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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gleichfarbige Zuchtwahl als Ursache der sympathischen Färbungen.
unbewußt. Dieser wichtige Unterschied zwischen der künstlichen und na-
türlichen Züchtung verdient besondere Beachtung. Denn wir lernen hier-
durch verstehen, warum zweckmäßige Einrichtungen ebenso durch zweck-
los wirkende mechanische Ursachen, wie durch zweckmäßig thätige Endur-
sachen erzeugt werden können. Die Producte der natürlichen Züch-
tung sind ebenso zweckmäßig eingerichtet, wie die Kunstproducte des
Menschen, und dennoch verdanken sie ihre Entstehung nicht einer
zweckmäßig thätigen Schöpferkraft, sondern einem unbewußt und plan-
los wirkenden mechanischen Verhältniß. Wenn man nicht tiefer über
die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung unter dem Ein-
fluß des Kampfes um's Dasein nachgedacht hat, so ist man zunächst
nicht geneigt, solche Erfolge von diesem natürlichen Züchtungsproceß
zu erwarten, wie derselbe in der That liefert. Es ist daher wohl an-
gemessen, hier ein Paar Beispiele von der Wirksamkeit der natürlichen
Züchtung anzuführen.

Lassen Sie uns zunächst die von Darwin hervorgehobene
gleichfarbige Zuchtwahl oder die sogenannte "sympathische Far-
benwahl" der Thiere betrachten. Schon frühere Naturforscher haben
es sonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen
dieselbe Färbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der
sie sich beständig aufhalten. So sind z. B. die Blattläuse und viele
andere auf Blättern lebende Jnsecten grün gefärbt. Die Wüstenbe-
wohner, Springmäuse, Wüstenfüchse, Gazellen, Löwen u. s. w. sind
meist gelb oder gelblichbraun gefärbt, wie der Sand der Wüste. Die
Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, sind weiß oder grau,
wie Eis und Schnee. Viele von diesen ändern ihre Färbung im
Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver-
geht, wird das Fell dieser Polarthiere graubraun oder schwärzlich wie
der nackte Erdboden, während es im Winter wieder weiß wird.
Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glänzenden Blüthen
umschweben, gleichen diesen in der Färbung. Darwin erklärt nun
diese auffallende Thatsache ganz einfach dadurch, daß eine solche Fär-
bung, die übereinstimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden

14 *

Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen.
unbewußt. Dieſer wichtige Unterſchied zwiſchen der kuͤnſtlichen und na-
tuͤrlichen Zuͤchtung verdient beſondere Beachtung. Denn wir lernen hier-
durch verſtehen, warum zweckmaͤßige Einrichtungen ebenſo durch zweck-
los wirkende mechaniſche Urſachen, wie durch zweckmaͤßig thaͤtige Endur-
ſachen erzeugt werden koͤnnen. Die Producte der natuͤrlichen Zuͤch-
tung ſind ebenſo zweckmaͤßig eingerichtet, wie die Kunſtproducte des
Menſchen, und dennoch verdanken ſie ihre Entſtehung nicht einer
zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft, ſondern einem unbewußt und plan-
los wirkenden mechaniſchen Verhaͤltniß. Wenn man nicht tiefer uͤber
die Wechſelwirkung der Vererbung und Anpaſſung unter dem Ein-
fluß des Kampfes um’s Daſein nachgedacht hat, ſo iſt man zunaͤchſt
nicht geneigt, ſolche Erfolge von dieſem natuͤrlichen Zuͤchtungsproceß
zu erwarten, wie derſelbe in der That liefert. Es iſt daher wohl an-
gemeſſen, hier ein Paar Beiſpiele von der Wirkſamkeit der natuͤrlichen
Zuͤchtung anzufuͤhren.

