Bei vielen Arten fehlen freilich die Uebergangsformen wirklich. Dies erklärt sich indessen ganz einfach durch das Princip der Diver- genz oder Sonderung, dessen Bedeutung ich Jhnen früher erläutert habe (S. 217). Der Umstand, daß der Kampf um das Dasein um so heftiger zwischen zwei verwandten Formen ist, je näher sie sich ste- hen, muß nothwendig das baldige Erlöschen der verbindenden Zwi- schenformen zwischen zwei divergenten Arten begünstigen. Wenn eine und dieselbe Species nach verschiedenen Richtungen auseinander- gehende Varietäten hervorbringt, die sich zu neuen Arten gestalten, so muß der Kampf zwischen diesen neuen Formen und der gemeinsamen Stammform um so lebhafter sein, je weniger sie sich von einander ent- fernen, dagegen um so weniger gefährlich, je stärker die Divergenz ist. Naturgemäß werden also die verbindenden Zwischenformen vor- zugsweise und meistens sehr schnell aussterben, während die am mei- sten divergenten Formen als getrennte "neue Arten" übrig bleiben und sich fortpflanzen. Dem entsprechend finden wir auch keine Ueber- gangsformen mehr in solchen Gruppen, welche ganz im Aussterben begriffen sind, wie z. B. unter den Vögeln die Strauße, unter den Säugethieren die Elephanten, Giraffen, Halbaffen, Zahnarmen und Schnabelthiere. Diese im Erlöschen begriffenen Formgruppen erzeu- gen keine neuen Varietäten mehr, und naturgemäß sind hier die Arten sogenannte "gute", d. h. scharf von einander geschiedene Species. Jn denjenigen Thiergruppen dagegen, wo noch die Entfaltung und der Fortschritt sich geltend macht, wo die existirenden Arten durch Bildung neuer Varietäten in viele neue Arten aus einandergehen, finden wir überall massenhaft Uebergangsformen vor, welche der Systematik die größten Schwierigkeiten bereiten. Das ist z. B. unter den Vögeln bei den Finken der Fall, unter den Säugethieren bei den meisten Nage- thieren (besonders den mäuse- und rattenartigen), bei einer Anzahl von Wiederkäuern und von echten Affen, insbesondere bei den südamerika- nischen Rollaffen (Cebus) und vielen Anderen. Die fortwährende Entfaltung der Species durch Bildung neuer Varietäten erzeugt hier eine Masse von Zwischenformen, welche die sogenannten guten Arten
Uebergangsformen zwiſchen den organiſchen Arten.
Bei vielen Arten fehlen freilich die Uebergangsformen wirklich. Dies erklaͤrt ſich indeſſen ganz einfach durch das Princip der Diver- genz oder Sonderung, deſſen Bedeutung ich Jhnen fruͤher erlaͤutert habe (S. 217). Der Umſtand, daß der Kampf um das Daſein um ſo heftiger zwiſchen zwei verwandten Formen iſt, je naͤher ſie ſich ſte- hen, muß nothwendig das baldige Erloͤſchen der verbindenden Zwi- ſchenformen zwiſchen zwei divergenten Arten beguͤnſtigen. Wenn eine und dieſelbe Species nach verſchiedenen Richtungen auseinander- gehende Varietaͤten hervorbringt, die ſich zu neuen Arten geſtalten, ſo muß der Kampf zwiſchen dieſen neuen Formen und der gemeinſamen Stammform um ſo lebhafter ſein, je weniger ſie ſich von einander ent- fernen, dagegen um ſo weniger gefaͤhrlich, je ſtaͤrker die Divergenz iſt. Naturgemaͤß werden alſo die verbindenden Zwiſchenformen vor- zugsweiſe und meiſtens ſehr ſchnell ausſterben, waͤhrend die am mei- ſten divergenten Formen als getrennte „neue Arten“ uͤbrig bleiben und ſich fortpflanzen. Dem entſprechend finden wir auch keine Ueber- gangsformen mehr in ſolchen Gruppen, welche ganz im Ausſterben begriffen ſind, wie z. B. unter den Voͤgeln die Strauße, unter den Saͤugethieren die Elephanten, Giraffen, Halbaffen, Zahnarmen und Schnabelthiere. Dieſe im Erloͤſchen begriffenen Formgruppen erzeu- gen keine neuen Varietaͤten mehr, und naturgemaͤß ſind hier die Arten ſogenannte „gute“, d. h. ſcharf von einander geſchiedene Species. Jn denjenigen Thiergruppen dagegen, wo noch die Entfaltung und der Fortſchritt ſich geltend macht, wo die exiſtirenden Arten durch Bildung neuer Varietaͤten in viele neue Arten aus einandergehen, finden wir uͤberall maſſenhaft Uebergangsformen vor, welche der Syſtematik die groͤßten Schwierigkeiten bereiten. Das iſt z. B. unter den Voͤgeln bei den Finken der Fall, unter den Saͤugethieren bei den meiſten Nage- thieren (beſonders den maͤuſe- und rattenartigen), bei einer Anzahl von Wiederkaͤuern und von echten Affen, insbeſondere bei den ſuͤdamerika- niſchen Rollaffen (Cebus) und vielen Anderen. Die fortwaͤhrende Entfaltung der Species durch Bildung neuer Varietaͤten erzeugt hier eine Maſſe von Zwiſchenformen, welche die ſogenannten guten Arten
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Uebergangsformen zwiſchen den organiſchen Arten.
