Die straußartigen oder flaumschwänzigen Vögel(Ra- titae), auch Laufvögel(Cursores) genannt, die dritte und letzte Un- terklasse, ist gegenwärtig nur noch durch wenige lebende Arten vertreten, durch den zweizehigen afrikanischen Strauß, den dreizehigen amerikani- schen und neuholländischen Strauß, den indischen Casuar, und den vier- zehigen Kiwi oder Apteryx von Neuseeland. Auch die ausgestorbenen Riesenvögel von Madagaskar (Aepyornis) und von Neuseeland (Dinor- nis), welche viel größer waren als die jetzt lebenden größten Strauße, ge- hören zu dieser Gruppe. Wahrscheinlich sind die straußartigen Vögel durch Abgewöhnung des Fliegens, durch die damit verbundene Rückbildung der Flugmuskeln und des denselben zum Ansatz dienenden Brustbein- kammes, und durch entsprechend stärkere Ausbildung der Hinterbeine zum Laufen, aus einem Zweige der kielbrüstigen Vögel entstanden. Vielleicht sind dieselben jedoch auch, wie Huxley meint, nächste Ver- wandte der Dinausaurier, und der diesen nahestehenden Reptilien, na- mentlich des Compsognathus. Jn diesem Falle würden die Kielbrü- stigen erst später aus den straußartigen, als der ursprünglichen Stamm- gruppe der Klasse, entstanden sein.
Da die nähere Betrachtung der geschichtlichen und genealogischen Entwickelung der einzelnen Vogelordnungen gar kein besonderes Jn- teresse hat, wenden wir uns nun sogleich zum Stammbaum der ach- ten und letzten Wirbelthierklasse, der Säugethiere(Mammalia). Ohne Zweifel ist dies die bei weitem interessanteste, vollkommenste und wichtigste von allen Thierklassen. Denn in diese Klasse reiht die wis- senschaftliche Zoologie auch den Menschen ein, und aus Gliedern die- ser Klasse hat sich das Menschengeschlecht zunächst entwickelt. Wir müssen daher der Geschichte und dem Stammbaum der Säugethiere unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Lassen Sie uns zu die- sem Zwecke wieder zunächst das System dieser Thierklasse unter- suchen.
Von den älteren Naturforschern wurde die Klasse der Säugethiere mit vorzüglicher Rücksicht auf die Bildung des Gebisses und der Füße in eine Reihe von 8 -- 16 Ordnungen eingetheilt. Auf der tiefsten
Flaumſchwaͤnzige Voͤgel (Ratiten).
Die ſtraußartigen oder flaumſchwaͤnzigen Voͤgel(Ra- titae), auch Laufvoͤgel(Cursores) genannt, die dritte und letzte Un- terklaſſe, iſt gegenwaͤrtig nur noch durch wenige lebende Arten vertreten, durch den zweizehigen afrikaniſchen Strauß, den dreizehigen amerikani- ſchen und neuhollaͤndiſchen Strauß, den indiſchen Caſuar, und den vier- zehigen Kiwi oder Apteryx von Neuſeeland. Auch die ausgeſtorbenen Rieſenvoͤgel von Madagaskar (Aepyornis) und von Neuſeeland (Dinor- nis), welche viel groͤßer waren als die jetzt lebenden groͤßten Strauße, ge- hoͤren zu dieſer Gruppe. Wahrſcheinlich ſind die ſtraußartigen Voͤgel durch Abgewoͤhnung des Fliegens, durch die damit verbundene Ruͤckbildung der Flugmuskeln und des denſelben zum Anſatz dienenden Bruſtbein- kammes, und durch entſprechend ſtaͤrkere Ausbildung der Hinterbeine zum Laufen, aus einem Zweige der kielbruͤſtigen Voͤgel entſtanden. Vielleicht ſind dieſelben jedoch auch, wie Huxley meint, naͤchſte Ver- wandte der Dinauſaurier, und der dieſen naheſtehenden Reptilien, na- mentlich des Compsognathus. Jn dieſem Falle wuͤrden die Kielbruͤ- ſtigen erſt ſpaͤter aus den ſtraußartigen, als der urſpruͤnglichen Stamm- gruppe der Klaſſe, entſtanden ſein.
