Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Bedeutung der Mundtheile bei den Jnsecten.
men, welche wir noch heute an den im Wasser lebenden Larven der
Eintagsfliegen (Ephemera) beobachten.

Der Kopf der Jnsecten trägt allgemein außer den Augen ein
Paar gegliederte Fühlhörner oder Antennen, und außerdem auf jeder
Seite des Mundes drei Kiefer. Diese drei Kieferpaare, obgleich
bei allen Jnsecten aus derselben ursprünglichen Grundlage entstan-
den, haben sich durch verschiedenartige Anpassung bei den verschiedenen
Ordnungen zu höchst mannichfaltigen und merkwürdigen Formen um-
gebildet, so daß man sie hauptsächlich zur Unterscheidung und Cha-
rakteristik der Hauptabtheilungen der Klasse verwendet. Zunächst
kann man als zwei Hauptabtheilungen Jnsecten mit kauenden
Mundtheilen (Masticantia) und Jnsecten mit saugenden Mund-
werkzeugen (Sugentia) unterscheiden. Bei genauerer Betrachtung
kann man noch schärfer jede dieser beiden Abtheilungen in zwei
Untergruppen vertheilen. Unter den Kauinsecten oder Masticantien
können wir die beißenden und die leckenden unterscheiden. Zu den
Beißenden (Mordentia) gehören die ältesten und ursprünglichsten
Jnsecten, die vier Ordnungen der Urflügler, Netzflügler, Gradflügler
und Käfer. Die Leckenden (Lambentia) werden bloß durch die
eine Ordnung der Hautflügler gebildet. Unter den Sauginsecten
oder Sugentien können wir die beiden Gruppen der stechenden und
schlürfenden unterscheiden. Zu den Stechenden (Pungentia) ge-
hören die beiden Ordnungen der Halbflügler und Fliegen, zu den
Schlürfenden (Sorbentia) bloß die Schmetterlinge.

Als die ältesten Jnsecten, welche sich aus unbekannten, den
Skorpionsspinnen ähnlichen Arachniden entwickelten, betrachte ich die
beißenden, und zwar die Ordnung der Urflügler (Archiptera oder
Pseudoneuroptera). Dahin gehören vor allen die Eintagsfliegen
(Ephemera), deren im Wasser lebende Larven uns wahrscheinlich
noch heute in ihren Tracheenkiemen die Organe zeigen, aus denen die
Jnsectenflügel ursprünglich entstanden. Ferner gehören in diese Ord-
nung die bekannten Wasserjungfern oder Libellen, die flügellosen Zucker-
gäste (Lepisma), die springenden Blasenfüßer (Physopoda), und die

Bedeutung der Mundtheile bei den Jnſecten.
men, welche wir noch heute an den im Waſſer lebenden Larven der
Eintagsfliegen (Ephemera) beobachten.

Der Kopf der Jnſecten traͤgt allgemein außer den Augen ein
Paar gegliederte Fuͤhlhoͤrner oder Antennen, und außerdem auf jeder
Seite des Mundes drei Kiefer. Dieſe drei Kieferpaare, obgleich
bei allen Jnſecten aus derſelben urſpruͤnglichen Grundlage entſtan-
den, haben ſich durch verſchiedenartige Anpaſſung bei den verſchiedenen
Ordnungen zu hoͤchſt mannichfaltigen und merkwuͤrdigen Formen um-
gebildet, ſo daß man ſie hauptſaͤchlich zur Unterſcheidung und Cha-
rakteriſtik der Hauptabtheilungen der Klaſſe verwendet. Zunaͤchſt
kann man als zwei Hauptabtheilungen Jnſecten mit kauenden
Mundtheilen (Masticantia) und Jnſecten mit ſaugenden Mund-
werkzeugen (Sugentia) unterſcheiden. Bei genauerer Betrachtung
kann man noch ſchaͤrfer jede dieſer beiden Abtheilungen in zwei
Untergruppen vertheilen. Unter den Kauinſecten oder Maſticantien
koͤnnen wir die beißenden und die leckenden unterſcheiden. Zu den
Beißenden (Mordentia) gehoͤren die aͤlteſten und urſpruͤnglichſten
Jnſecten, die vier Ordnungen der Urfluͤgler, Netzfluͤgler, Gradfluͤgler
und Kaͤfer. Die Leckenden (Lambentia) werden bloß durch die
eine Ordnung der Hautfluͤgler gebildet. Unter den Sauginſecten
oder Sugentien koͤnnen wir die beiden Gruppen der ſtechenden und
ſchluͤrfenden unterſcheiden. Zu den Stechenden (Pungentia) ge-
hoͤren die beiden Ordnungen der Halbfluͤgler und Fliegen, zu den
Schluͤrfenden (Sorbentia) bloß die Schmetterlinge.

