Morph. II., 249). Wir verstehen darunter die allgemeine Neigung aller organischen Jndividuen, sich in immer höherem Grade ungleich- artig auszubilden und von dem gemeinsamen Urbilde zu entfernen. Die Ursache dieser allgemeinen Neigung zur Sonderung und der da- durch bewirkten Hervorbildung ungleichartiger Formen aus gleichartiger Grundlage ist nach Darwin einfach auf den Umstand zurückführen, daß der Kampf um's Dasein zwischen je zwei Organismen um so heftiger entbrennt, je näher sich diese Jndi- viduen in jeder Beziehung stehen, je gleichartiger sie sind. Dies ist ein ungemein wichtiges und eigentlich äußerst einfaches Verhältniß, wel- ches aber gewöhnlich gar nicht gehörig in's Auge gefaßt wird.
Es wird Jedem von Jhnen einleuchten, daß auf einem Acker von bestimmter Größe neben den Kornpflanzen, die dort ausge- säet sind, eine große Anzahl von Unkräutern existiren können, und zwar an Stellen, welche nicht von den Kornpflanzen eingenommen werden könnten. Die trockneren, sterileren Stellen des Bodens, auf denen keine Kornpflanze gedeihen würde, können noch zum Unterhalt von Unkraut verschiedener Art dienen; und zwar werden davon um so mehr verschiedene Arten und Jndividuen neben einander existiren können, je besser die verschiedenen Unkrautarten geeignet sind, sich den verschie- denen Stellen des Ackerbodens anzupassen. Ebenso ist es mit den Thieren. Offenbar können in einem und demselben beschränkten Bezirk eine viel größere Anzahl von thierischen Jndividuen zusammenleben, wenn dieselben von mannichfach verschiedener Natur, als wenn sie alle gleich sind. Es giebt Bäume (wie z. B. die Eiche), auf welchen ein paar Hundert verschiedene Jnsectenarten neben einander leben. Die einen näh- ren sich von den Früchten des Baumes, die anderen von den Blättern, noch andere von der Rinde, der Wurzel u. s. f. Es wäre ganz unmöglich, daß die gleiche Zahl von Jndividuen auf diesem Baume lebte, wenn alle von einer Art wären, wenn z. B. alle nur von der Rinde oder nur von den Blättern lebten. Ganz dasselbe ist in der menschlichen Gesell- schaft der Fall. Jn einer und derselben kleinen Stadt kann eine be- stimmte Anzahl von Handwerkern nur leben, wenn dieselben verschie-
Geſetz der Sonderung oder Arbeitstheilung.
Morph. II., 249). Wir verſtehen darunter die allgemeine Neigung aller organiſchen Jndividuen, ſich in immer hoͤherem Grade ungleich- artig auszubilden und von dem gemeinſamen Urbilde zu entfernen. Die Urſache dieſer allgemeinen Neigung zur Sonderung und der da- durch bewirkten Hervorbildung ungleichartiger Formen aus gleichartiger Grundlage iſt nach Darwin einfach auf den Umſtand zuruͤckfuͤhren, daß der Kampf um’s Daſein zwiſchen je zwei Organismen um ſo heftiger entbrennt, je naͤher ſich dieſe Jndi- viduen in jeder Beziehung ſtehen, je gleichartiger ſie ſind. Dies iſt ein ungemein wichtiges und eigentlich aͤußerſt einfaches Verhaͤltniß, wel- ches aber gewoͤhnlich gar nicht gehoͤrig in’s Auge gefaßt wird.
