Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
Placentalthiere oder Placentalien.

Die dritte und letzte Unterklasse der Säugethiere bilden die Pla-
centalthiere
oder Placentner (Monodelphia oder Placenta-
lia
). Sie ist bei weitem die wichtigste, umfangreichste und vollkom-
menste von den drei Unterklassen. Denn zu ihr gehören alle be-
kannten Säugethiere nach Ausschluß der Beutelthiere und Schnabel-
thiere. Auch der Mensch gehört dieser Unterklasse an und hat sich
aus niederen Stufen derselben entwickelt.

Die Placentalthiere unterscheiden sich, wie ihr Name sagt, von
den übrigen Säugethieren vor Allem durch den Besitz eines sogenann-
ten Mutterkuchens oder Aderkuchens (Placenta). Das ist
ein sehr eigenthümliches und merkwürdiges Organ, welches bei der
Ernährung des im Mutterleibe sich entwickelnden Jungen eine höchst
wichtige Rolle spielt. Die Placenta oder der Mutterkuchen (auch Nach-
geburt genannt) ist ein weicher, schwammiger, rother Körper von sehr
verschiedener Form und Größe, welcher zum größten Theile aus einem
unentwirrbaren Geflecht von Adern oder Blutgefäßen besteht. Jhre
Bedeutung besteht in dem Stoffaustausch des ernährenden Blutes zwi-
schen dem mütterlichen Fruchtbehälter oder Uterus und dem Leibe des
Keimes oder Embryo (s. oben S. 243). Weder bei den Beutelthieren
noch bei den Schnabelthieren ist dieses höchst wichtige Organ entwik-
kelt. Von diesen beiden Unterklassen unterscheiden sich aber auch au-
ßerdem die Placentalthiere noch durch manche andere Eigenthümlich-
keiten, so namentlich durch den Mangel der Beutelknochen, durch die
höhere Ausbildung der inneren Geschlechtsorgane und durch die voll-
kommenere Entwickelung des Gehirns, namentlich des sogenannten
Schwielenkörpers oder Balkens (Corpus callosum), welcher als mittlere
Commissur oder Querbrücke die beiden Halbkugeln des großen Gehirns
mit einander verbindet. Auch fehlt den Placentalien der eigenthüm-
liche Hakenfortsatz des Unterkiefers, welcher die Beutelthiere auszeich-
net. Wie in diesen anatomischen Beziehungen die Beutelthiere zwi-
schen den Gabelthieren und Placentalthieren in der Mitte stehen, wird
Jhnen am besten durch nachfolgende Zusammenstellung der wichtigsten
Charaktere der drei Unterklassen klar werden.

Placentalthiere oder Placentalien.

Die dritte und letzte Unterklaſſe der Saͤugethiere bilden die Pla-
centalthiere
oder Placentner (Monodelphia oder Placenta-
lia
). Sie iſt bei weitem die wichtigſte, umfangreichſte und vollkom-
menſte von den drei Unterklaſſen. Denn zu ihr gehoͤren alle be-
kannten Saͤugethiere nach Ausſchluß der Beutelthiere und Schnabel-
thiere. Auch der Menſch gehoͤrt dieſer Unterklaſſe an und hat ſich
aus niederen Stufen derſelben entwickelt.

