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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Kloakenthiere (Monotremen) oder Brustlose (Amasten).
aufnimmt, während diese bei allen übrigen Säugethieren (Didelphien
sowohl als Monodelphien) getrennt vom Mastdarm ausmünden. Je-
doch ist auch bei diesen in der ersten Zeit des Embryolebens die Kloa-
kenbildung vorhanden, und erst später (beim Menschen gegen die
zwölfte Woche der Entwickelung) tritt die Trennung der beiden Mün-
dungsöffnungen ein. "Gabelthiere" hat man die Kloakenthiere
auch wohl genannt, weil die vorderen Schlüsselbeine mittelst des Brust-
beines mit einander in der Mitte zu einem Knochenstück verwachsen sind,
ähnlich dem bekannten "Gabelbein" der Vögel. Bei den übrigen
Säugethieren bleiben die beiden Schlüsselbeine vorn völlig getrennt,
und verwachsen nicht mit dem Brustbein. Ebenso sind die hinteren
Schlüsselbeine oder Coracoidknochen bei den Gabelthieren viel stärker
als bei den übrigen Säugethieren entwickelt und verbinden sich mit
dem Brustbein.

Auch in vielen übrigen Charakteren, namentlich in der Bildung
der inneren Geschlechtsorgane, des Gehörlabyrinthes und des Gehirns,
schließen sich die Schnabelthiere näher den übrigen Wirbelthieren als
den Säugethieren an, so daß man sie selbst als eine besondere Klasse
von diesen hat trennen wollen. Jedoch gebären sie, gleich allen ande-
ren Säugethieren, lebendige Junge, welche eine Zeitlang von der
Mutter mit ihrer Milch ernährt werden. Während aber bei allen
übrigen die Milch durch die Saugwarzen oder Zitzen der Milchdrüse
entleert wird, fehlen diese den Schnabelthieren gänzlich, und die Milch
tritt einfach aus einer Hautspalte hervor. Man kann sie daher auch
als Brustlose oder Zitzenlose (Amasta) bezeichnen.

Die auffallende Schnabelbildung der beiden noch lebenden Schna-
belthiere, welche mit Verkümmerung der Zähne verbunden ist, muß
offenbar nicht als wesentliches Merkmal der ganzen Unterklasse der
Kloakenthiere, sondern als ein zufälliger Anpassungscharakter ange-
sehen werden, welcher die letzten Reste der Klasse von der ausgestorbe-
nen Hauptgruppe ebenso unterscheidet, wie die Bildung eines ähn-
lichen zahnlosen Rüssels manche Zahnarme (z. B. die Ameisenfresser)
vor den übrigen Placentalthieren auszeichnet. Die unbekannten aus-

Kloakenthiere (Monotremen) oder Bruſtloſe (Amaſten).
aufnimmt, waͤhrend dieſe bei allen uͤbrigen Saͤugethieren (Didelphien
ſowohl als Monodelphien) getrennt vom Maſtdarm ausmuͤnden. Je-
doch iſt auch bei dieſen in der erſten Zeit des Embryolebens die Kloa-
kenbildung vorhanden, und erſt ſpaͤter (beim Menſchen gegen die
zwoͤlfte Woche der Entwickelung) tritt die Trennung der beiden Muͤn-
dungsoͤffnungen ein. „Gabelthiere“ hat man die Kloakenthiere
auch wohl genannt, weil die vorderen Schluͤſſelbeine mittelſt des Bruſt-
beines mit einander in der Mitte zu einem Knochenſtuͤck verwachſen ſind,
aͤhnlich dem bekannten „Gabelbein“ der Voͤgel. Bei den uͤbrigen
Saͤugethieren bleiben die beiden Schluͤſſelbeine vorn voͤllig getrennt,
und verwachſen nicht mit dem Bruſtbein. Ebenſo ſind die hinteren
Schluͤſſelbeine oder Coracoidknochen bei den Gabelthieren viel ſtaͤrker
als bei den uͤbrigen Saͤugethieren entwickelt und verbinden ſich mit
dem Bruſtbein.

