sende von äußerst feinen Schleimfäden ausstrahlt, falschen Füßchen, Scheinfüßchen oder Pseudopodien, welche sich wurzelförmig verästeln, netzförmig verbinden, und in beständigem Formwechsel gleich den ein- facheren Schleimfüßchen der Amoeboiden oder Protoplasten befindlich sind. Diese veränderlichen Scheinfüßchen dienen sowohl zur Ortsbe- wegung, als zur Nahrungsaufnahme.
Die Klasse der Wurzelfüßer zerfällt in drei verschiedene Legionen, die Kammerwesen oder Acyttarien, die Sonnenwesen oder Heliozoen und die Strahlwesen oder Radiolarien. Die erste und niederste von diesen drei Legionen bilden die Kammerwesen(Acyttaria). Hier besteht nämlich der ganze weiche Leib noch aus einfachem schleimigem Zellstoff oder Plasma, das noch nicht in Zellen differenzirt ist. Allein trotz dieser höchst primitiven Leibesbeschaffenheit schwitzen die Kammer- wesen dennoch meistens eine feste, aus Kalkerde bestehende Schale aus, welche eine große Mannichfaltigkeit zierlicher Formbildung zeigt. Bei den älteren und einfacheren Acyttarien ist diese Schale eine einfache, glockenförmige, röhrenförmige oder schneckenhausförmige Kammer, aus deren Mündung ein Bündel von Schleimfäden hervortritt. Jm Gegensatz zu diesen Einkammerwesen(Monothalamia) besitzen die Vielkammerwesen(Polythalamia), zu denen die große Mehr- zahl der Acyttarien gehört, ein Gehäuse, welches aus zahlreichen Kammern in sehr künstlicher Weise zusammengesetzt ist. Bald liegen diese Kammern in einer Reihe hinter einander, bald in concentrischen Kreisen oder Spiralen ringförmig um einen Mittelpunkt herum, und dann oft in vielen Etagen übereinander, gleich den Logen eines großen Amphitheaters. Diese Bildung besitzen z. B. die Nummuliten, deren linsengroße Kalkschalen, zu Milliarden angehäuft, an der Mittelmeer- küste ganze Gebirge zusammensetzen. Die Steine, aus denen die egyptischen Pyramiden aufgebaut sind, bestehen aus solchem Nummu- litenkalk. Jn den meisten Fällen sind die Schalenkammern der Poly- thalamien in einer Spirallinie um einander gewunden. Die Kammern stehen mit einander durch Gänge und Thüren in Verbindung, gleich den Zimmern eines großen Palastes, und sind nach außen gewöhn-
Einkammerige und vielkammerige Acyttarien.
ſende von aͤußerſt feinen Schleimfaͤden ausſtrahlt, falſchen Fuͤßchen, Scheinfuͤßchen oder Pſeudopodien, welche ſich wurzelfoͤrmig veraͤſteln, netzfoͤrmig verbinden, und in beſtaͤndigem Formwechſel gleich den ein- facheren Schleimfuͤßchen der Amoeboiden oder Protoplaſten befindlich ſind. Dieſe veraͤnderlichen Scheinfuͤßchen dienen ſowohl zur Ortsbe- wegung, als zur Nahrungsaufnahme.