Die Placentalthiere unterſcheiden ſich, wie ihr Name ſagt, von
den uͤbrigen Saͤugethieren vor Allem durch den Beſitz eines ſogenann-
ten Mutterkuchens oder Aderkuchens (Placenta). Das iſt
ein ſehr eigenthuͤmliches und merkwuͤrdiges Organ, welches bei der
Ernaͤhrung des im Mutterleibe ſich entwickelnden Jungen eine hoͤchſt
wichtige Rolle ſpielt. Die Placenta oder der Mutterkuchen (auch Nach-
geburt genannt) iſt ein weicher, ſchwammiger, rother Koͤrper von ſehr
verſchiedener Form und Groͤße, welcher zum groͤßten Theile aus einem
unentwirrbaren Geflecht von Adern oder Blutgefaͤßen beſteht. Jhre
Bedeutung beſteht in dem Stoffaustauſch des ernaͤhrenden Blutes zwi-
ſchen dem muͤtterlichen Fruchtbehaͤlter oder Uterus und dem Leibe des
Keimes oder Embryo (ſ. oben S. 243). Weder bei den Beutelthieren
noch bei den Schnabelthieren iſt dieſes hoͤchſt wichtige Organ entwik-
kelt. Von dieſen beiden Unterklaſſen unterſcheiden ſich aber auch au-
ßerdem die Placentalthiere noch durch manche andere Eigenthuͤmlich-
keiten, ſo namentlich durch den Mangel der Beutelknochen, durch die
hoͤhere Ausbildung der inneren Geſchlechtsorgane und durch die voll-
kommenere Entwickelung des Gehirns, namentlich des ſogenannten
Schwielenkoͤrpers oder Balkens (Corpus callosum), welcher als mittlere
Commiſſur oder Querbruͤcke die beiden Halbkugeln des großen Gehirns
mit einander verbindet. Auch fehlt den Placentalien der eigenthuͤm-
liche Hakenfortſatz des Unterkiefers, welcher die Beutelthiere auszeich-
net. Wie in dieſen anatomiſchen Beziehungen die Beutelthiere zwi-
ſchen den Gabelthieren und Placentalthieren in der Mitte ſtehen, wird
Jhnen am beſten durch nachfolgende Zuſammenſtellung der wichtigſten
Charaktere der drei Unterklaſſen klar werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0496" n="471"/>
        <fw place="top" type="header">Placentalthiere oder Placentalien.</fw><lb/>
        <p>Die dritte und letzte Unterkla&#x017F;&#x017F;e der Sa&#x0364;ugethiere bilden die <hi rendition="#g">Pla-<lb/>
centalthiere</hi> oder <hi rendition="#g">Placentner</hi> (<hi rendition="#aq">Monodelphia</hi> oder <hi rendition="#aq">Placenta-<lb/>
lia</hi>). Sie i&#x017F;t bei weitem die wichtig&#x017F;te, umfangreich&#x017F;te und vollkom-<lb/>
men&#x017F;te von den drei Unterkla&#x017F;&#x017F;en. Denn zu ihr geho&#x0364;ren alle be-<lb/>
kannten Sa&#x0364;ugethiere nach Aus&#x017F;chluß der Beutelthiere und Schnabel-<lb/>
thiere. Auch der Men&#x017F;ch geho&#x0364;rt die&#x017F;er Unterkla&#x017F;&#x017F;e an und hat &#x017F;ich<lb/>
aus niederen Stufen der&#x017F;elben entwickelt.</p><lb/>
        <p>Die Placentalthiere unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich, wie ihr Name &#x017F;agt, von<lb/>
den u&#x0364;brigen Sa&#x0364;ugethieren vor Allem durch den Be&#x017F;itz eines &#x017F;ogenann-<lb/>
ten <hi rendition="#g">Mutterkuchens</hi> oder <hi rendition="#g">Aderkuchens</hi> <hi rendition="#aq">(Placenta).</hi> Das i&#x017F;t<lb/>
ein &#x017F;ehr eigenthu&#x0364;mliches und merkwu&#x0364;rdiges Organ, welches bei der<lb/>
Erna&#x0364;hrung des im Mutterleibe &#x017F;ich entwickelnden Jungen eine ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
wichtige Rolle &#x017F;pielt. Die Placenta oder der Mutterkuchen (auch Nach-<lb/>
geburt genannt) i&#x017F;t ein weicher, &#x017F;chwammiger, rother Ko&#x0364;rper von &#x017F;ehr<lb/>
ver&#x017F;chiedener Form und Gro&#x0364;ße, welcher zum gro&#x0364;ßten Theile aus einem<lb/>
unentwirrbaren Geflecht von Adern oder Blutgefa&#x0364;ßen be&#x017F;teht. Jhre<lb/>
Bedeutung be&#x017F;teht in dem Stoffaustau&#x017F;ch des erna&#x0364;hrenden Blutes zwi-<lb/>
&#x017F;chen dem mu&#x0364;tterlichen Fruchtbeha&#x0364;lter oder Uterus und dem Leibe des<lb/>
