stehenden Krystallen mit den entsprechenden Erscheinungen bei der Entstehung der einfachsten organischen Jndividuen (Moneren und Zellen) vergleichen. Die Analogie zwischen Beiden ist so groß, daß wirklich keine scharfe Grenze zu ziehen ist. Jn meiner generellen Morphologie habe ich hierfür eine Anzahl von schlagenden Thatsachen angeführt (Gen. Morph. I, 146, 156, 158).
Wenn Sie diese "Einheit der organischen und anor- ganischen Natur", diese wesentliche Uebereinstimmung der Orga- nismen und Anorgane in Stoff, Form und Kraft sich lebhaft vor Augen halten, wenn Sie sich erinnern, daß wir nicht im Stande sind, irgend welche fundamentalen Unterschiede zwischen diesen beiderlei Körpergruppen festzustellen (wie sie früherhin allgemein angenommen wurden), so verliert die Frage von der Urzeugung sehr viel von der Schwierigkeit, welche sie auf den ersten Blick zu haben scheint. Es wird uns dann die Entwickelung des ersten Organismus aus anorga- nischer Materie als ein viel leichter denkbarer und verständlicher Pro- ceß erscheinen, als es bisher der Fall war, wo man jene künstliche absolute Scheidewand zwischen organischer oder belebter und anorga- nischer oder lebloser Natur aufrecht erhielt.
Bei der Frage von der Urzeugung oder Archigonie, die wir jetzt bestimmter beantworten können, erinnern Sie sich zunächst daran, daß wir unter diesem Begriff ganz allgemein die elternlose Zeugung eines organischen Jndividuums, die Entste- hung eines Organismus unabhängig von einem elterlichen oder zeu- genden Organismus verstehen. Jn diesem Sinne haben wir früher die Urzeugung (Archigonia) der Elternzeugung oder Fortpflanzung (Tocogonia) entgegengesetz (S. 141). Bei der letzteren entsteht das organische Jndividuum dadurch, daß ein größerer oder geringerer Theil von einem bereits bestehenden Organismus sich ablöst und selbst- ständig weiter wächst (Gen. Morph. II, 32).
Von der Urzeugung, welche man auch oft als freiwillige oder ursprüngliche Zeugung bezeichnet (Generatio spontanea, aequivoca, primaria etc.), müssen wir zunächst zwei wesentlich verschiedene Arten
Einheit der organiſchen und anorganiſchen Natur.
ſtehenden Kryſtallen mit den entſprechenden Erſcheinungen bei der Entſtehung der einfachſten organiſchen Jndividuen (Moneren und Zellen) vergleichen. Die Analogie zwiſchen Beiden iſt ſo groß, daß wirklich keine ſcharfe Grenze zu ziehen iſt. Jn meiner generellen Morphologie habe ich hierfuͤr eine Anzahl von ſchlagenden Thatſachen angefuͤhrt (Gen. Morph. I, 146, 156, 158).
Wenn Sie dieſe „Einheit der organiſchen und anor- ganiſchen Natur“, dieſe weſentliche Uebereinſtimmung der Orga- nismen und Anorgane in Stoff, Form und Kraft ſich lebhaft vor Augen halten, wenn Sie ſich erinnern, daß wir nicht im Stande ſind, irgend welche fundamentalen Unterſchiede zwiſchen dieſen beiderlei Koͤrpergruppen feſtzuſtellen (wie ſie fruͤherhin allgemein angenommen wurden), ſo verliert die Frage von der Urzeugung ſehr viel von der Schwierigkeit, welche ſie auf den erſten Blick zu haben ſcheint. Es wird uns dann die Entwickelung des erſten Organismus aus anorga- niſcher Materie als ein viel leichter denkbarer und verſtaͤndlicher Pro- ceß erſcheinen, als es bisher der Fall war, wo man jene kuͤnſtliche abſolute Scheidewand zwiſchen organiſcher oder belebter und anorga- niſcher oder lebloſer Natur aufrecht erhielt.
