hufer) und die Discoplacentalien mit scheibenförmiger Placenta (alle übrigen Deciduaten) unterschieden. Der Mensch besitzt eine scheiben- förmige Placenta, gleich allen anderen Discoplacentalien, und wir würden nun also zunächst die Frage zu beantworten haben, welche Stellung der Mensch in dieser Gruppe einnimmt.
Jm letzten Vortrage hatten wir folgende fünf Ordnungen von Discoplacentalien unterschieden: 1, die Halbaffen; 2, die Nagethiere; 3, die Jnsectenfresser; 4, die Flederthiere; 5, die Affen. Wie Jeder von Jhnen weiß, steht von diesen fünf Ordnungen die letzte, diejenige der Affen, dem Menschen in jeder körperlichen Beziehung weit näher, als die vier übrigen. Es kann sich daher nur noch um die Frage handeln, ob man im System der Säugethiere den Menschen geradezu in die Ordnung der echten Affen einreihen, oder ob man ihn neben und über derselben als Vertreter einer besonderen sechsten Ordnung der Discoplacentalien betrachten soll.
Linne vereinigte in seinem System den Menschen mit den echten Affen, den Halbaffen und den Fledermäusen in einer und derselben Ordnung, welche er Primates nannte, d. h. Oberherrn, gleichsam die höchsten Würdenträger des Thierreichs. Blumenbach dagegen trennte den Menschen als eine besondere Ordnung unter dem Namen Bimana oder Zweihänder, indem er ihm die vereinigten Affen und Halbaffen unter dem Namen Quadrumana oder Vierhänder entgegensetzte. Diese Eintheilung wurde auch von Cuvier und dem- nach von den allermeisten folgenden Zoologen angenommen. Erst 1863 zeigte Huxley in seinen vortrefflichen "Zeugnissen für die Stel- lung des Menschen in der Natur" 26), daß dieselbe auf falschen An- sichten beruhe, und daß die angeblichen "Vierhänder" (Affen und Halbaffen) ebenso gut "Zweihänder" sind, wie der Mensch selbst. Der Unterschied des Fußes von der Hand beruht nicht auf der phy- siologischen Eigenthümlichkeit, daß die erste Zehe oder der Dau- men den vier übrigen Fingern oder Zehen an der Hand entgegen- stellbar ist, am Fuße dagegen nicht. Denn es giebt wilde Völker- stämme, welche die erste oder große Zehe den vier übrigen am Fuße
Stellung des Menſchen im Syſtem der Saͤugethiere.
hufer) und die Discoplacentalien mit ſcheibenfoͤrmiger Placenta (alle uͤbrigen Deciduaten) unterſchieden. Der Menſch beſitzt eine ſcheiben- foͤrmige Placenta, gleich allen anderen Discoplacentalien, und wir wuͤrden nun alſo zunaͤchſt die Frage zu beantworten haben, welche Stellung der Menſch in dieſer Gruppe einnimmt.
Jm letzten Vortrage hatten wir folgende fuͤnf Ordnungen von Discoplacentalien unterſchieden: 1, die Halbaffen; 2, die Nagethiere; 3, die Jnſectenfreſſer; 4, die Flederthiere; 5, die Affen. Wie Jeder von Jhnen weiß, ſteht von dieſen fuͤnf Ordnungen die letzte, diejenige der Affen, dem Menſchen in jeder koͤrperlichen Beziehung weit naͤher, als die vier uͤbrigen. Es kann ſich daher nur noch um die Frage handeln, ob man im Syſtem der Saͤugethiere den Menſchen geradezu in die Ordnung der echten Affen einreihen, oder ob man ihn neben und uͤber derſelben als Vertreter einer beſonderen ſechſten Ordnung der Discoplacentalien betrachten ſoll.