Laſſen Sie uns zunaͤchſt die von Darwin hervorgehobene
gleichfarbige Zuchtwahl oder die ſogenannte „ſympathiſche Far-
benwahl“ der Thiere betrachten. Schon fruͤhere Naturforſcher haben
es ſonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen
dieſelbe Faͤrbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der
ſie ſich beſtaͤndig aufhalten. So ſind z. B. die Blattlaͤuſe und viele
andere auf Blaͤttern lebende Jnſecten gruͤn gefaͤrbt. Die Wuͤſtenbe-
wohner, Springmaͤuſe, Wuͤſtenfuͤchſe, Gazellen, Loͤwen u. ſ. w. ſind
meiſt gelb oder gelblichbraun gefaͤrbt, wie der Sand der Wuͤſte. Die
Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, ſind weiß oder grau,
wie Eis und Schnee. Viele von dieſen aͤndern ihre Faͤrbung im
Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver-
geht, wird das Fell dieſer Polarthiere graubraun oder ſchwaͤrzlich wie
der nackte Erdboden, waͤhrend es im Winter wieder weiß wird.
Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glaͤnzenden Bluͤthen
umſchweben, gleichen dieſen in der Faͤrbung. Darwin erklaͤrt nun
dieſe auffallende Thatſache ganz einfach dadurch, daß eine ſolche Faͤr-
bung, die uͤbereinſtimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden

14 *
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[211/0232] Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen. unbewußt. Dieſer wichtige Unterſchied zwiſchen der kuͤnſtlichen und na- tuͤrlichen Zuͤchtung verdient beſondere Beachtung. Denn wir lernen hier- durch verſtehen, warum zweckmaͤßige Einrichtungen ebenſo durch zweck- los wirkende mechaniſche Urſachen, wie durch zweckmaͤßig thaͤtige Endur- ſachen erzeugt werden koͤnnen. Die Producte der natuͤrlichen Zuͤch- tung ſind ebenſo zweckmaͤßig eingerichtet, wie die Kunſtproducte des Menſchen, und dennoch verdanken ſie ihre Entſtehung nicht einer zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft, ſondern einem unbewußt und plan- los wirkenden mechaniſchen Verhaͤltniß. Wenn man nicht tiefer uͤber die Wechſelwirkung der Vererbung und Anpaſſung unter dem Ein- fluß des Kampfes um’s Daſein nachgedacht hat, ſo iſt man zunaͤchſt nicht geneigt, ſolche Erfolge von dieſem natuͤrlichen Zuͤchtungsproceß zu erwarten, wie derſelbe in der That liefert. Es iſt daher wohl an- gemeſſen, hier ein Paar Beiſpiele von der Wirkſamkeit der natuͤrlichen Zuͤchtung anzufuͤhren. Laſſen Sie uns zunaͤchſt die von Darwin hervorgehobene gleichfarbige Zuchtwahl oder die ſogenannte „ſympathiſche Far- benwahl“ der Thiere betrachten. Schon fruͤhere Naturforſcher haben es ſonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen dieſelbe Faͤrbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der ſie ſich beſtaͤndig aufhalten. So ſind z. B. die Blattlaͤuſe und viele andere auf Blaͤttern lebende Jnſecten gruͤn gefaͤrbt. Die Wuͤſtenbe- wohner, Springmaͤuſe, Wuͤſtenfuͤchſe, Gazellen, Loͤwen u. ſ. w. ſind meiſt gelb oder gelblichbraun gefaͤrbt, wie der Sand der Wuͤſte. Die Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, ſind weiß oder grau, wie Eis und Schnee. Viele von dieſen aͤndern ihre Faͤrbung im Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver- geht, wird das Fell dieſer Polarthiere graubraun oder ſchwaͤrzlich wie der nackte Erdboden, waͤhrend es im Winter wieder weiß wird. Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glaͤnzenden Bluͤthen umſchweben, gleichen dieſen in der Faͤrbung. Darwin erklaͤrt nun dieſe auffallende Thatſache ganz einfach dadurch, daß eine ſolche Faͤr- bung, die uͤbereinſtimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden 14 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/232>, abgerufen am 26.11.2024.