Da die naͤhere Betrachtung der geſchichtlichen und genealogiſchen Entwickelung der einzelnen Vogelordnungen gar kein beſonderes Jn- tereſſe hat, wenden wir uns nun ſogleich zum Stammbaum der ach- ten und letzten Wirbelthierklaſſe, der Saͤugethiere(Mammalia). Ohne Zweifel iſt dies die bei weitem intereſſanteſte, vollkommenſte und wichtigſte von allen Thierklaſſen. Denn in dieſe Klaſſe reiht die wiſ- ſenſchaftliche Zoologie auch den Menſchen ein, und aus Gliedern die- ſer Klaſſe hat ſich das Menſchengeſchlecht zunaͤchſt entwickelt. Wir muͤſſen daher der Geſchichte und dem Stammbaum der Saͤugethiere unſere beſondere Aufmerkſamkeit zuwenden. Laſſen Sie uns zu die- ſem Zwecke wieder zunaͤchſt das Syſtem dieſer Thierklaſſe unter- ſuchen.
Von den aͤlteren Naturforſchern wurde die Klaſſe der Saͤugethiere mit vorzuͤglicher Ruͤckſicht auf die Bildung des Gebiſſes und der Fuͤße in eine Reihe von 8 — 16 Ordnungen eingetheilt. Auf der tiefſten
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Flaumſchwaͤnzige Voͤgel (Ratiten).
Die ſtraußartigen oder flaumſchwaͤnzigen Voͤgel (Ra-
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nis), welche viel groͤßer waren als die jetzt lebenden groͤßten Strauße, ge-
hoͤren zu dieſer Gruppe. Wahrſcheinlich ſind die ſtraußartigen Voͤgel durch
Abgewoͤhnung des Fliegens, durch die damit verbundene Ruͤckbildung
der Flugmuskeln und des denſelben zum Anſatz dienenden Bruſtbein-
kammes, und durch entſprechend ſtaͤrkere Ausbildung der Hinterbeine
zum Laufen, aus einem Zweige der kielbruͤſtigen Voͤgel entſtanden.
Vielleicht ſind dieſelben jedoch auch, wie Huxley meint, naͤchſte Ver-
wandte der Dinauſaurier, und der dieſen naheſtehenden Reptilien, na-
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ſtigen erſt ſpaͤter aus den ſtraußartigen, als der urſpruͤnglichen Stamm-
gruppe der Klaſſe, entſtanden ſein.
Da die naͤhere Betrachtung der geſchichtlichen und genealogiſchen
Entwickelung der einzelnen Vogelordnungen gar kein beſonderes Jn-
tereſſe hat, wenden wir uns nun ſogleich zum Stammbaum der ach-
ten und letzten Wirbelthierklaſſe, der Saͤugethiere (Mammalia).
Ohne Zweifel iſt dies die bei weitem intereſſanteſte, vollkommenſte und
wichtigſte von allen Thierklaſſen. Denn in dieſe Klaſſe reiht die wiſ-
ſenſchaftliche Zoologie auch den Menſchen ein, und aus Gliedern die-
ſer Klaſſe hat ſich das Menſchengeſchlecht zunaͤchſt entwickelt. Wir
muͤſſen daher der Geſchichte und dem Stammbaum der Saͤugethiere
unſere beſondere Aufmerkſamkeit zuwenden. Laſſen Sie uns zu die-
ſem Zwecke wieder zunaͤchſt das Syſtem dieſer Thierklaſſe unter-
ſuchen.
Von den aͤlteren Naturforſchern wurde die Klaſſe der Saͤugethiere
mit vorzuͤglicher Ruͤckſicht auf die Bildung des Gebiſſes und der Fuͤße
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/485>, abgerufen am 24.11.2024.
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