Als die aͤlteſten Jnſecten, welche ſich aus unbekannten, den
Skorpionsſpinnen aͤhnlichen Arachniden entwickelten, betrachte ich die
beißenden, und zwar die Ordnung der Urfluͤgler (Archiptera oder
Pseudoneuroptera). Dahin gehoͤren vor allen die Eintagsfliegen
(Ephemera), deren im Waſſer lebende Larven uns wahrſcheinlich
noch heute in ihren Tracheenkiemen die Organe zeigen, aus denen die
Jnſectenfluͤgel urſpruͤnglich entſtanden. Ferner gehoͤren in dieſe Ord-
nung die bekannten Waſſerjungfern oder Libellen, die fluͤgelloſen Zucker-
gaͤſte (Lepisma), die ſpringenden Blaſenfuͤßer (Physopoda), und die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0453" n="428"/><fw place="top" type="header">Bedeutung der Mundtheile bei den Jn&#x017F;ecten.</fw><lb/>
men, welche wir noch heute an den im Wa&#x017F;&#x017F;er lebenden Larven der<lb/>
Eintagsfliegen <hi rendition="#aq">(Ephemera)</hi> beobachten.</p><lb/>
        <p>Der Kopf der Jn&#x017F;ecten tra&#x0364;gt allgemein außer den Augen ein<lb/>
Paar gegliederte Fu&#x0364;hlho&#x0364;rner oder Antennen, und außerdem auf jeder<lb/>
Seite des Mundes drei Kiefer. Die&#x017F;e <hi rendition="#g">drei Kieferpaare,</hi> obgleich<lb/>
bei allen Jn&#x017F;ecten aus der&#x017F;elben ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Grundlage ent&#x017F;tan-<lb/>
den, haben &#x017F;ich durch ver&#x017F;chiedenartige Anpa&#x017F;&#x017F;ung bei den ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Ordnungen zu ho&#x0364;ch&#x017F;t mannichfaltigen und merkwu&#x0364;rdigen Formen um-<lb/>
gebildet, &#x017F;o daß man &#x017F;ie haupt&#x017F;a&#x0364;chlich zur Unter&#x017F;cheidung und Cha-<lb/>
rakteri&#x017F;tik der Hauptabtheilungen der Kla&#x017F;&#x017F;e verwendet. Zuna&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
kann man als zwei Hauptabtheilungen Jn&#x017F;ecten mit <hi rendition="#g">kauenden</hi><lb/>
Mundtheilen <hi rendition="#aq">(Masticantia)</hi> und Jn&#x017F;ecten mit <hi rendition="#g">&#x017F;augenden</hi> Mund-<lb/>
werkzeugen <hi rendition="#aq">(Sugentia)</hi> unter&#x017F;cheiden. Bei genauerer Betrachtung<lb/>
kann man noch &#x017F;cha&#x0364;rfer jede die&#x017F;er beiden Abtheilungen in zwei<lb/>
Untergruppen vertheilen. Unter den Kauin&#x017F;ecten oder Ma&#x017F;ticantien<lb/>
ko&#x0364;nnen wir die beißenden und die leckenden unter&#x017F;cheiden. Zu den<lb/><hi rendition="#g">Beißenden</hi> <hi rendition="#aq">(Mordentia)</hi> geho&#x0364;ren die a&#x0364;lte&#x017F;ten und ur&#x017F;pru&#x0364;nglich&#x017F;ten<lb/>
Jn&#x017F;ecten, die vier Ordnungen der Urflu&#x0364;gler, Netzflu&#x0364;gler, Gradflu&#x0364;gler<lb/>
und Ka&#x0364;fer. Die <hi rendition="#g">Leckenden</hi> <hi rendition="#aq">(Lambentia)</hi> werden bloß durch die<lb/>
eine Ordnung der Hautflu&#x0364;gler gebildet. Unter den Saugin&#x017F;ecten<lb/>
oder Sugentien ko&#x0364;nnen wir die beiden Gruppen der &#x017F;techenden und<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;rfenden unter&#x017F;cheiden. Zu den <hi rendition="#g">Stechenden</hi> <hi rendition="#aq">(Pungentia)</hi> ge-<lb/>
ho&#x0364;ren die beiden Ordnungen der Halbflu&#x0364;gler und Fliegen, zu den<lb/><hi rendition="#g">Schlu&#x0364;rfenden</hi> <hi rendition="#aq">(Sorbentia)</hi> bloß die Schmetterlinge.</p><lb/>