Linné vereinigte in ſeinem Syſtem den Menſchen mit den echten Affen, den Halbaffen und den Fledermaͤuſen in einer und derſelben Ordnung, welche er Primates nannte, d. h. Oberherrn, gleichſam die hoͤchſten Wuͤrdentraͤger des Thierreichs. Blumenbach dagegen trennte den Menſchen als eine beſondere Ordnung unter dem Namen Bimana oder Zweihaͤnder, indem er ihm die vereinigten Affen und Halbaffen unter dem Namen Quadrumana oder Vierhaͤnder entgegenſetzte. Dieſe Eintheilung wurde auch von Cuvier und dem- nach von den allermeiſten folgenden Zoologen angenommen. Erſt 1863 zeigte Huxley in ſeinen vortrefflichen „Zeugniſſen fuͤr die Stel- lung des Menſchen in der Natur“ 26), daß dieſelbe auf falſchen An- ſichten beruhe, und daß die angeblichen „Vierhaͤnder“ (Affen und Halbaffen) ebenſo gut „Zweihaͤnder“ ſind, wie der Menſch ſelbſt. Der Unterſchied des Fußes von der Hand beruht nicht auf der phy- ſiologiſchen Eigenthuͤmlichkeit, daß die erſte Zehe oder der Dau- men den vier uͤbrigen Fingern oder Zehen an der Hand entgegen- ſtellbar iſt, am Fuße dagegen nicht. Denn es giebt wilde Voͤlker- ſtaͤmme, welche die erſte oder große Zehe den vier uͤbrigen am Fuße
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Stellung des Menſchen im Syſtem der Saͤugethiere.
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foͤrmige Placenta, gleich allen anderen Discoplacentalien, und
wir wuͤrden nun alſo zunaͤchſt die Frage zu beantworten haben, welche
Stellung der Menſch in dieſer Gruppe einnimmt.
Jm letzten Vortrage hatten wir folgende fuͤnf Ordnungen von
Discoplacentalien unterſchieden: 1, die Halbaffen; 2, die Nagethiere;
3, die Jnſectenfreſſer; 4, die Flederthiere; 5, die Affen. Wie Jeder
von Jhnen weiß, ſteht von dieſen fuͤnf Ordnungen die letzte, diejenige
der Affen, dem Menſchen in jeder koͤrperlichen Beziehung weit naͤher,
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handeln, ob man im Syſtem der Saͤugethiere den Menſchen geradezu
in die Ordnung der echten Affen einreihen, oder ob man ihn neben
und uͤber derſelben als Vertreter einer beſonderen ſechſten Ordnung
der Discoplacentalien betrachten ſoll.
Linné vereinigte in ſeinem Syſtem den Menſchen mit den echten
Affen, den Halbaffen und den Fledermaͤuſen in einer und derſelben
Ordnung, welche er Primates nannte, d. h. Oberherrn, gleichſam
die hoͤchſten Wuͤrdentraͤger des Thierreichs. Blumenbach dagegen
trennte den Menſchen als eine beſondere Ordnung unter dem Namen
Bimana oder Zweihaͤnder, indem er ihm die vereinigten Affen
und Halbaffen unter dem Namen Quadrumana oder Vierhaͤnder
entgegenſetzte. Dieſe Eintheilung wurde auch von Cuvier und dem-
nach von den allermeiſten folgenden Zoologen angenommen. Erſt
1863 zeigte Huxley in ſeinen vortrefflichen „Zeugniſſen fuͤr die Stel-
lung des Menſchen in der Natur“ 26), daß dieſelbe auf falſchen An-
ſichten beruhe, und daß die angeblichen „Vierhaͤnder“ (Affen und
Halbaffen) ebenſo gut „Zweihaͤnder“ ſind, wie der Menſch ſelbſt.
Der Unterſchied des Fußes von der Hand beruht nicht auf der phy-
ſiologiſchen Eigenthuͤmlichkeit, daß die erſte Zehe oder der Dau-
men den vier uͤbrigen Fingern oder Zehen an der Hand entgegen-
ſtellbar iſt, am Fuße dagegen nicht. Denn es giebt wilde Voͤlker-
ſtaͤmme, welche die erſte oder große Zehe den vier uͤbrigen am Fuße
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/515>, abgerufen am 22.11.2024.
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