ganzen Organisation eng an die Fische an. Die Pholidoten oder Reptilien dagegen sind viel näher den Vögeln verwandt. Es ge- hören dahin die Eidechsen, Schlangen, Krocodile und Schildkröten, und die vielgestaltige Formengruppe der mesolithischen Drachen, See- drachen, Flugeidechsen u. s. w.
Jm Anschluß an diese naturgemäße Scheidung der Amphibien in zwei Klassen theilte man nun den ganzen Stamm der Wirbelthiere in zwei Hauptgruppen. Die erste Hauptgruppe, die Fische und Am- phibien, athmen entweder zeitlebens oder doch in der Jugend durch Kiemen, und werden daher als Kiemenwirbelthiere bezeichnet (Branchiata oder Anallontoidia). Die zweite Hauptgruppe dagegen, Reptilien, Vögel, und Säugethiere, athmen zu keiner Zeit ihres Le- bens durch Kiemen, sondern ausschließlich durch Lungen, und heißen deshalb auch passend kiemenlose oder Lungenwirbelthiere (Ebran- chiata oder Allantoidia). So richtig diese Unterscheidung auch ist, so können wir doch bei derselben nicht stehen bleiben, wenn wir zu einem wahren natürlichen System des Wirbelthierstammes, und zu einem naturgemäßen Verständniß seines Stammbaums gelangen wollen. Vielmehr müssen wir dann, wie ich vor zwei Jahren in mei- ner generellen Morphologie gezeigt habe, noch drei weitere Wirbelthier- klassen unterscheiden, indem wir die bisherige Fischklasse in vier ver- schiedene Klassen auflösen (Gen. Morph. II. Bd., Taf. VII, S. CXVI -- CLX).
Die erste und niederste von diesen Klassen wird durch die Rohr- herzen(Leptocardia) oder Schädellosen(Acrania) gebildet, von denen heutzutage nur noch ein einziger Repräsentant lebt, das merkwür- dige Lanzetthierchen(Amphioxus lanceolatus). Als zweite Klasse schließen sich an diese zunächst die Unpaarnasen(Monorrhina) oder Rundmäuler(Cyclostoma) an, zu denen die Jnger (Myxi- noiden und die Lampreten (Petromyzonten) gehören. Die dritte Klasse erst würden die echten Fische(Pisces) bilden und an diese würden sich als vierte Klasse die Lurchfische(Dipneusta) anschließen: Uebergangsformen von den Fischen zu den Amphibien. Durch diese
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Kiemenwirbelthiere und Lungenwirbelthiere.
ganzen Organiſation eng an die Fiſche an. Die Pholidoten oder Reptilien dagegen ſind viel naͤher den Voͤgeln verwandt. Es ge- hoͤren dahin die Eidechſen, Schlangen, Krocodile und Schildkroͤten, und die vielgeſtaltige Formengruppe der meſolithiſchen Drachen, See- drachen, Flugeidechſen u. ſ. w.
Jm Anſchluß an dieſe naturgemaͤße Scheidung der Amphibien in zwei Klaſſen theilte man nun den ganzen Stamm der Wirbelthiere in zwei Hauptgruppen. Die erſte Hauptgruppe, die Fiſche und Am- phibien, athmen entweder zeitlebens oder doch in der Jugend durch Kiemen, und werden daher als Kiemenwirbelthiere bezeichnet (Branchiata oder Anallontoidia). Die zweite Hauptgruppe dagegen, Reptilien, Voͤgel, und Saͤugethiere, athmen zu keiner Zeit ihres Le- bens durch Kiemen, ſondern ausſchließlich durch Lungen, und heißen deshalb auch paſſend kiemenloſe oder Lungenwirbelthiere (Ebran- chiata oder Allantoidia). So richtig dieſe Unterſcheidung auch iſt, ſo koͤnnen wir doch bei derſelben nicht ſtehen bleiben, wenn wir zu einem wahren natuͤrlichen Syſtem des Wirbelthierſtammes, und zu einem naturgemaͤßen Verſtaͤndniß ſeines Stammbaums gelangen wollen. Vielmehr muͤſſen wir dann, wie ich vor zwei Jahren in mei- ner generellen Morphologie gezeigt habe, noch drei weitere Wirbelthier- klaſſen unterſcheiden, indem wir die bisherige Fiſchklaſſe in vier ver- ſchiedene Klaſſen aufloͤſen (Gen. Morph. II. Bd., Taf. VII, S. CXVI — CLX).