        <p>Als die a&#x0364;lte&#x017F;ten Jn&#x017F;ecten, welche &#x017F;ich aus unbekannten, den<lb/>
Skorpions&#x017F;pinnen a&#x0364;hnlichen Arachniden entwickelten, betrachte ich die<lb/>
beißenden, und zwar die Ordnung der <hi rendition="#g">Urflu&#x0364;gler</hi> (<hi rendition="#aq">Archiptera</hi> oder<lb/><hi rendition="#aq">Pseudoneuroptera).</hi> Dahin geho&#x0364;ren vor allen die Eintagsfliegen<lb/><hi rendition="#aq">(Ephemera),</hi> deren im Wa&#x017F;&#x017F;er lebende Larven uns wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
noch heute in ihren Tracheenkiemen die Organe zeigen, aus denen die<lb/>
Jn&#x017F;ectenflu&#x0364;gel ur&#x017F;pru&#x0364;nglich ent&#x017F;tanden. Ferner geho&#x0364;ren in die&#x017F;e Ord-<lb/>
nung die bekannten Wa&#x017F;&#x017F;erjungfern oder Libellen, die flu&#x0364;gello&#x017F;en Zucker-<lb/>
ga&#x0364;&#x017F;te <hi rendition="#aq">(Lepisma),</hi> die &#x017F;pringenden Bla&#x017F;enfu&#x0364;ßer <hi rendition="#aq">(Physopoda),</hi> und die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0453] Bedeutung der Mundtheile bei den Jnſecten. men, welche wir noch heute an den im Waſſer lebenden Larven der Eintagsfliegen (Ephemera) beobachten. Der Kopf der Jnſecten traͤgt allgemein außer den Augen ein Paar gegliederte Fuͤhlhoͤrner oder Antennen, und außerdem auf jeder Seite des Mundes drei Kiefer. Dieſe drei Kieferpaare, obgleich bei allen Jnſecten aus derſelben urſpruͤnglichen Grundlage entſtan- den, haben ſich durch verſchiedenartige Anpaſſung bei den verſchiedenen Ordnungen zu hoͤchſt mannichfaltigen und merkwuͤrdigen Formen um- gebildet, ſo daß man ſie hauptſaͤchlich zur Unterſcheidung und Cha- rakteriſtik der Hauptabtheilungen der Klaſſe verwendet. Zunaͤchſt kann man als zwei Hauptabtheilungen Jnſecten mit kauenden Mundtheilen (Masticantia) und Jnſecten mit ſaugenden Mund- werkzeugen (Sugentia) unterſcheiden. Bei genauerer Betrachtung kann man noch ſchaͤrfer jede dieſer beiden Abtheilungen in zwei Untergruppen vertheilen. Unter den Kauinſecten oder Maſticantien koͤnnen wir die beißenden und die leckenden unterſcheiden. Zu den Beißenden (Mordentia) gehoͤren die aͤlteſten und urſpruͤnglichſten Jnſecten, die vier Ordnungen der Urfluͤgler, Netzfluͤgler, Gradfluͤgler und Kaͤfer. Die Leckenden (Lambentia) werden bloß durch die eine Ordnung der Hautfluͤgler gebildet. Unter den Sauginſecten oder Sugentien koͤnnen wir die beiden Gruppen der ſtechenden und ſchluͤrfenden unterſcheiden. Zu den Stechenden (Pungentia) ge- hoͤren die beiden Ordnungen der Halbfluͤgler und Fliegen, zu den Schluͤrfenden (Sorbentia) bloß die Schmetterlinge. Als die aͤlteſten Jnſecten, welche ſich aus unbekannten, den Skorpionsſpinnen aͤhnlichen Arachniden entwickelten, betrachte ich die beißenden, und zwar die Ordnung der Urfluͤgler (Archiptera oder Pseudoneuroptera). Dahin gehoͤren vor allen die Eintagsfliegen (Ephemera), deren im Waſſer lebende Larven uns wahrſcheinlich noch heute in ihren Tracheenkiemen die Organe zeigen, aus denen die Jnſectenfluͤgel urſpruͤnglich entſtanden. Ferner gehoͤren in dieſe Ord- nung die bekannten Waſſerjungfern oder Libellen, die fluͤgelloſen Zucker- gaͤſte (Lepisma), die ſpringenden Blaſenfuͤßer (Physopoda), und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/453
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/453>, abgerufen am 04.07.2024.