Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
Kammquallen oder Ctenophoren.

Aus einem Zweige der Schirmquallen hat sich wahrscheinlich
die dritte Klasse der Nesselthiere, die eigenthümliche Abtheilung der
Kammquallen (Ctenophora) entwickelt. Diese Quallen, welche
oft auch Rippenquallen oder Gurkenquallen genannt werden, besitzen
einen gurkenförmigen Körper, welcher, gleich dem Körper der meisten
Schirmquallen, krystallhell und durchsichtig wie geschliffenes Glas ist.
Ausgezeichnet sind die Kammquallen oder Rippenquallen durch ihre
eigenthümlichen Bewegungsorgane, nämlich acht Reihen von rudern-
den Wimperblättchen, die wie acht Rippen von einem Ende der Längs-
axe (vom Munde) zum entgegengesetzten Ende verlaufen. Von den
beiden Hauptabtheilungen derselben haben sich die Engmündigen
(Stenostoma) wohl erst später aus den Weitmündigen (Eury-
stoma)
entwickelt. Diese letzteren stammen wahrscheinlich direkt von
Schirmquallen ab.

Jndem wir nun den Stamm der Pflanzenthiere verlassen, wen-
den wir uns zu demjenigen Stamme des Thierreichs, welcher in ge-
nealogischer Beziehung die meisten Schwierigkeiten darbietet. Das ist
das Phylum der Würmer (Vermes oder Helminthes). Wie schon
vorher bemerkt, sind diese Schwierigkeiten höchst wahrscheinlich zum
größten Theil dadurch bedingt, daß dieser Stamm die gemeinsame
Ausgangsgruppe des ganzen Thierreichs ist, und daß er eine Masse
von divergenten Aesten enthält, die sich theils zu ganz selbststän-
digen Würmerklassen entwickelt, theils aber in die ursprünglichen
Wurzelformen der übrigen Stämme des Thierreichs umgebildet ha-
ben. Jeden der fünf übrigen Stämme konnten wir uns bildlich als
einen hochstämmigen Baum vorstellen, dessen Stamm uns in sei-
ner Verzweigung die verschiedenen Klassen, Ordnungen, Familien
u. s. w. repräsentirt. Das Phylum der würmer dagegen können wir
nicht in einem solchen Bilde darstellen. Vielmehr würden wir uns
dasselbe als einen niedrigen Busch oder Strauch zu denken haben, aus
dessen Wurzel eine Masse von selbstständigen Zweigen nach verschiede-
nen Richtungen hin emporschießen. Und wenn man annimmt, daß
das ganze Thierreich in dem Würmerstamm seine gemeinsame Wurzel

Kammquallen oder Ctenophoren.

Aus einem Zweige der Schirmquallen hat ſich wahrſcheinlich
die dritte Klaſſe der Neſſelthiere, die eigenthuͤmliche Abtheilung der
Kammquallen (Ctenophora) entwickelt. Dieſe Quallen, welche
oft auch Rippenquallen oder Gurkenquallen genannt werden, beſitzen
einen gurkenfoͤrmigen Koͤrper, welcher, gleich dem Koͤrper der meiſten
Schirmquallen, kryſtallhell und durchſichtig wie geſchliffenes Glas iſt.
Ausgezeichnet ſind die Kammquallen oder Rippenquallen durch ihre
eigenthuͤmlichen Bewegungsorgane, naͤmlich acht Reihen von rudern-
den Wimperblaͤttchen, die wie acht Rippen von einem Ende der Laͤngs-
axe (vom Munde) zum entgegengeſetzten Ende verlaufen. Von den
beiden Hauptabtheilungen derſelben haben ſich die Engmuͤndigen
(Stenostoma) wohl erſt ſpaͤter aus den Weitmuͤndigen (Eury-
stoma)
entwickelt. Dieſe letzteren ſtammen wahrſcheinlich direkt von
Schirmquallen ab.

