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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Stamm der Gliedfüßer oder Arthropoden.

Während uns die Geschichte dieser drei Sternthierklassen durch die
zahlreichen und vortrefflich erhaltenen Versteinerungen sehr genau er-
zählt wird, wissen wir dagegen von der geschichtlichen Entwickelung
der vierten Klasse, der Seewalzen (Holothuriae), fast Nichts. Die
Skeletbildung der Haut ist hier sehr unvollkommen und daher konnten
keine deutlichen Reste von ihrem langgestreckten walzenförmigen wurm-
ähnlichen Körper in fossilem Zustande erhalten bleiben. Dagegen läßt
sich aus der vergleichenden Anatomie der Holothurien erschließen, daß
dieselben wahrscheinlich aus einer Abtheilung der Seeigel durch Er-
weichung des Hautskelets entstanden sind.

Von den Sternthieren wenden wir uns zu dem fünften und höchst
entwickelten Stamm unter den wirbellosen Thieren, zu dem Phylum der
Gliedfüßer (Arthropoda). Wie schon vorher bemerkt wurde,
entspricht dieser Stamm der Klasse der Kerfe oder Jnsecten im
ursprünglichen Sinne Linne's. Er enthält wiederum vier Klassen,
nämlich 1. die echten sechsbeinigen Jnsecten; 2. die achtbeinigen Spin-
nen; 3. die mit zahlreichen Beinpaaren versehenen Tausendfüße und
4. die mit einer wechselnden Beinzahl versehenen Krebse oder Krusten-
thiere. Die letzte Klasse athmet Wasser durch Kiemen und kann daher
als Hauptklasse der kiemenathmenden Arthropoden oder Kiemenkerfe
(Carides) den drei ersten Klassen entgegengesetzt werden. Diese ath-
men Luft durch eigenthümliche Luftröhren oder Tracheen, und können
daher passend in der Hauptklasse der tracheenathmenden Arthropoden
oder Tracheenkerfe (Tracheata) vereinigt werden.

Bei allen Gliedfüßern sind, wie der Name sagt, die Beine deutlich
gegliedert, und dadurch, sowie durch die stärkere Differenzirung der
gegliederten Körperabschnitte oder Metameren unterscheiden sie sich we-
sentlich von den Würmern, mit denen sie Bär und Cuvier in dem Ty-
pus der Gliederthiere oder Articulaten vereinigten. Uebrigens stehen sie
den Gliedwürmern (Colelminthes) in jeder Beziehung so nahe, daß sie
kaum scharf von ihnen zu trennen sind. Jnsbesondere theilen sie mit
den Ringelwürmern die sehr charakteristische Form des centralen Ner-

Stamm der Gliedfuͤßer oder Arthropoden.

Waͤhrend uns die Geſchichte dieſer drei Sternthierklaſſen durch die
zahlreichen und vortrefflich erhaltenen Verſteinerungen ſehr genau er-
zaͤhlt wird, wiſſen wir dagegen von der geſchichtlichen Entwickelung
der vierten Klaſſe, der Seewalzen (Holothuriae), faſt Nichts. Die
Skeletbildung der Haut iſt hier ſehr unvollkommen und daher konnten
keine deutlichen Reſte von ihrem langgeſtreckten walzenfoͤrmigen wurm-
aͤhnlichen Koͤrper in foſſilem Zuſtande erhalten bleiben. Dagegen laͤßt
ſich aus der vergleichenden Anatomie der Holothurien erſchließen, daß
dieſelben wahrſcheinlich aus einer Abtheilung der Seeigel durch Er-
weichung des Hautſkelets entſtanden ſind.

Von den Sternthieren wenden wir uns zu dem fuͤnften und hoͤchſt
entwickelten Stamm unter den wirbelloſen Thieren, zu dem Phylum der
Gliedfuͤßer (Arthropoda). Wie ſchon vorher bemerkt wurde,
entſpricht dieſer Stamm der Klaſſe der Kerfe oder Jnſecten im
urſpruͤnglichen Sinne Linné’s. Er enthaͤlt wiederum vier Klaſſen,
naͤmlich 1. die echten ſechsbeinigen Jnſecten; 2. die achtbeinigen Spin-
nen; 3. die mit zahlreichen Beinpaaren verſehenen Tauſendfuͤße und
4. die mit einer wechſelnden Beinzahl verſehenen Krebſe oder Kruſten-
thiere. Die letzte Klaſſe athmet Waſſer durch Kiemen und kann daher
als Hauptklaſſe der kiemenathmenden Arthropoden oder Kiemenkerfe
(Carides) den drei erſten Klaſſen entgegengeſetzt werden. Dieſe ath-
men Luft durch eigenthuͤmliche Luftroͤhren oder Tracheen, und koͤnnen
daher paſſend in der Hauptklaſſe der tracheenathmenden Arthropoden
oder Tracheenkerfe (Tracheata) vereinigt werden.

