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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Stamm der Pflanzenthiere oder Cölenteraten.
Körperform, der Mangel freier Ortsbewegung, die Stockbildung und
die Fortpflanzung so ähnlich den entsprechenden Verhältnissen bei
den Pflanzen, daß man dieselben noch im Beginn des vorigen Jahr-
hunderts ganz allgemein für wirkliche Pflanzen hielt. Der alte Name
Zoophyta, was wörtlich übersetzt "Pflanzenthiere" bedeutet, war da-
her gar nicht übel gewählt. Die Bezeichnung Coelenterata erhielten
dieselben von Leuckart, welcher 1848 zuerst ihre eigenthümliche Or-
ganisation erkannte und sie als eine ganz selbstständige Hauptab-
theilung des Thierreichs aufstellte. Durch die Bezeichnung Coelente-
rata
wird der besondere anatomische Charakter ausgedrückt, durch
welchen sich die Pflanzenthiere von allen übrigen Thieren unterscheiden.
Bei den letzteren werden nämlich allgemein (nur die niedrigsten For-
men ausgenommen) die vier verschiedenen Functionen der Ernäh-
rungsthätigkeit: Verdauung, Blutumlauf, Athmung und Ausscheidung
durch vier ganz verschiedene Organsysteme bewerkstelligt, durch den
Darm, das Blutgefäßsystem, die Athmungsorgane und die Harn-
apparate. Bei den Coelenteraten dagegen sind diese Functionen und
ihre Organe noch nicht getrennt, und sie werden sämmtlich durch ein ein-
ziges System von Ernährungskanälen vertreten, durch das sogenannte
Gastrovascularsystem oder den coelenterischen Darmgefäßapparat.
Der Mund, welcher zugleich After ist, führt in einen Magen, in wel-
chen die übrigen Hohlräume des Körpers offen einmünden. Alle
Pflanzenthiere leben im Wasser, und die allermeisten im Meere. Nur
sehr wenige leben im süßen Wasser, nämlich die Süßwasserschwämme
(Spongilla) und einige Urpolypen (Hydra, Cordylophora).

Der Stamm der Pflanzenthiere zerfällt in zwei verschiedene
Hauptklassen, in die Schwämme oder Spongien und in die
Nesselthiere oder Akalephen. Die letztere ist viel formenreicher
und höher organisirt, als die erstere, welche die niederen Pflanzen-
thiere und darunter die ursprünglichen Stammformen des ganzen
Stammes enthält. Bei den Schwämmen sind allgemein die ganze
Körperform sowohl als die einzelnen Organe viel weniger differenzirt
und vervollkommnet als bei den Nesselthieren. Jnsbesondere fehlen

Stamm der Pflanzenthiere oder Coͤlenteraten.
Koͤrperform, der Mangel freier Ortsbewegung, die Stockbildung und
die Fortpflanzung ſo aͤhnlich den entſprechenden Verhaͤltniſſen bei
den Pflanzen, daß man dieſelben noch im Beginn des vorigen Jahr-
hunderts ganz allgemein fuͤr wirkliche Pflanzen hielt. Der alte Name
Zoophyta, was woͤrtlich uͤberſetzt „Pflanzenthiere“ bedeutet, war da-
her gar nicht uͤbel gewaͤhlt. Die Bezeichnung Coelenterata erhielten
dieſelben von Leuckart, welcher 1848 zuerſt ihre eigenthuͤmliche Or-
ganiſation erkannte und ſie als eine ganz ſelbſtſtaͤndige Hauptab-
theilung des Thierreichs aufſtellte. Durch die Bezeichnung Coelente-
rata
wird der beſondere anatomiſche Charakter ausgedruͤckt, durch
welchen ſich die Pflanzenthiere von allen uͤbrigen Thieren unterſcheiden.
Bei den letzteren werden naͤmlich allgemein (nur die niedrigſten For-
men ausgenommen) die vier verſchiedenen Functionen der Ernaͤh-
rungsthaͤtigkeit: Verdauung, Blutumlauf, Athmung und Ausſcheidung
durch vier ganz verſchiedene Organſyſteme bewerkſtelligt, durch den
Darm, das Blutgefaͤßſyſtem, die Athmungsorgane und die Harn-
apparate. Bei den Coelenteraten dagegen ſind dieſe Functionen und
ihre Organe noch nicht getrennt, und ſie werden ſaͤmmtlich durch ein ein-
ziges Syſtem von Ernaͤhrungskanaͤlen vertreten, durch das ſogenannte
Gaſtrovascularſyſtem oder den coelenteriſchen Darmgefaͤßapparat.
Der Mund, welcher zugleich After iſt, fuͤhrt in einen Magen, in wel-
chen die uͤbrigen Hohlraͤume des Koͤrpers offen einmuͤnden. Alle
Pflanzenthiere leben im Waſſer, und die allermeiſten im Meere. Nur
ſehr wenige leben im ſuͤßen Waſſer, naͤmlich die Suͤßwaſſerſchwaͤmme
(Spongilla) und einige Urpolypen (Hydra, Cordylophora).