Bei der Frage von der Urzeugung oder Archigonie, die wir jetzt beſtimmter beantworten koͤnnen, erinnern Sie ſich zunaͤchſt daran, daß wir unter dieſem Begriff ganz allgemein die elternloſe Zeugung eines organiſchen Jndividuums, die Entſte- hung eines Organismus unabhaͤngig von einem elterlichen oder zeu- genden Organismus verſtehen. Jn dieſem Sinne haben wir fruͤher die Urzeugung (Archigonia) der Elternzeugung oder Fortpflanzung (Tocogonia) entgegengeſetz (S. 141). Bei der letzteren entſteht das organiſche Jndividuum dadurch, daß ein groͤßerer oder geringerer Theil von einem bereits beſtehenden Organismus ſich abloͤſt und ſelbſt- ſtaͤndig weiter waͤchſt (Gen. Morph. II, 32).
Von der Urzeugung, welche man auch oft als freiwillige oder urſpruͤngliche Zeugung bezeichnet (Generatio spontanea, aequivoca, primaria etc.), muͤſſen wir zunaͤchſt zwei weſentlich verſchiedene Arten
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Einheit der organiſchen und anorganiſchen Natur.
ſtehenden Kryſtallen mit den entſprechenden Erſcheinungen bei der
Entſtehung der einfachſten organiſchen Jndividuen (Moneren und
Zellen) vergleichen. Die Analogie zwiſchen Beiden iſt ſo groß, daß
wirklich keine ſcharfe Grenze zu ziehen iſt. Jn meiner generellen
Morphologie habe ich hierfuͤr eine Anzahl von ſchlagenden Thatſachen
angefuͤhrt (Gen. Morph. I, 146, 156, 158).
Wenn Sie dieſe „Einheit der organiſchen und anor-
ganiſchen Natur“, dieſe weſentliche Uebereinſtimmung der Orga-
nismen und Anorgane in Stoff, Form und Kraft ſich lebhaft vor
Augen halten, wenn Sie ſich erinnern, daß wir nicht im Stande ſind,
irgend welche fundamentalen Unterſchiede zwiſchen dieſen beiderlei
Koͤrpergruppen feſtzuſtellen (wie ſie fruͤherhin allgemein angenommen
wurden), ſo verliert die Frage von der Urzeugung ſehr viel von der
Schwierigkeit, welche ſie auf den erſten Blick zu haben ſcheint. Es
wird uns dann die Entwickelung des erſten Organismus aus anorga-
niſcher Materie als ein viel leichter denkbarer und verſtaͤndlicher Pro-
ceß erſcheinen, als es bisher der Fall war, wo man jene kuͤnſtliche
abſolute Scheidewand zwiſchen organiſcher oder belebter und anorga-
niſcher oder lebloſer Natur aufrecht erhielt.
Bei der Frage von der Urzeugung oder Archigonie, die
wir jetzt beſtimmter beantworten koͤnnen, erinnern Sie ſich zunaͤchſt
daran, daß wir unter dieſem Begriff ganz allgemein die elternloſe
Zeugung eines organiſchen Jndividuums, die Entſte-
hung eines Organismus unabhaͤngig von einem elterlichen oder zeu-
genden Organismus verſtehen. Jn dieſem Sinne haben wir fruͤher
die Urzeugung (Archigonia) der Elternzeugung oder Fortpflanzung
(Tocogonia) entgegengeſetz (S. 141). Bei der letzteren entſteht das
organiſche Jndividuum dadurch, daß ein groͤßerer oder geringerer
Theil von einem bereits beſtehenden Organismus ſich abloͤſt und ſelbſt-
ſtaͤndig weiter waͤchſt (Gen. Morph. II, 32).
Von der Urzeugung, welche man auch oft als freiwillige oder
urſpruͤngliche Zeugung bezeichnet (Generatio spontanea, aequivoca,
primaria etc.), muͤſſen wir zunaͤchſt zwei weſentlich verſchiedene Arten
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/304>, abgerufen am 24.11.2024.
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