beſitzen muͤſſe. Er behauptete dieſen Schluß, ohne den Zwi- ſchenkiefer des Menſchen wirklich geſehen zu haben und bewies deſſen Exiſtenz erſt nachtraͤglich durch die wirkliche Beobachtung (S. 70).
Die Jnduction iſt alſo ein logiſches Schlußverfahren aus dem Beſonderen auf das Allgemeine, aus vielen einzelnen Erfah- rungen auf ein allgemeines Geſetz; die Deduction dagegen ſchließt aus dem Allgemeinen auf das Beſondere, aus einem allge- meinen Naturgeſetze auf einen einzelnen Fall. So iſt nun auch ohne allen Zweifel die Deſcendenztheorie ein durch alle genann- ten biologiſchen Erfahrungen empiriſch begruͤndetes großes Jnduc- tionsgeſetz; die Pithekoidentheorie dagegen, die Behaup- tung, daß der Menſch ſich aus niederen, und zunaͤchſt aus affen- artigen Saͤugethieren entwickelt habe, ein einzelnes Deductions- geſetz, welches mit jenem allgemeinen Jnductionsgeſetze unzertrenn- lich verbunden iſt.
Der Stammbaum des Menſchengeſchlechts, wie ich ſeine Grund- zuͤge Jhnen im letzten Vortrage in ungefaͤhren Umriſſen gegeben habe, bleibt natuͤrlich (gleich allen vorher eroͤrterten Stammbaͤumen der Thiere und Pflanzen) in allen ſeinen Einzelheiten nur eine mehr oder weniger annaͤhernde genealogiſche Hypotheſe. Dies thut aber der Anwendung der Deſcendenztheorie auf den Menſchen im Ganzen keinen Eintrag. Hier, wie bei allen Unterſuchungen uͤber die Abſtammungsverhaͤltniſſe der Organismen, muͤſſen Sie wohl unterſcheiden zwiſchen der allge- meinen oder generellen Deſcendenz-Theorie, und der beſonderen oder ſpeciellen Deſcendenz-Hypotheſe. Die allgemeine Abſtam- mungs-Theorie beanſprucht volle und bleibende Geltung, weil ſie durch alle vorher genannten allgemeinen biologiſchen Erſcheinungsrei- hen, und durch deren inneren urſaͤchlichen Zuſammenhang inductiv be- gruͤndet wird. Jede beſondere Abſtammungs-Hypotheſe dagegen iſt in ihrer ſpeciellen Geltung durch den jeweiligen Zuſtand unſerer biologiſchen Erkenntniß bedingt, und durch die Ausdehnung der ob- jectiven empiriſchen Grundlage, auf welche wir durch ſubjective
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[542/0567]
Juduction und Deduction.
lich von den anderen Saͤugethieren verſchieden ſei, einen ſolchen Zwi-
ſchenkiefer beſitzen muͤſſe. Er behauptete dieſen Schluß, ohne den Zwi-
ſchenkiefer des Menſchen wirklich geſehen zu haben und bewies deſſen
Exiſtenz erſt nachtraͤglich durch die wirkliche Beobachtung (S. 70).
Die Jnduction iſt alſo ein logiſches Schlußverfahren aus dem
Beſonderen auf das Allgemeine, aus vielen einzelnen Erfah-
rungen auf ein allgemeines Geſetz; die Deduction dagegen ſchließt
aus dem Allgemeinen auf das Beſondere, aus einem allge-
meinen Naturgeſetze auf einen einzelnen Fall. So iſt nun auch ohne
allen Zweifel die Deſcendenztheorie ein durch alle genann-
ten biologiſchen Erfahrungen empiriſch begruͤndetes großes Jnduc-
tionsgeſetz; die Pithekoidentheorie dagegen, die Behaup-
tung, daß der Menſch ſich aus niederen, und zunaͤchſt aus affen-
artigen Saͤugethieren entwickelt habe, ein einzelnes Deductions-
geſetz, welches mit jenem allgemeinen Jnductionsgeſetze unzertrenn-
lich verbunden iſt.
Der Stammbaum des Menſchengeſchlechts, wie ich ſeine Grund-
zuͤge Jhnen im letzten Vortrage in ungefaͤhren Umriſſen gegeben habe,
bleibt natuͤrlich (gleich allen vorher eroͤrterten Stammbaͤumen der Thiere
und Pflanzen) in allen ſeinen Einzelheiten nur eine mehr oder weniger
annaͤhernde genealogiſche Hypotheſe. Dies thut aber der Anwendung
der Deſcendenztheorie auf den Menſchen im Ganzen keinen Eintrag.
Hier, wie bei allen Unterſuchungen uͤber die Abſtammungsverhaͤltniſſe
der Organismen, muͤſſen Sie wohl unterſcheiden zwiſchen der allge-
meinen oder generellen Deſcendenz-Theorie, und der beſonderen
oder ſpeciellen Deſcendenz-Hypotheſe. Die allgemeine Abſtam-
mungs-Theorie beanſprucht volle und bleibende Geltung, weil ſie
durch alle vorher genannten allgemeinen biologiſchen Erſcheinungsrei-
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gruͤndet wird. Jede beſondere Abſtammungs-Hypotheſe dagegen
iſt in ihrer ſpeciellen Geltung durch den jeweiligen Zuſtand unſerer
biologiſchen Erkenntniß bedingt, und durch die Ausdehnung der ob-
jectiven empiriſchen Grundlage, auf welche wir durch ſubjective
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/567>, abgerufen am 25.11.2024.
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