Jndem wir nun den Stamm der Pflanzenthiere verlaſſen, wen-
den wir uns zu demjenigen Stamme des Thierreichs, welcher in ge-
nealogiſcher Beziehung die meiſten Schwierigkeiten darbietet. Das iſt
das Phylum der Wuͤrmer (Vermes oder Helminthes). Wie ſchon
vorher bemerkt, ſind dieſe Schwierigkeiten hoͤchſt wahrſcheinlich zum
groͤßten Theil dadurch bedingt, daß dieſer Stamm die gemeinſame
Ausgangsgruppe des ganzen Thierreichs iſt, und daß er eine Maſſe
von divergenten Aeſten enthaͤlt, die ſich theils zu ganz ſelbſtſtaͤn-
digen Wuͤrmerklaſſen entwickelt, theils aber in die urſpruͤnglichen
Wurzelformen der uͤbrigen Staͤmme des Thierreichs umgebildet ha-
ben. Jeden der fuͤnf uͤbrigen Staͤmme konnten wir uns bildlich als
einen hochſtaͤmmigen Baum vorſtellen, deſſen Stamm uns in ſei-
ner Verzweigung die verſchiedenen Klaſſen, Ordnungen, Familien
u. ſ. w. repraͤſentirt. Das Phylum der wuͤrmer dagegen koͤnnen wir
nicht in einem ſolchen Bilde darſtellen. Vielmehr wuͤrden wir uns
daſſelbe als einen niedrigen Buſch oder Strauch zu denken haben, aus
deſſen Wurzel eine Maſſe von ſelbſtſtaͤndigen Zweigen nach verſchiede-
nen Richtungen hin emporſchießen. Und wenn man annimmt, daß
das ganze Thierreich in dem Wuͤrmerſtamm ſeine gemeinſame Wurzel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0427" n="402"/>
        <fw place="top" type="header">Kammquallen oder Ctenophoren.</fw><lb/>
        <p>Aus einem Zweige der Schirmquallen hat &#x017F;ich wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
die dritte Kla&#x017F;&#x017F;e der Ne&#x017F;&#x017F;elthiere, die eigenthu&#x0364;mliche Abtheilung der<lb/><hi rendition="#g">Kammquallen</hi> <hi rendition="#aq">(Ctenophora)</hi> entwickelt. Die&#x017F;e Quallen, welche<lb/>
oft auch Rippenquallen oder Gurkenquallen genannt werden, be&#x017F;itzen<lb/>
einen gurkenfo&#x0364;rmigen Ko&#x0364;rper, welcher, gleich dem Ko&#x0364;rper der mei&#x017F;ten<lb/>
Schirmquallen, kry&#x017F;tallhell und durch&#x017F;ichtig wie ge&#x017F;chliffenes Glas i&#x017F;t.<lb/>
Ausgezeichnet &#x017F;ind die Kammquallen oder Rippenquallen durch ihre<lb/>
eigenthu&#x0364;mlichen Bewegungsorgane, na&#x0364;mlich acht Reihen von rudern-<lb/>
den Wimperbla&#x0364;ttchen, die wie acht Rippen von einem Ende der La&#x0364;ngs-<lb/>
axe (vom Munde) zum entgegenge&#x017F;etzten Ende verlaufen. Von den<lb/>
beiden Hauptabtheilungen der&#x017F;elben haben &#x017F;ich die <hi rendition="#g">Engmu&#x0364;ndigen</hi><lb/><hi rendition="#aq">(Stenostoma)</hi> wohl er&#x017F;t &#x017F;pa&#x0364;ter aus den <hi rendition="#g">Weitmu&#x0364;ndigen</hi> <hi rendition="#aq">(Eury-<lb/>
stoma)</hi> entwickelt. Die&#x017F;e letzteren &#x017F;tammen wahr&#x017F;cheinlich direkt von<lb/>
Schirmquallen ab.</p><lb/>
        <p>Jndem wir nun den Stamm der Pflanzenthiere verla&#x017F;&#x017F;en, wen-<lb/>
den wir uns zu demjenigen Stamme des Thierreichs, welcher in ge-<lb/>
nealogi&#x017F;cher Beziehung die mei&#x017F;ten Schwierigkeiten darbietet. Das i&#x017F;t<lb/>
das Phylum der <hi rendition="#g">Wu&#x0364;rmer</hi> (<hi rendition="#aq">Vermes</hi> oder <hi rendition="#aq">Helminthes</hi>). Wie &#x017F;chon<lb/>
vorher bemerkt, &#x017F;ind die&#x017F;e Schwierigkeiten ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich zum<lb/>
gro&#x0364;ßten Theil dadurch bedingt, daß die&#x017F;er Stamm die gemein&#x017F;ame<lb/>
Ausgangsgruppe des ganzen Thierreichs i&#x017F;t, und daß er eine Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