Bei vielen Arten fehlen freilich die Uebergangsformen wirklich.
Dies erklaͤrt ſich indeſſen ganz einfach durch das Princip der Diver-
genz oder Sonderung, deſſen Bedeutung ich Jhnen fruͤher erlaͤutert
habe (S. 217). Der Umſtand, daß der Kampf um das Daſein um
ſo heftiger zwiſchen zwei verwandten Formen iſt, je naͤher ſie ſich ſte-
hen, muß nothwendig das baldige Erloͤſchen der verbindenden Zwi-
ſchenformen zwiſchen zwei divergenten Arten beguͤnſtigen. Wenn
eine und dieſelbe Species nach verſchiedenen Richtungen auseinander-
gehende Varietaͤten hervorbringt, die ſich zu neuen Arten geſtalten, ſo
muß der Kampf zwiſchen dieſen neuen Formen und der gemeinſamen
Stammform um ſo lebhafter ſein, je weniger ſie ſich von einander ent-
fernen, dagegen um ſo weniger gefaͤhrlich, je ſtaͤrker die Divergenz
iſt. Naturgemaͤß werden alſo die verbindenden Zwiſchenformen vor-
zugsweiſe und meiſtens ſehr ſchnell ausſterben, waͤhrend die am mei-
ſten divergenten Formen als getrennte „neue Arten“ uͤbrig bleiben
und ſich fortpflanzen. Dem entſprechend finden wir auch keine Ueber-
gangsformen mehr in ſolchen Gruppen, welche ganz im Ausſterben
begriffen ſind, wie z. B. unter den Voͤgeln die Strauße, unter den
Saͤugethieren die Elephanten, Giraffen, Halbaffen, Zahnarmen und
Schnabelthiere. Dieſe im Erloͤſchen begriffenen Formgruppen erzeu-
gen keine neuen Varietaͤten mehr, und naturgemaͤß ſind hier die Arten
ſogenannte „gute“, d. h. ſcharf von einander geſchiedene Species. Jn
denjenigen Thiergruppen dagegen, wo noch die Entfaltung und der
Fortſchritt ſich geltend macht, wo die exiſtirenden Arten durch Bildung
neuer Varietaͤten in viele neue Arten aus einandergehen, finden wir
uͤberall maſſenhaft Uebergangsformen vor, welche der Syſtematik die
groͤßten Schwierigkeiten bereiten. Das iſt z. B. unter den Voͤgeln bei
den Finken der Fall, unter den Saͤugethieren bei den meiſten Nage-
thieren (beſonders den maͤuſe- und rattenartigen), bei einer Anzahl von
Wiederkaͤuern und von echten Affen, insbeſondere bei den ſuͤdamerika-
niſchen Rollaffen (Cebus) und vielen Anderen. Die fortwaͤhrende
Entfaltung der Species durch Bildung neuer Varietaͤten erzeugt hier
eine Maſſe von Zwiſchenformen, welche die ſogenannten guten Arten
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/551>, abgerufen am 22.11.2024.
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