Die Klaſſe der Wurzelfuͤßer zerfaͤllt in drei verſchiedene Legionen, die Kammerweſen oder Acyttarien, die Sonnenweſen oder Heliozoen und die Strahlweſen oder Radiolarien. Die erſte und niederſte von dieſen drei Legionen bilden die Kammerweſen(Acyttaria). Hier beſteht naͤmlich der ganze weiche Leib noch aus einfachem ſchleimigem Zellſtoff oder Plasma, das noch nicht in Zellen differenzirt iſt. Allein trotz dieſer hoͤchſt primitiven Leibesbeſchaffenheit ſchwitzen die Kammer- weſen dennoch meiſtens eine feſte, aus Kalkerde beſtehende Schale aus, welche eine große Mannichfaltigkeit zierlicher Formbildung zeigt. Bei den aͤlteren und einfacheren Acyttarien iſt dieſe Schale eine einfache, glockenfoͤrmige, roͤhrenfoͤrmige oder ſchneckenhausfoͤrmige Kammer, aus deren Muͤndung ein Buͤndel von Schleimfaͤden hervortritt. Jm Gegenſatz zu dieſen Einkammerweſen(Monothalamia) beſitzen die Vielkammerweſen(Polythalamia), zu denen die große Mehr- zahl der Acyttarien gehoͤrt, ein Gehaͤuſe, welches aus zahlreichen Kammern in ſehr kuͤnſtlicher Weiſe zuſammengeſetzt iſt. Bald liegen dieſe Kammern in einer Reihe hinter einander, bald in concentriſchen Kreiſen oder Spiralen ringfoͤrmig um einen Mittelpunkt herum, und dann oft in vielen Etagen uͤbereinander, gleich den Logen eines großen Amphitheaters. Dieſe Bildung beſitzen z. B. die Nummuliten, deren linſengroße Kalkſchalen, zu Milliarden angehaͤuft, an der Mittelmeer- kuͤſte ganze Gebirge zuſammenſetzen. Die Steine, aus denen die egyptiſchen Pyramiden aufgebaut ſind, beſtehen aus ſolchem Nummu- litenkalk. Jn den meiſten Faͤllen ſind die Schalenkammern der Poly- thalamien in einer Spirallinie um einander gewunden. Die Kammern ſtehen mit einander durch Gaͤnge und Thuͤren in Verbindung, gleich den Zimmern eines großen Palaſtes, und ſind nach außen gewoͤhn-
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Einkammerige und vielkammerige Acyttarien.
ſende von aͤußerſt feinen Schleimfaͤden ausſtrahlt, falſchen Fuͤßchen,
Scheinfuͤßchen oder Pſeudopodien, welche ſich wurzelfoͤrmig veraͤſteln,
netzfoͤrmig verbinden, und in beſtaͤndigem Formwechſel gleich den ein-
facheren Schleimfuͤßchen der Amoeboiden oder Protoplaſten befindlich
ſind. Dieſe veraͤnderlichen Scheinfuͤßchen dienen ſowohl zur Ortsbe-
wegung, als zur Nahrungsaufnahme.
Die Klaſſe der Wurzelfuͤßer zerfaͤllt in drei verſchiedene Legionen,
die Kammerweſen oder Acyttarien, die Sonnenweſen oder Heliozoen
und die Strahlweſen oder Radiolarien. Die erſte und niederſte von
dieſen drei Legionen bilden die Kammerweſen (Acyttaria). Hier
beſteht naͤmlich der ganze weiche Leib noch aus einfachem ſchleimigem
Zellſtoff oder Plasma, das noch nicht in Zellen differenzirt iſt. Allein
trotz dieſer hoͤchſt primitiven Leibesbeſchaffenheit ſchwitzen die Kammer-
weſen dennoch meiſtens eine feſte, aus Kalkerde beſtehende Schale
aus, welche eine große Mannichfaltigkeit zierlicher Formbildung zeigt.
Bei den aͤlteren und einfacheren Acyttarien iſt dieſe Schale eine einfache,
glockenfoͤrmige, roͤhrenfoͤrmige oder ſchneckenhausfoͤrmige Kammer,
aus deren Muͤndung ein Buͤndel von Schleimfaͤden hervortritt. Jm
Gegenſatz zu dieſen Einkammerweſen (Monothalamia) beſitzen
die Vielkammerweſen (Polythalamia), zu denen die große Mehr-
zahl der Acyttarien gehoͤrt, ein Gehaͤuſe, welches aus zahlreichen
Kammern in ſehr kuͤnſtlicher Weiſe zuſammengeſetzt iſt. Bald liegen
dieſe Kammern in einer Reihe hinter einander, bald in concentriſchen
Kreiſen oder Spiralen ringfoͤrmig um einen Mittelpunkt herum, und
dann oft in vielen Etagen uͤbereinander, gleich den Logen eines großen
Amphitheaters. Dieſe Bildung beſitzen z. B. die Nummuliten, deren
linſengroße Kalkſchalen, zu Milliarden angehaͤuft, an der Mittelmeer-
kuͤſte ganze Gebirge zuſammenſetzen. Die Steine, aus denen die
egyptiſchen Pyramiden aufgebaut ſind, beſtehen aus ſolchem Nummu-
litenkalk. Jn den meiſten Faͤllen ſind die Schalenkammern der Poly-
thalamien in einer Spirallinie um einander gewunden. Die Kammern
ſtehen mit einander durch Gaͤnge und Thuͤren in Verbindung, gleich
den Zimmern eines großen Palaſtes, und ſind nach außen gewoͤhn-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/361>, abgerufen am 26.11.2024.
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