von divergenten Ae&#x017F;ten entha&#x0364;lt, die &#x017F;ich theils zu ganz &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digen Wu&#x0364;rmerkla&#x017F;&#x017F;en entwickelt, theils aber in die ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
Wurzelformen der u&#x0364;brigen Sta&#x0364;mme des Thierreichs umgebildet ha-<lb/>
ben. Jeden der fu&#x0364;nf u&#x0364;brigen Sta&#x0364;mme konnten wir uns bildlich als<lb/>
einen hoch&#x017F;ta&#x0364;mmigen Baum vor&#x017F;tellen, de&#x017F;&#x017F;en Stamm uns in &#x017F;ei-<lb/>
ner Verzweigung die ver&#x017F;chiedenen Kla&#x017F;&#x017F;en, Ordnungen, Familien<lb/>
u. &#x017F;. w. repra&#x0364;&#x017F;entirt. Das Phylum der wu&#x0364;rmer dagegen ko&#x0364;nnen wir<lb/>
nicht in einem &#x017F;olchen Bilde dar&#x017F;tellen. Vielmehr wu&#x0364;rden wir uns<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe als einen niedrigen Bu&#x017F;ch oder Strauch zu denken haben, aus<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Wurzel eine Ma&#x017F;&#x017F;e von &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigen Zweigen nach ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Richtungen hin empor&#x017F;chießen. Und wenn man annimmt, daß<lb/>
das ganze Thierreich in dem Wu&#x0364;rmer&#x017F;tamm &#x017F;eine gemein&#x017F;ame Wurzel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0427] Kammquallen oder Ctenophoren. Aus einem Zweige der Schirmquallen hat ſich wahrſcheinlich die dritte Klaſſe der Neſſelthiere, die eigenthuͤmliche Abtheilung der Kammquallen (Ctenophora) entwickelt. Dieſe Quallen, welche oft auch Rippenquallen oder Gurkenquallen genannt werden, beſitzen einen gurkenfoͤrmigen Koͤrper, welcher, gleich dem Koͤrper der meiſten Schirmquallen, kryſtallhell und durchſichtig wie geſchliffenes Glas iſt. Ausgezeichnet ſind die Kammquallen oder Rippenquallen durch ihre eigenthuͤmlichen Bewegungsorgane, naͤmlich acht Reihen von rudern- den Wimperblaͤttchen, die wie acht Rippen von einem Ende der Laͤngs- axe (vom Munde) zum entgegengeſetzten Ende verlaufen. Von den beiden Hauptabtheilungen derſelben haben ſich die Engmuͤndigen (Stenostoma) wohl erſt ſpaͤter aus den Weitmuͤndigen (Eury- stoma) entwickelt. Dieſe letzteren ſtammen wahrſcheinlich direkt von Schirmquallen ab. Jndem wir nun den Stamm der Pflanzenthiere verlaſſen, wen- den wir uns zu demjenigen Stamme des Thierreichs, welcher in ge- nealogiſcher Beziehung die meiſten Schwierigkeiten darbietet. Das iſt das Phylum der Wuͤrmer (Vermes oder Helminthes). Wie ſchon vorher bemerkt, ſind dieſe Schwierigkeiten hoͤchſt wahrſcheinlich zum groͤßten Theil dadurch bedingt, daß dieſer Stamm die gemeinſame Ausgangsgruppe des ganzen Thierreichs iſt, und daß er eine Maſſe von divergenten Aeſten enthaͤlt, die ſich theils zu ganz ſelbſtſtaͤn- digen Wuͤrmerklaſſen entwickelt, theils aber in die urſpruͤnglichen Wurzelformen der uͤbrigen Staͤmme des Thierreichs umgebildet ha- ben. Jeden der fuͤnf uͤbrigen Staͤmme konnten wir uns bildlich als einen hochſtaͤmmigen Baum vorſtellen, deſſen Stamm uns in ſei- ner Verzweigung die verſchiedenen Klaſſen, Ordnungen, Familien u. ſ. w. repraͤſentirt. Das Phylum der wuͤrmer dagegen koͤnnen wir nicht in einem ſolchen Bilde darſtellen. Vielmehr wuͤrden wir uns daſſelbe als einen niedrigen Buſch oder Strauch zu denken haben, aus deſſen Wurzel eine Maſſe von ſelbſtſtaͤndigen Zweigen nach verſchiede- nen Richtungen hin emporſchießen. Und wenn man annimmt, daß das ganze Thierreich in dem Wuͤrmerſtamm ſeine gemeinſame Wurzel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/427
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/427>, abgerufen am 23.11.2024.