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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Entstehung organischer Verbindungen außerhalb der Organismen.
lich von der jetzigen verschieden. Ferner waren, wie sich aus chemi-
schen, physikalischen und geologischen Gründen schließen läßt, der
Dichtigkeitszustand und die elektrischen Verhältnisse der Athmosphäre
nothwendiger Weise ganz andere. Ebenso war auch jedenfalls die
chemische und physikalische Beschaffenheit des Urmeeres, welches da-
mals als eine ununterbrochene Wasserhülle die ganze Erdoberfläche
im Zusammenhang bedeckte, ganz eigenthümlich. Temperatur, Dich-
tigkeit, Salzgehalt u. s. w. müssen sehr von denen der jetzigen Meere
verschieden gewesen sein. Es bleibt also auf jeden Fall für uns, wenn
wir auch sonst Nichts weiter davon wissen, die Annahme wenigstens
nicht bestreitbar, daß zu jener Zeit unter ganz anderen Bedingungen
eine Urzeugung möglich gewesen sei, die heutzutage vielleicht nicht
mehr möglich ist.

Nun kommt aber dazu, daß durch die neueren Fortschritte der
Chemie und Physiologie das Räthselhafte und Wunderbare, das zu-
nächst der viel bestrittene und doch nothwendige Vorgang der Urzeu-
gung an sich zu haben scheint, größtentheils oder eigentlich ganz zer-
stört worden ist. Es ist erst vierzig Jahre her, daß noch sämmtliche
Chemiker behaupteten, wir seien nicht im Stande, irgend eine zu-
sammengesetzte Kohlenstoffverbindung oder eine sogenannte "organische
Verbindung" künstlich in unseren Laboratorien herzustellen. Nur die
mystische "Lebenskraft" sollte diese Verbindungen zu Stande bringen
können. Als daher 1828 Wöhler in Göttingen zum ersten Male
dieses Dogma thatsächlich widerlegte, und auf künstlichem Wege aus
rein anorganischen Körpern (Cyan- und Ammoniakverbindungen) den
rein "organischen" Harnstoff darstellte, war man im höchsten Grade
erstaunt und überrascht. Jn der neueren Zeit ist es nun durch die
Fortschritte der synthetischen Chemie gelungen, derartige "organische"
Kohlenstoffverbindungen rein künstlich in großer Mannichfaltigkeit in
unseren Laboratorien aus anorganischen Substanzen herzustellen, z. B.
Alkohol, Essigsäure, Ameisensäure u. s. w. Selbst viele höchst ver-
wickelte Kohlenstoffverbindungen werden jetzt künstlich zusammengesetzt,
so daß alle Aussicht vorhanden ist, auch die am meisten zusammen-

Entſtehung organiſcher Verbindungen außerhalb der Organismen.
lich von der jetzigen verſchieden. Ferner waren, wie ſich aus chemi-
ſchen, phyſikaliſchen und geologiſchen Gruͤnden ſchließen laͤßt, der
Dichtigkeitszuſtand und die elektriſchen Verhaͤltniſſe der Athmoſphaͤre
nothwendiger Weiſe ganz andere. Ebenſo war auch jedenfalls die
chemiſche und phyſikaliſche Beſchaffenheit des Urmeeres, welches da-
mals als eine ununterbrochene Waſſerhuͤlle die ganze Erdoberflaͤche
im Zuſammenhang bedeckte, ganz eigenthuͤmlich. Temperatur, Dich-
tigkeit, Salzgehalt u. ſ. w. muͤſſen ſehr von denen der jetzigen Meere
verſchieden geweſen ſein. Es bleibt alſo auf jeden Fall fuͤr uns, wenn
wir auch ſonſt Nichts weiter davon wiſſen, die Annahme wenigſtens
nicht beſtreitbar, daß zu jener Zeit unter ganz anderen Bedingungen
eine Urzeugung moͤglich geweſen ſei, die heutzutage vielleicht nicht
mehr moͤglich iſt.

