Die Schöpfungsurkunde der vergleichenden Anatomie.
Arbeitstheilung jener Zellen die unendlich mannichfaltigen Körperformen der vielzelligen Organismen entstanden. So hilft uns die Ontogenie über viele und große Lücken der Paläontologie hinweg.
Zu den unschätzbaren Schöpfungsurkunden der Paläontologie und Ontogenie gesellen sich nun drittens die nicht minder wichtigen Zeugnisse für die Blutsverwandtschaft der Organismen, welche uns die vergleichende Anatomie liefert. Wenn äußerlich sehr ver- schiedene Organismen in ihrem inneren Bau nahezu übereinstimmen, so können Sie daraus mit Sicherheit schließen, daß diese Ueberein- stimmung ihren Grund in der Vererbung, jene Ungleichheit dagegen ihren Grund in der Anpassung hat. Betrachten Sie z. B. vergleichend die Gliedmaaßen oder Extremitäten der verschiedenen Säugethiere, den Arm des Menschen, den Flügel der Fledermaus, den zum Graben eingerichteten Vorderfuß des Maulwurfs, und die zum Springen Klettern oder Laufen dienenden Vorderfüße anderer Säugethiere. Wenn Sie nun finden, daß allen diesen äußerst verschiedenen Bil- dungen dieselben Knochen in derselben Zahl, gegenseitigen Lagerung und Verbindung zu Grunde liegen, so werden Sie hierin den wich- tigsten Beweis für ihre wirkliche Blutsverwandtschaft finden. Es ist ganz undenkbar, daß irgend eine andere Ursache als die gemeinschaft- liche Vererbung von gemeinsamen Stammeltern diese wunderbare Homologie oder Gleichheit im wesentlichen inneren Bau bei so verschie- dener äußerer Form verursacht habe. Und wenn Sie nun im Sy- stem von den Säugethieren weiter hinuntersteigen, und finden, daß sogar bei den Vögeln die Flügel, bei den Reptilien und Amphibien die Vorderfüße, wesentlich in derselben Weise aus denselben Knochen zusammengesetzt sind, wie die Arme des Menschen und die Vorder- beine der übrigen Säugethiere, so können Sie schon daraus auf die gemeinsame Abstammung aller dieser Wirbelthiere mit voller Sicherheit schließen. Der Grad der inneren Formverwandtschaft enthüllt Jhnen hier, wie überall, den Grad der Blutsverwandtschaft.
Die Schoͤpfungsurkunde der vergleichenden Anatomie.
Arbeitstheilung jener Zellen die unendlich mannichfaltigen Koͤrperformen der vielzelligen Organismen entſtanden. So hilft uns die Ontogenie uͤber viele und große Luͤcken der Palaͤontologie hinweg.
