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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gesetz des Fortschritts oder der Vervollkommnung.
Spielarten, die beständige Divergenz der neuen Formen, und indem
diese durch Erblichkeit eine Anzahl von Generationen hindurch constant
erhalten werden, während die vermittelnden Zwischenformen aussterben,
bilden sie selbstständige "neue Arten". Die Entstehung neuer Species
durch die Arbeitstheilung oder Sonderung, Divergenz oder Differen-
zirung der Varietäten, ist mithin eine nothwendige Folge der
natürlichen Züchtung.

Dasselbe gilt nun auch von dem zweiten großen Gesetze, welches
wir unmittelbar aus der natürlichen Züchtung ableiten, und welches
dem Divergenzgesetze zwar sehr nahe verwandt aber keineswegs damit
identisch ist, nämlich von dem Gesetze des Fortschritts (Progres-
sus)
oder der Vervollkommnung (Teleosis). (Gen. Morph.
II, 257). Auch dieses große und wichtige Gesetz ist gleich dem Diffe-
renzirungsgesetze längst empirisch durch die paläontologische Erfahrung
festgestellt worden, ehe uns Darwin's Selectionstheorie den Schlüs-
sel zu seiner ursächlichen Erklärung lieferte. Die meisten ausgezeichneten
Paläontologen haben das Fortschrittsgesetz als allgemeinstes Resultat
ihrer Untersuchungen über die Versteinerungen und deren historische
Reihenfolge hingestellt, so namentlich der verdienstvolle Bronn, des-
sen Untersuchungen über die Gestaltungsgesetze 18) und Entwickelungs-
gesetze 19) der Organismen, obwohl wenig gewürdigt, dennoch vortreff-
lich sind, und die allgemeinste Beachtung verdienen. Die allgemeinen
Resultate, zu welchen Bronn bezüglich des Differenzirungs- und
Fortschrittsgesetzes auf rein empirischem Wege, durch außerordentlich
fleißige, mühsame und sorgfältige Untersuchungen gekommen ist, sind
glänzende Bestätigungen für die Wahrheit dieser beiden großen Ge-
setze, die wir als nothwendige Folgerungen aus der Selectionstheorie
ableiten müssen.

Das Gesetz des Fortschritts oder der Vervollkommnung consta-
tirt auf Grund der paläontologischen Erfahrung die äußerst wichtige
Thatsache, daß zu allen Zeiten des organischen Lebens auf der Erde
eine beständige Zunahme in der Vollkommenheit der organischen Bil-
dungen stattgefunden hat. Seit jener unvordenklichen Zeit, in welcher

Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung.
Spielarten, die beſtaͤndige Divergenz der neuen Formen, und indem
dieſe durch Erblichkeit eine Anzahl von Generationen hindurch conſtant
erhalten werden, waͤhrend die vermittelnden Zwiſchenformen ausſterben,
bilden ſie ſelbſtſtaͤndige „neue Arten“. Die Entſtehung neuer Species
durch die Arbeitstheilung oder Sonderung, Divergenz oder Differen-
zirung der Varietaͤten, iſt mithin eine nothwendige Folge der
natuͤrlichen Zuͤchtung.

Daſſelbe gilt nun auch von dem zweiten großen Geſetze, welches
wir unmittelbar aus der natuͤrlichen Zuͤchtung ableiten, und welches
dem Divergenzgeſetze zwar ſehr nahe verwandt aber keineswegs damit
identiſch iſt, naͤmlich von dem Geſetze des Fortſchritts (Progres-
sus)
oder der Vervollkommnung (Teleosis). (Gen. Morph.
II, 257). Auch dieſes große und wichtige Geſetz iſt gleich dem Diffe-
renzirungsgeſetze laͤngſt empiriſch durch die palaͤontologiſche Erfahrung
feſtgeſtellt worden, ehe uns Darwin’s Selectionstheorie den Schluͤſ-
ſel zu ſeiner urſaͤchlichen Erklaͤrung lieferte. Die meiſten ausgezeichneten
Palaͤontologen haben das Fortſchrittsgeſetz als allgemeinſtes Reſultat
ihrer Unterſuchungen uͤber die Verſteinerungen und deren hiſtoriſche
Reihenfolge hingeſtellt, ſo namentlich der verdienſtvolle Bronn, deſ-
ſen Unterſuchungen uͤber die Geſtaltungsgeſetze 18) und Entwickelungs-
geſetze 19) der Organismen, obwohl wenig gewuͤrdigt, dennoch vortreff-
lich ſind, und die allgemeinſte Beachtung verdienen. Die allgemeinen
Reſultate, zu welchen Bronn bezuͤglich des Differenzirungs- und
Fortſchrittsgeſetzes auf rein empiriſchem Wege, durch außerordentlich
fleißige, muͤhſame und ſorgfaͤltige Unterſuchungen gekommen iſt, ſind
glaͤnzende Beſtaͤtigungen fuͤr die Wahrheit dieſer beiden großen Ge-
ſetze, die wir als nothwendige Folgerungen aus der Selectionstheorie
ableiten muͤſſen.