Es wird Jedem von Jhnen einleuchten, daß auf einem Acker von beſtimmter Groͤße neben den Kornpflanzen, die dort ausge- ſaͤet ſind, eine große Anzahl von Unkraͤutern exiſtiren koͤnnen, und zwar an Stellen, welche nicht von den Kornpflanzen eingenommen werden koͤnnten. Die trockneren, ſterileren Stellen des Bodens, auf denen keine Kornpflanze gedeihen wuͤrde, koͤnnen noch zum Unterhalt von Unkraut verſchiedener Art dienen; und zwar werden davon um ſo mehr verſchiedene Arten und Jndividuen neben einander exiſtiren koͤnnen, je beſſer die verſchiedenen Unkrautarten geeignet ſind, ſich den verſchie- denen Stellen des Ackerbodens anzupaſſen. Ebenſo iſt es mit den Thieren. Offenbar koͤnnen in einem und demſelben beſchraͤnkten Bezirk eine viel groͤßere Anzahl von thieriſchen Jndividuen zuſammenleben, wenn dieſelben von mannichfach verſchiedener Natur, als wenn ſie alle gleich ſind. Es giebt Baͤume (wie z. B. die Eiche), auf welchen ein paar Hundert verſchiedene Jnſectenarten neben einander leben. Die einen naͤh- ren ſich von den Fruͤchten des Baumes, die anderen von den Blaͤttern, noch andere von der Rinde, der Wurzel u. ſ. f. Es waͤre ganz unmoͤglich, daß die gleiche Zahl von Jndividuen auf dieſem Baume lebte, wenn alle von einer Art waͤren, wenn z. B. alle nur von der Rinde oder nur von den Blaͤttern lebten. Ganz daſſelbe iſt in der menſchlichen Geſell- ſchaft der Fall. Jn einer und derſelben kleinen Stadt kann eine be- ſtimmte Anzahl von Handwerkern nur leben, wenn dieſelben verſchie-
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Geſetz der Sonderung oder Arbeitstheilung.
Morph. II., 249). Wir verſtehen darunter die allgemeine Neigung
aller organiſchen Jndividuen, ſich in immer hoͤherem Grade ungleich-
artig auszubilden und von dem gemeinſamen Urbilde zu entfernen.
Die Urſache dieſer allgemeinen Neigung zur Sonderung und der da-
durch bewirkten Hervorbildung ungleichartiger Formen
aus gleichartiger Grundlage iſt nach Darwin einfach auf
den Umſtand zuruͤckfuͤhren, daß der Kampf um’s Daſein zwiſchen je
zwei Organismen um ſo heftiger entbrennt, je naͤher ſich dieſe Jndi-
viduen in jeder Beziehung ſtehen, je gleichartiger ſie ſind. Dies iſt ein
ungemein wichtiges und eigentlich aͤußerſt einfaches Verhaͤltniß, wel-
ches aber gewoͤhnlich gar nicht gehoͤrig in’s Auge gefaßt wird.
Es wird Jedem von Jhnen einleuchten, daß auf einem Acker
von beſtimmter Groͤße neben den Kornpflanzen, die dort ausge-
ſaͤet ſind, eine große Anzahl von Unkraͤutern exiſtiren koͤnnen, und zwar
an Stellen, welche nicht von den Kornpflanzen eingenommen werden
koͤnnten. Die trockneren, ſterileren Stellen des Bodens, auf denen
keine Kornpflanze gedeihen wuͤrde, koͤnnen noch zum Unterhalt von
Unkraut verſchiedener Art dienen; und zwar werden davon um ſo mehr
verſchiedene Arten und Jndividuen neben einander exiſtiren koͤnnen,
je beſſer die verſchiedenen Unkrautarten geeignet ſind, ſich den verſchie-
denen Stellen des Ackerbodens anzupaſſen. Ebenſo iſt es mit den
Thieren. Offenbar koͤnnen in einem und demſelben beſchraͤnkten Bezirk
eine viel groͤßere Anzahl von thieriſchen Jndividuen zuſammenleben,
wenn dieſelben von mannichfach verſchiedener Natur, als wenn ſie alle
gleich ſind. Es giebt Baͤume (wie z. B. die Eiche), auf welchen ein paar
Hundert verſchiedene Jnſectenarten neben einander leben. Die einen naͤh-
ren ſich von den Fruͤchten des Baumes, die anderen von den Blaͤttern,
noch andere von der Rinde, der Wurzel u. ſ. f. Es waͤre ganz unmoͤglich,
daß die gleiche Zahl von Jndividuen auf dieſem Baume lebte, wenn alle
von einer Art waͤren, wenn z. B. alle nur von der Rinde oder nur
von den Blaͤttern lebten. Ganz daſſelbe iſt in der menſchlichen Geſell-
ſchaft der Fall. Jn einer und derſelben kleinen Stadt kann eine be-
ſtimmte Anzahl von Handwerkern nur leben, wenn dieſelben verſchie-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/239>, abgerufen am 25.11.2024.
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