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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gleichfarbige Zuchtwahl als Ursache der sympathischen Färbungen.
Thieren von größtem Nutzen ist. Wenn diese Thiere Raubthiere sind,
so werden sie sich dem Gegenstand ihres Appetits viel sicherer und un-
bemerkter nähern können, und ebenso werden die von ihnen verfolgten
Thiere viel leichter entfliehen können, wenn sie sich in der Färbung
möglichst wenig von ihrer Umgebung unterscheiden. Wenn also ur-
sprünglich eine Thierart in allen Farben variirte, so werden diejenigen
Jndividuen, deren Farbe am meisten derjenigen ihrer Umgebung glich,
im Kampf um's Dasein am meisten begünstigt gewesen sein. Sie
blieben unbemerkter, erhielten sich und pflanzten sich fort, während die
anders gefärbten Jndividuen oder Spielarten ausstarben.

Aus derselben gleichfarbigen Zuchtwahl läßt sich wohl auch die
merkwürdige Wasserähnlichkeit der pelagischen Glasthiere erklären,
die wunderbare Thatsache, daß die Mehrzahl der pelagischen Thiere,
d. h. derer, welche an der Oberfläche der offenen See leben, bläulich
oder ganz farblos, und glasartig durchsichtig ist, wie das Wasser selbst.
Solche farblose, glasartige Thiere kommen in den verschiedensten Klassen
vor. Es gehören dahin unter den Fischen die Helmichthyiden, durch
deren glashellen Körper hindurch man die Schrift eines Buches lesen
kann; unter den Weichthieren die Flossenschnecken und Kielschnecken; un-
ter den Würmern die Salpen, Alciope und Sagitta; ferner sehr zahl-
reiche pelagische Krebsthiere (Crustaceen) und der größte Theil der Me-
dusen (Schirmquallen, Kammquallen u. s. w.) Alle diese pelagischen
Thiere, welche an der Oberfläche des offenen Meeres schwimmen, sind
glasartig durchsichtig und farblos, wie das Wasser selbst, während
ihre nächsten Verwandten, die auf dem Grunde des Meeres leben,
gefärbt und undurchsichtig wie die Landbewohner sind. Auch diese
merkwürdige Thatsache läßt sich ebenso wie die sympathische Fär-
bung der Landbewohner durch die natürliche Züchtung erklären. Un-
ter den Voreltern der pelagischen Glasthiere, welche einen verschiede-
nen Grad von Farblosigkeit und Durchsichtigkeit zeigten, werden die-
jenigen, welche am meisten farblos und durchsichtig waren, offenbar
in dem lebhaften Kampf um's Dasein, der an der Meeresoberfläche
stattfindet, am meisten begünstigt gewesen sein. Sie konnten sich

Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen.
Thieren von groͤßtem Nutzen iſt. Wenn dieſe Thiere Raubthiere ſind,
ſo werden ſie ſich dem Gegenſtand ihres Appetits viel ſicherer und un-
bemerkter naͤhern koͤnnen, und ebenſo werden die von ihnen verfolgten
Thiere viel leichter entfliehen koͤnnen, wenn ſie ſich in der Faͤrbung
moͤglichſt wenig von ihrer Umgebung unterſcheiden. Wenn alſo ur-
ſpruͤnglich eine Thierart in allen Farben variirte, ſo werden diejenigen
Jndividuen, deren Farbe am meiſten derjenigen ihrer Umgebung glich,
im Kampf um’s Daſein am meiſten beguͤnſtigt geweſen ſein. Sie
blieben unbemerkter, erhielten ſich und pflanzten ſich fort, waͤhrend die
anders gefaͤrbten Jndividuen oder Spielarten ausſtarben.