Das Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung conſta-
tirt auf Grund der palaͤontologiſchen Erfahrung die aͤußerſt wichtige
Thatſache, daß zu allen Zeiten des organiſchen Lebens auf der Erde
eine beſtaͤndige Zunahme in der Vollkommenheit der organiſchen Bil-
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[224/0245] Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung. Spielarten, die beſtaͤndige Divergenz der neuen Formen, und indem dieſe durch Erblichkeit eine Anzahl von Generationen hindurch conſtant erhalten werden, waͤhrend die vermittelnden Zwiſchenformen ausſterben, bilden ſie ſelbſtſtaͤndige „neue Arten“. Die Entſtehung neuer Species durch die Arbeitstheilung oder Sonderung, Divergenz oder Differen- zirung der Varietaͤten, iſt mithin eine nothwendige Folge der natuͤrlichen Zuͤchtung. Daſſelbe gilt nun auch von dem zweiten großen Geſetze, welches wir unmittelbar aus der natuͤrlichen Zuͤchtung ableiten, und welches dem Divergenzgeſetze zwar ſehr nahe verwandt aber keineswegs damit identiſch iſt, naͤmlich von dem Geſetze des Fortſchritts (Progres- sus) oder der Vervollkommnung (Teleosis). (Gen. Morph. II, 257). Auch dieſes große und wichtige Geſetz iſt gleich dem Diffe- renzirungsgeſetze laͤngſt empiriſch durch die palaͤontologiſche Erfahrung feſtgeſtellt worden, ehe uns Darwin’s Selectionstheorie den Schluͤſ- ſel zu ſeiner urſaͤchlichen Erklaͤrung lieferte. Die meiſten ausgezeichneten Palaͤontologen haben das Fortſchrittsgeſetz als allgemeinſtes Reſultat ihrer Unterſuchungen uͤber die Verſteinerungen und deren hiſtoriſche Reihenfolge hingeſtellt, ſo namentlich der verdienſtvolle Bronn, deſ- ſen Unterſuchungen uͤber die Geſtaltungsgeſetze 18) und Entwickelungs- geſetze 19) der Organismen, obwohl wenig gewuͤrdigt, dennoch vortreff- lich ſind, und die allgemeinſte Beachtung verdienen. Die allgemeinen Reſultate, zu welchen Bronn bezuͤglich des Differenzirungs- und Fortſchrittsgeſetzes auf rein empiriſchem Wege, durch außerordentlich fleißige, muͤhſame und ſorgfaͤltige Unterſuchungen gekommen iſt, ſind glaͤnzende Beſtaͤtigungen fuͤr die Wahrheit dieſer beiden großen Ge- ſetze, die wir als nothwendige Folgerungen aus der Selectionstheorie ableiten muͤſſen. Das Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung conſta- tirt auf Grund der palaͤontologiſchen Erfahrung die aͤußerſt wichtige Thatſache, daß zu allen Zeiten des organiſchen Lebens auf der Erde eine beſtaͤndige Zunahme in der Vollkommenheit der organiſchen Bil- dungen ſtattgefunden hat. Seit jener unvordenklichen Zeit, in welcher

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/245>, abgerufen am 25.11.2024.