Nun kommt aber dazu, daß durch die neueren Fortſchritte der
Chemie und Phyſiologie das Raͤthſelhafte und Wunderbare, das zu-
naͤchſt der viel beſtrittene und doch nothwendige Vorgang der Urzeu-
gung an ſich zu haben ſcheint, groͤßtentheils oder eigentlich ganz zer-
ſtoͤrt worden iſt. Es iſt erſt vierzig Jahre her, daß noch ſaͤmmtliche
Chemiker behaupteten, wir ſeien nicht im Stande, irgend eine zu-
ſammengeſetzte Kohlenſtoffverbindung oder eine ſogenannte „organiſche
Verbindung“ kuͤnſtlich in unſeren Laboratorien herzuſtellen. Nur die
myſtiſche „Lebenskraft“ ſollte dieſe Verbindungen zu Stande bringen
koͤnnen. Als daher 1828 Woͤhler in Goͤttingen zum erſten Male
dieſes Dogma thatſaͤchlich widerlegte, und auf kuͤnſtlichem Wege aus
rein anorganiſchen Koͤrpern (Cyan- und Ammoniakverbindungen) den
rein „organiſchen“ Harnſtoff darſtellte, war man im hoͤchſten Grade
erſtaunt und uͤberraſcht. Jn der neueren Zeit iſt es nun durch die
Fortſchritte der ſynthetiſchen Chemie gelungen, derartige „organiſche“
Kohlenſtoffverbindungen rein kuͤnſtlich in großer Mannichfaltigkeit in
unſeren Laboratorien aus anorganiſchen Subſtanzen herzuſtellen, z. B.
Alkohol, Eſſigſaͤure, Ameiſenſaͤure u. ſ. w. Selbſt viele hoͤchſt ver-
wickelte Kohlenſtoffverbindungen werden jetzt kuͤnſtlich zuſammengeſetzt,
ſo daß alle Ausſicht vorhanden iſt, auch die am meiſten zuſammen-

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[282/0307] Entſtehung organiſcher Verbindungen außerhalb der Organismen. lich von der jetzigen verſchieden. Ferner waren, wie ſich aus chemi- ſchen, phyſikaliſchen und geologiſchen Gruͤnden ſchließen laͤßt, der Dichtigkeitszuſtand und die elektriſchen Verhaͤltniſſe der Athmoſphaͤre nothwendiger Weiſe ganz andere. Ebenſo war auch jedenfalls die chemiſche und phyſikaliſche Beſchaffenheit des Urmeeres, welches da- mals als eine ununterbrochene Waſſerhuͤlle die ganze Erdoberflaͤche im Zuſammenhang bedeckte, ganz eigenthuͤmlich. Temperatur, Dich- tigkeit, Salzgehalt u. ſ. w. muͤſſen ſehr von denen der jetzigen Meere verſchieden geweſen ſein. Es bleibt alſo auf jeden Fall fuͤr uns, wenn wir auch ſonſt Nichts weiter davon wiſſen, die Annahme wenigſtens nicht beſtreitbar, daß zu jener Zeit unter ganz anderen Bedingungen eine Urzeugung moͤglich geweſen ſei, die heutzutage vielleicht nicht mehr moͤglich iſt. Nun kommt aber dazu, daß durch die neueren Fortſchritte der Chemie und Phyſiologie das Raͤthſelhafte und Wunderbare, das zu- naͤchſt der viel beſtrittene und doch nothwendige Vorgang der Urzeu- gung an ſich zu haben ſcheint, groͤßtentheils oder eigentlich ganz zer- ſtoͤrt worden iſt. Es iſt erſt vierzig Jahre her, daß noch ſaͤmmtliche Chemiker behaupteten, wir ſeien nicht im Stande, irgend eine zu- ſammengeſetzte Kohlenſtoffverbindung oder eine ſogenannte „organiſche Verbindung“ kuͤnſtlich in unſeren Laboratorien herzuſtellen. Nur die myſtiſche „Lebenskraft“ ſollte dieſe Verbindungen zu Stande bringen koͤnnen. Als daher 1828 Woͤhler in Goͤttingen zum erſten Male dieſes Dogma thatſaͤchlich widerlegte, und auf kuͤnſtlichem Wege aus rein anorganiſchen Koͤrpern (Cyan- und Ammoniakverbindungen) den rein „organiſchen“ Harnſtoff darſtellte, war man im hoͤchſten Grade erſtaunt und uͤberraſcht. Jn der neueren Zeit iſt es nun durch die Fortſchritte der ſynthetiſchen Chemie gelungen, derartige „organiſche“ Kohlenſtoffverbindungen rein kuͤnſtlich in großer Mannichfaltigkeit in unſeren Laboratorien aus anorganiſchen Subſtanzen herzuſtellen, z. B. Alkohol, Eſſigſaͤure, Ameiſenſaͤure u. ſ. w. Selbſt viele hoͤchſt ver- wickelte Kohlenſtoffverbindungen werden jetzt kuͤnſtlich zuſammengeſetzt, ſo daß alle Ausſicht vorhanden iſt, auch die am meiſten zuſammen-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/307>, abgerufen am 25.11.2024.