Der Stamm der Pflanzenthiere zerfaͤllt in zwei verſchiedene
Hauptklaſſen, in die Schwaͤmme oder Spongien und in die
Neſſelthiere oder Akalephen. Die letztere iſt viel formenreicher
und hoͤher organiſirt, als die erſtere, welche die niederen Pflanzen-
thiere und darunter die urſpruͤnglichen Stammformen des ganzen
Stammes enthaͤlt. Bei den Schwaͤmmen ſind allgemein die ganze
Koͤrperform ſowohl als die einzelnen Organe viel weniger differenzirt
und vervollkommnet als bei den Neſſelthieren. Jnsbeſondere fehlen

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[396/0421] Stamm der Pflanzenthiere oder Coͤlenteraten. Koͤrperform, der Mangel freier Ortsbewegung, die Stockbildung und die Fortpflanzung ſo aͤhnlich den entſprechenden Verhaͤltniſſen bei den Pflanzen, daß man dieſelben noch im Beginn des vorigen Jahr- hunderts ganz allgemein fuͤr wirkliche Pflanzen hielt. Der alte Name Zoophyta, was woͤrtlich uͤberſetzt „Pflanzenthiere“ bedeutet, war da- her gar nicht uͤbel gewaͤhlt. Die Bezeichnung Coelenterata erhielten dieſelben von Leuckart, welcher 1848 zuerſt ihre eigenthuͤmliche Or- ganiſation erkannte und ſie als eine ganz ſelbſtſtaͤndige Hauptab- theilung des Thierreichs aufſtellte. Durch die Bezeichnung Coelente- rata wird der beſondere anatomiſche Charakter ausgedruͤckt, durch welchen ſich die Pflanzenthiere von allen uͤbrigen Thieren unterſcheiden. Bei den letzteren werden naͤmlich allgemein (nur die niedrigſten For- men ausgenommen) die vier verſchiedenen Functionen der Ernaͤh- rungsthaͤtigkeit: Verdauung, Blutumlauf, Athmung und Ausſcheidung durch vier ganz verſchiedene Organſyſteme bewerkſtelligt, durch den Darm, das Blutgefaͤßſyſtem, die Athmungsorgane und die Harn- apparate. Bei den Coelenteraten dagegen ſind dieſe Functionen und ihre Organe noch nicht getrennt, und ſie werden ſaͤmmtlich durch ein ein- ziges Syſtem von Ernaͤhrungskanaͤlen vertreten, durch das ſogenannte Gaſtrovascularſyſtem oder den coelenteriſchen Darmgefaͤßapparat. Der Mund, welcher zugleich After iſt, fuͤhrt in einen Magen, in wel- chen die uͤbrigen Hohlraͤume des Koͤrpers offen einmuͤnden. Alle Pflanzenthiere leben im Waſſer, und die allermeiſten im Meere. Nur ſehr wenige leben im ſuͤßen Waſſer, naͤmlich die Suͤßwaſſerſchwaͤmme (Spongilla) und einige Urpolypen (Hydra, Cordylophora). Der Stamm der Pflanzenthiere zerfaͤllt in zwei verſchiedene Hauptklaſſen, in die Schwaͤmme oder Spongien und in die Neſſelthiere oder Akalephen. Die letztere iſt viel formenreicher und hoͤher organiſirt, als die erſtere, welche die niederen Pflanzen- thiere und darunter die urſpruͤnglichen Stammformen des ganzen Stammes enthaͤlt. Bei den Schwaͤmmen ſind allgemein die ganze Koͤrperform ſowohl als die einzelnen Organe viel weniger differenzirt und vervollkommnet als bei den Neſſelthieren. Jnsbeſondere fehlen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/421>, abgerufen am 22.11.2024.