Die erſte und niederſte von dieſen Klaſſen wird durch die Rohr- herzen(Leptocardia) oder Schaͤdelloſen(Acrania) gebildet, von denen heutzutage nur noch ein einziger Repraͤſentant lebt, das merkwuͤr- dige Lanzetthierchen(Amphioxus lanceolatus). Als zweite Klaſſe ſchließen ſich an dieſe zunaͤchſt die Unpaarnaſen(Monorrhina) oder Rundmaͤuler(Cyclostoma) an, zu denen die Jnger (Myxi- noiden und die Lampreten (Petromyzonten) gehoͤren. Die dritte Klaſſe erſt wuͤrden die echten Fiſche(Pisces) bilden und an dieſe wuͤrden ſich als vierte Klaſſe die Lurchfiſche(Dipneusta) anſchließen: Uebergangsformen von den Fiſchen zu den Amphibien. Durch dieſe
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Kiemenwirbelthiere und Lungenwirbelthiere.
ganzen Organiſation eng an die Fiſche an. Die Pholidoten oder
Reptilien dagegen ſind viel naͤher den Voͤgeln verwandt. Es ge-
hoͤren dahin die Eidechſen, Schlangen, Krocodile und Schildkroͤten,
und die vielgeſtaltige Formengruppe der meſolithiſchen Drachen, See-
drachen, Flugeidechſen u. ſ. w.
Jm Anſchluß an dieſe naturgemaͤße Scheidung der Amphibien
in zwei Klaſſen theilte man nun den ganzen Stamm der Wirbelthiere
in zwei Hauptgruppen. Die erſte Hauptgruppe, die Fiſche und Am-
phibien, athmen entweder zeitlebens oder doch in der Jugend durch
Kiemen, und werden daher als Kiemenwirbelthiere bezeichnet
(Branchiata oder Anallontoidia). Die zweite Hauptgruppe dagegen,
Reptilien, Voͤgel, und Saͤugethiere, athmen zu keiner Zeit ihres Le-
bens durch Kiemen, ſondern ausſchließlich durch Lungen, und heißen
deshalb auch paſſend kiemenloſe oder Lungenwirbelthiere (Ebran-
chiata oder Allantoidia). So richtig dieſe Unterſcheidung auch iſt,
ſo koͤnnen wir doch bei derſelben nicht ſtehen bleiben, wenn wir zu
einem wahren natuͤrlichen Syſtem des Wirbelthierſtammes, und zu
einem naturgemaͤßen Verſtaͤndniß ſeines Stammbaums gelangen
wollen. Vielmehr muͤſſen wir dann, wie ich vor zwei Jahren in mei-
ner generellen Morphologie gezeigt habe, noch drei weitere Wirbelthier-
klaſſen unterſcheiden, indem wir die bisherige Fiſchklaſſe in vier ver-
ſchiedene Klaſſen aufloͤſen (Gen. Morph. II. Bd., Taf. VII, S.
CXVI — CLX).
Die erſte und niederſte von dieſen Klaſſen wird durch die Rohr-
herzen (Leptocardia) oder Schaͤdelloſen (Acrania) gebildet, von
denen heutzutage nur noch ein einziger Repraͤſentant lebt, das merkwuͤr-
dige Lanzetthierchen (Amphioxus lanceolatus). Als zweite Klaſſe
ſchließen ſich an dieſe zunaͤchſt die Unpaarnaſen (Monorrhina)
oder Rundmaͤuler (Cyclostoma) an, zu denen die Jnger (Myxi-
noiden und die Lampreten (Petromyzonten) gehoͤren. Die dritte
Klaſſe erſt wuͤrden die echten Fiſche (Pisces) bilden und an dieſe
wuͤrden ſich als vierte Klaſſe die Lurchfiſche (Dipneusta) anſchließen:
Uebergangsformen von den Fiſchen zu den Amphibien. Durch dieſe
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/460>, abgerufen am 24.11.2024.
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