Zu den unſchaͤtzbaren Schoͤpfungsurkunden der Palaͤontologie und Ontogenie geſellen ſich nun drittens die nicht minder wichtigen Zeugniſſe fuͤr die Blutsverwandtſchaft der Organismen, welche uns die vergleichende Anatomie liefert. Wenn aͤußerlich ſehr ver- ſchiedene Organismen in ihrem inneren Bau nahezu uͤbereinſtimmen, ſo koͤnnen Sie daraus mit Sicherheit ſchließen, daß dieſe Ueberein- ſtimmung ihren Grund in der Vererbung, jene Ungleichheit dagegen ihren Grund in der Anpaſſung hat. Betrachten Sie z. B. vergleichend die Gliedmaaßen oder Extremitaͤten der verſchiedenen Saͤugethiere, den Arm des Menſchen, den Fluͤgel der Fledermaus, den zum Graben eingerichteten Vorderfuß des Maulwurfs, und die zum Springen Klettern oder Laufen dienenden Vorderfuͤße anderer Saͤugethiere. Wenn Sie nun finden, daß allen dieſen aͤußerſt verſchiedenen Bil- dungen dieſelben Knochen in derſelben Zahl, gegenſeitigen Lagerung und Verbindung zu Grunde liegen, ſo werden Sie hierin den wich- tigſten Beweis fuͤr ihre wirkliche Blutsverwandtſchaft finden. Es iſt ganz undenkbar, daß irgend eine andere Urſache als die gemeinſchaft- liche Vererbung von gemeinſamen Stammeltern dieſe wunderbare Homologie oder Gleichheit im weſentlichen inneren Bau bei ſo verſchie- dener aͤußerer Form verurſacht habe. Und wenn Sie nun im Sy- ſtem von den Saͤugethieren weiter hinunterſteigen, und finden, daß ſogar bei den Voͤgeln die Fluͤgel, bei den Reptilien und Amphibien die Vorderfuͤße, weſentlich in derſelben Weiſe aus denſelben Knochen zuſammengeſetzt ſind, wie die Arme des Menſchen und die Vorder- beine der uͤbrigen Saͤugethiere, ſo koͤnnen Sie ſchon daraus auf die gemeinſame Abſtammung aller dieſer Wirbelthiere mit voller Sicherheit ſchließen. Der Grad der inneren Formverwandtſchaft enthuͤllt Jhnen hier, wie uͤberall, den Grad der Blutsverwandtſchaft.
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Die Schoͤpfungsurkunde der vergleichenden Anatomie.
Arbeitstheilung jener Zellen die unendlich mannichfaltigen Koͤrperformen
der vielzelligen Organismen entſtanden. So hilft uns die Ontogenie
uͤber viele und große Luͤcken der Palaͤontologie hinweg.
Zu den unſchaͤtzbaren Schoͤpfungsurkunden der Palaͤontologie
und Ontogenie geſellen ſich nun drittens die nicht minder wichtigen
Zeugniſſe fuͤr die Blutsverwandtſchaft der Organismen, welche uns
die vergleichende Anatomie liefert. Wenn aͤußerlich ſehr ver-
ſchiedene Organismen in ihrem inneren Bau nahezu uͤbereinſtimmen,
ſo koͤnnen Sie daraus mit Sicherheit ſchließen, daß dieſe Ueberein-
ſtimmung ihren Grund in der Vererbung, jene Ungleichheit dagegen
ihren Grund in der Anpaſſung hat. Betrachten Sie z. B. vergleichend
die Gliedmaaßen oder Extremitaͤten der verſchiedenen Saͤugethiere, den
Arm des Menſchen, den Fluͤgel der Fledermaus, den zum Graben
eingerichteten Vorderfuß des Maulwurfs, und die zum Springen
Klettern oder Laufen dienenden Vorderfuͤße anderer Saͤugethiere.
Wenn Sie nun finden, daß allen dieſen aͤußerſt verſchiedenen Bil-
dungen dieſelben Knochen in derſelben Zahl, gegenſeitigen Lagerung
und Verbindung zu Grunde liegen, ſo werden Sie hierin den wich-
tigſten Beweis fuͤr ihre wirkliche Blutsverwandtſchaft finden. Es iſt
ganz undenkbar, daß irgend eine andere Urſache als die gemeinſchaft-
liche Vererbung von gemeinſamen Stammeltern dieſe wunderbare
Homologie oder Gleichheit im weſentlichen inneren Bau bei ſo verſchie-
dener aͤußerer Form verurſacht habe. Und wenn Sie nun im Sy-
ſtem von den Saͤugethieren weiter hinunterſteigen, und finden, daß
ſogar bei den Voͤgeln die Fluͤgel, bei den Reptilien und Amphibien
die Vorderfuͤße, weſentlich in derſelben Weiſe aus denſelben Knochen
zuſammengeſetzt ſind, wie die Arme des Menſchen und die Vorder-
beine der uͤbrigen Saͤugethiere, ſo koͤnnen Sie ſchon daraus auf die
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/340>, abgerufen am 27.11.2024.
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