Auch in vielen uͤbrigen Charakteren, namentlich in der Bildung
der inneren Geſchlechtsorgane, des Gehoͤrlabyrinthes und des Gehirns,
ſchließen ſich die Schnabelthiere naͤher den uͤbrigen Wirbelthieren als
den Saͤugethieren an, ſo daß man ſie ſelbſt als eine beſondere Klaſſe
von dieſen hat trennen wollen. Jedoch gebaͤren ſie, gleich allen ande-
ren Saͤugethieren, lebendige Junge, welche eine Zeitlang von der
Mutter mit ihrer Milch ernaͤhrt werden. Waͤhrend aber bei allen
uͤbrigen die Milch durch die Saugwarzen oder Zitzen der Milchdruͤſe
entleert wird, fehlen dieſe den Schnabelthieren gaͤnzlich, und die Milch
tritt einfach aus einer Hautſpalte hervor. Man kann ſie daher auch
als Bruſtloſe oder Zitzenloſe (Amasta) bezeichnen.

Die auffallende Schnabelbildung der beiden noch lebenden Schna-
belthiere, welche mit Verkuͤmmerung der Zaͤhne verbunden iſt, muß
offenbar nicht als weſentliches Merkmal der ganzen Unterklaſſe der
Kloakenthiere, ſondern als ein zufaͤlliger Anpaſſungscharakter ange-
ſehen werden, welcher die letzten Reſte der Klaſſe von der ausgeſtorbe-
nen Hauptgruppe ebenſo unterſcheidet, wie die Bildung eines aͤhn-
lichen zahnloſen Ruͤſſels manche Zahnarme (z. B. die Ameiſenfreſſer)
vor den uͤbrigen Placentalthieren auszeichnet. Die unbekannten aus-

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[463/0488] Kloakenthiere (Monotremen) oder Bruſtloſe (Amaſten). aufnimmt, waͤhrend dieſe bei allen uͤbrigen Saͤugethieren (Didelphien ſowohl als Monodelphien) getrennt vom Maſtdarm ausmuͤnden. Je- doch iſt auch bei dieſen in der erſten Zeit des Embryolebens die Kloa- kenbildung vorhanden, und erſt ſpaͤter (beim Menſchen gegen die zwoͤlfte Woche der Entwickelung) tritt die Trennung der beiden Muͤn- dungsoͤffnungen ein. „Gabelthiere“ hat man die Kloakenthiere auch wohl genannt, weil die vorderen Schluͤſſelbeine mittelſt des Bruſt- beines mit einander in der Mitte zu einem Knochenſtuͤck verwachſen ſind, aͤhnlich dem bekannten „Gabelbein“ der Voͤgel. Bei den uͤbrigen Saͤugethieren bleiben die beiden Schluͤſſelbeine vorn voͤllig getrennt, und verwachſen nicht mit dem Bruſtbein. Ebenſo ſind die hinteren Schluͤſſelbeine oder Coracoidknochen bei den Gabelthieren viel ſtaͤrker als bei den uͤbrigen Saͤugethieren entwickelt und verbinden ſich mit dem Bruſtbein. Auch in vielen uͤbrigen Charakteren, namentlich in der Bildung der inneren Geſchlechtsorgane, des Gehoͤrlabyrinthes und des Gehirns, ſchließen ſich die Schnabelthiere naͤher den uͤbrigen Wirbelthieren als den Saͤugethieren an, ſo daß man ſie ſelbſt als eine beſondere Klaſſe von dieſen hat trennen wollen. Jedoch gebaͤren ſie, gleich allen ande- ren Saͤugethieren, lebendige Junge, welche eine Zeitlang von der Mutter mit ihrer Milch ernaͤhrt werden. Waͤhrend aber bei allen uͤbrigen die Milch durch die Saugwarzen oder Zitzen der Milchdruͤſe entleert wird, fehlen dieſe den Schnabelthieren gaͤnzlich, und die Milch tritt einfach aus einer Hautſpalte hervor. Man kann ſie daher auch als Bruſtloſe oder Zitzenloſe (Amasta) bezeichnen. Die auffallende Schnabelbildung der beiden noch lebenden Schna- belthiere, welche mit Verkuͤmmerung der Zaͤhne verbunden iſt, muß offenbar nicht als weſentliches Merkmal der ganzen Unterklaſſe der Kloakenthiere, ſondern als ein zufaͤlliger Anpaſſungscharakter ange- ſehen werden, welcher die letzten Reſte der Klaſſe von der ausgeſtorbe- nen Hauptgruppe ebenſo unterſcheidet, wie die Bildung eines aͤhn- lichen zahnloſen Ruͤſſels manche Zahnarme (z. B. die Ameiſenfreſſer) vor den uͤbrigen Placentalthieren auszeichnet. Die unbekannten aus-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/488>, abgerufen am 24.11.2024.