Bei allen Gliedfuͤßern ſind, wie der Name ſagt, die Beine deutlich
gegliedert, und dadurch, ſowie durch die ſtaͤrkere Differenzirung der
gegliederten Koͤrperabſchnitte oder Metameren unterſcheiden ſie ſich we-
ſentlich von den Wuͤrmern, mit denen ſie Baͤr und Cuvier in dem Ty-
pus der Gliederthiere oder Articulaten vereinigten. Uebrigens ſtehen ſie
den Gliedwuͤrmern (Colelminthes) in jeder Beziehung ſo nahe, daß ſie
kaum ſcharf von ihnen zu trennen ſind. Jnsbeſondere theilen ſie mit
den Ringelwuͤrmern die ſehr charakteriſtiſche Form des centralen Ner-

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[422/0447] Stamm der Gliedfuͤßer oder Arthropoden. Waͤhrend uns die Geſchichte dieſer drei Sternthierklaſſen durch die zahlreichen und vortrefflich erhaltenen Verſteinerungen ſehr genau er- zaͤhlt wird, wiſſen wir dagegen von der geſchichtlichen Entwickelung der vierten Klaſſe, der Seewalzen (Holothuriae), faſt Nichts. Die Skeletbildung der Haut iſt hier ſehr unvollkommen und daher konnten keine deutlichen Reſte von ihrem langgeſtreckten walzenfoͤrmigen wurm- aͤhnlichen Koͤrper in foſſilem Zuſtande erhalten bleiben. Dagegen laͤßt ſich aus der vergleichenden Anatomie der Holothurien erſchließen, daß dieſelben wahrſcheinlich aus einer Abtheilung der Seeigel durch Er- weichung des Hautſkelets entſtanden ſind. Von den Sternthieren wenden wir uns zu dem fuͤnften und hoͤchſt entwickelten Stamm unter den wirbelloſen Thieren, zu dem Phylum der Gliedfuͤßer (Arthropoda). Wie ſchon vorher bemerkt wurde, entſpricht dieſer Stamm der Klaſſe der Kerfe oder Jnſecten im urſpruͤnglichen Sinne Linné’s. Er enthaͤlt wiederum vier Klaſſen, naͤmlich 1. die echten ſechsbeinigen Jnſecten; 2. die achtbeinigen Spin- nen; 3. die mit zahlreichen Beinpaaren verſehenen Tauſendfuͤße und 4. die mit einer wechſelnden Beinzahl verſehenen Krebſe oder Kruſten- thiere. Die letzte Klaſſe athmet Waſſer durch Kiemen und kann daher als Hauptklaſſe der kiemenathmenden Arthropoden oder Kiemenkerfe (Carides) den drei erſten Klaſſen entgegengeſetzt werden. Dieſe ath- men Luft durch eigenthuͤmliche Luftroͤhren oder Tracheen, und koͤnnen daher paſſend in der Hauptklaſſe der tracheenathmenden Arthropoden oder Tracheenkerfe (Tracheata) vereinigt werden. Bei allen Gliedfuͤßern ſind, wie der Name ſagt, die Beine deutlich gegliedert, und dadurch, ſowie durch die ſtaͤrkere Differenzirung der gegliederten Koͤrperabſchnitte oder Metameren unterſcheiden ſie ſich we- ſentlich von den Wuͤrmern, mit denen ſie Baͤr und Cuvier in dem Ty- pus der Gliederthiere oder Articulaten vereinigten. Uebrigens ſtehen ſie den Gliedwuͤrmern (Colelminthes) in jeder Beziehung ſo nahe, daß ſie kaum ſcharf von ihnen zu trennen ſind. Jnsbeſondere theilen ſie mit den Ringelwuͤrmern die ſehr charakteriſtiſche Form des centralen Ner-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/447>, abgerufen am 25.11.2024.