Keimes oder Embryo (&#x017F;. oben S. 243). Weder bei den Beutelthieren<lb/>
noch bei den Schnabelthieren i&#x017F;t die&#x017F;es ho&#x0364;ch&#x017F;t wichtige Organ entwik-<lb/>
kelt. Von die&#x017F;en beiden Unterkla&#x017F;&#x017F;en unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich aber auch au-<lb/>
ßerdem die Placentalthiere noch durch manche andere Eigenthu&#x0364;mlich-<lb/>
keiten, &#x017F;o namentlich durch den Mangel der Beutelknochen, durch die<lb/>
ho&#x0364;here Ausbildung der inneren Ge&#x017F;chlechtsorgane und durch die voll-<lb/>
kommenere Entwickelung des Gehirns, namentlich des &#x017F;ogenannten<lb/>
Schwielenko&#x0364;rpers oder Balkens <hi rendition="#aq">(Corpus callosum),</hi> welcher als mittlere<lb/>
Commi&#x017F;&#x017F;ur oder Querbru&#x0364;cke die beiden Halbkugeln des großen Gehirns<lb/>
mit einander verbindet. Auch fehlt den Placentalien der eigenthu&#x0364;m-<lb/>
liche Hakenfort&#x017F;atz des Unterkiefers, welcher die Beutelthiere auszeich-<lb/>
net. Wie in die&#x017F;en anatomi&#x017F;chen Beziehungen die Beutelthiere zwi-<lb/>
&#x017F;chen den Gabelthieren und Placentalthieren in der Mitte &#x017F;tehen, wird<lb/>
Jhnen am be&#x017F;ten durch nachfolgende Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung der wichtig&#x017F;ten<lb/>
Charaktere der drei Unterkla&#x017F;&#x017F;en klar werden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0496] Placentalthiere oder Placentalien. Die dritte und letzte Unterklaſſe der Saͤugethiere bilden die Pla- centalthiere oder Placentner (Monodelphia oder Placenta- lia). Sie iſt bei weitem die wichtigſte, umfangreichſte und vollkom- menſte von den drei Unterklaſſen. Denn zu ihr gehoͤren alle be- kannten Saͤugethiere nach Ausſchluß der Beutelthiere und Schnabel- thiere. Auch der Menſch gehoͤrt dieſer Unterklaſſe an und hat ſich aus niederen Stufen derſelben entwickelt. Die Placentalthiere unterſcheiden ſich, wie ihr Name ſagt, von den uͤbrigen Saͤugethieren vor Allem durch den Beſitz eines ſogenann- ten Mutterkuchens oder Aderkuchens (Placenta). Das iſt ein ſehr eigenthuͤmliches und merkwuͤrdiges Organ, welches bei der Ernaͤhrung des im Mutterleibe ſich entwickelnden Jungen eine hoͤchſt wichtige Rolle ſpielt. Die Placenta oder der Mutterkuchen (auch Nach- geburt genannt) iſt ein weicher, ſchwammiger, rother Koͤrper von ſehr verſchiedener Form und Groͤße, welcher zum groͤßten Theile aus einem unentwirrbaren Geflecht von Adern oder Blutgefaͤßen beſteht. Jhre Bedeutung beſteht in dem Stoffaustauſch des ernaͤhrenden Blutes zwi- ſchen dem muͤtterlichen Fruchtbehaͤlter oder Uterus und dem Leibe des Keimes oder Embryo (ſ. oben S. 243). Weder bei den Beutelthieren noch bei den Schnabelthieren iſt dieſes hoͤchſt wichtige Organ entwik- kelt. Von dieſen beiden Unterklaſſen unterſcheiden ſich aber auch au- ßerdem die Placentalthiere noch durch manche andere Eigenthuͤmlich- keiten, ſo namentlich durch den Mangel der Beutelknochen, durch die hoͤhere Ausbildung der inneren Geſchlechtsorgane und durch die voll- kommenere Entwickelung des Gehirns, namentlich des ſogenannten Schwielenkoͤrpers oder Balkens (Corpus callosum), welcher als mittlere Commiſſur oder Querbruͤcke die beiden Halbkugeln des großen Gehirns mit einander verbindet. Auch fehlt den Placentalien der eigenthuͤm- liche Hakenfortſatz des Unterkiefers, welcher die Beutelthiere auszeich- net. Wie in dieſen anatomiſchen Beziehungen die Beutelthiere zwi- ſchen den Gabelthieren und Placentalthieren in der Mitte ſtehen, wird Jhnen am beſten durch nachfolgende Zuſammenſtellung der wichtigſten Charaktere der drei Unterklaſſen klar werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/496
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/496>, abgerufen am 02.06.2024.