Aus derſelben gleichfarbigen Zuchtwahl laͤßt ſich wohl auch die
merkwuͤrdige Waſſeraͤhnlichkeit der pelagiſchen Glasthiere erklaͤren,
die wunderbare Thatſache, daß die Mehrzahl der pelagiſchen Thiere,
d. h. derer, welche an der Oberflaͤche der offenen See leben, blaͤulich
oder ganz farblos, und glasartig durchſichtig iſt, wie das Waſſer ſelbſt.
Solche farbloſe, glasartige Thiere kommen in den verſchiedenſten Klaſſen
vor. Es gehoͤren dahin unter den Fiſchen die Helmichthyiden, durch
deren glashellen Koͤrper hindurch man die Schrift eines Buches leſen
kann; unter den Weichthieren die Floſſenſchnecken und Kielſchnecken; un-
ter den Wuͤrmern die Salpen, Alciope und Sagitta; ferner ſehr zahl-
reiche pelagiſche Krebsthiere (Cruſtaceen) und der groͤßte Theil der Me-
duſen (Schirmquallen, Kammquallen u. ſ. w.) Alle dieſe pelagiſchen
Thiere, welche an der Oberflaͤche des offenen Meeres ſchwimmen, ſind
glasartig durchſichtig und farblos, wie das Waſſer ſelbſt, waͤhrend
ihre naͤchſten Verwandten, die auf dem Grunde des Meeres leben,
gefaͤrbt und undurchſichtig wie die Landbewohner ſind. Auch dieſe
merkwuͤrdige Thatſache laͤßt ſich ebenſo wie die ſympathiſche Faͤr-
bung der Landbewohner durch die natuͤrliche Zuͤchtung erklaͤren. Un-
ter den Voreltern der pelagiſchen Glasthiere, welche einen verſchiede-
nen Grad von Farbloſigkeit und Durchſichtigkeit zeigten, werden die-
jenigen, welche am meiſten farblos und durchſichtig waren, offenbar
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[212/0233] Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen. Thieren von groͤßtem Nutzen iſt. Wenn dieſe Thiere Raubthiere ſind, ſo werden ſie ſich dem Gegenſtand ihres Appetits viel ſicherer und un- bemerkter naͤhern koͤnnen, und ebenſo werden die von ihnen verfolgten Thiere viel leichter entfliehen koͤnnen, wenn ſie ſich in der Faͤrbung moͤglichſt wenig von ihrer Umgebung unterſcheiden. Wenn alſo ur- ſpruͤnglich eine Thierart in allen Farben variirte, ſo werden diejenigen Jndividuen, deren Farbe am meiſten derjenigen ihrer Umgebung glich, im Kampf um’s Daſein am meiſten beguͤnſtigt geweſen ſein. Sie blieben unbemerkter, erhielten ſich und pflanzten ſich fort, waͤhrend die anders gefaͤrbten Jndividuen oder Spielarten ausſtarben. Aus derſelben gleichfarbigen Zuchtwahl laͤßt ſich wohl auch die merkwuͤrdige Waſſeraͤhnlichkeit der pelagiſchen Glasthiere erklaͤren, die wunderbare Thatſache, daß die Mehrzahl der pelagiſchen Thiere, d. h. derer, welche an der Oberflaͤche der offenen See leben, blaͤulich oder ganz farblos, und glasartig durchſichtig iſt, wie das Waſſer ſelbſt. Solche farbloſe, glasartige Thiere kommen in den verſchiedenſten Klaſſen vor. Es gehoͤren dahin unter den Fiſchen die Helmichthyiden, durch deren glashellen Koͤrper hindurch man die Schrift eines Buches leſen kann; unter den Weichthieren die Floſſenſchnecken und Kielſchnecken; un- ter den Wuͤrmern die Salpen, Alciope und Sagitta; ferner ſehr zahl- reiche pelagiſche Krebsthiere (Cruſtaceen) und der groͤßte Theil der Me- duſen (Schirmquallen, Kammquallen u. ſ. w.) Alle dieſe pelagiſchen Thiere, welche an der Oberflaͤche des offenen Meeres ſchwimmen, ſind glasartig durchſichtig und farblos, wie das Waſſer ſelbſt, waͤhrend ihre naͤchſten Verwandten, die auf dem Grunde des Meeres leben, gefaͤrbt und undurchſichtig wie die Landbewohner ſind. Auch dieſe merkwuͤrdige Thatſache laͤßt ſich ebenſo wie die ſympathiſche Faͤr- bung der Landbewohner durch die natuͤrliche Zuͤchtung erklaͤren. Un- ter den Voreltern der pelagiſchen Glasthiere, welche einen verſchiede- nen Grad von Farbloſigkeit und Durchſichtigkeit zeigten, werden die- jenigen, welche am meiſten farblos und durchſichtig waren, offenbar in dem lebhaften Kampf um’s Daſein, der an der Meeresoberflaͤche ſtattfindet, am meiſten beguͤnſtigt geweſen ſein. Sie konnten ſich

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/233>, abgerufen am 26.11.2024.