Gleichfarbige Zuchtwahl als Ursache der sympathischen Färbungen.
unbewußt. Dieser wichtige Unterschied zwischen der künstlichen und na- türlichen Züchtung verdient besondere Beachtung. Denn wir lernen hier- durch verstehen, warum zweckmäßige Einrichtungen ebenso durch zweck- los wirkende mechanische Ursachen, wie durch zweckmäßig thätige Endur- sachen erzeugt werden können. Die Producte der natürlichen Züch- tung sind ebenso zweckmäßig eingerichtet, wie die Kunstproducte des Menschen, und dennoch verdanken sie ihre Entstehung nicht einer zweckmäßig thätigen Schöpferkraft, sondern einem unbewußt und plan- los wirkenden mechanischen Verhältniß. Wenn man nicht tiefer über die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung unter dem Ein- fluß des Kampfes um's Dasein nachgedacht hat, so ist man zunächst nicht geneigt, solche Erfolge von diesem natürlichen Züchtungsproceß zu erwarten, wie derselbe in der That liefert. Es ist daher wohl an- gemessen, hier ein Paar Beispiele von der Wirksamkeit der natürlichen Züchtung anzuführen.
Lassen Sie uns zunächst die von Darwin hervorgehobene gleichfarbige Zuchtwahl oder die sogenannte "sympathische Far- benwahl" der Thiere betrachten. Schon frühere Naturforscher haben es sonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen dieselbe Färbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der sie sich beständig aufhalten. So sind z. B. die Blattläuse und viele andere auf Blättern lebende Jnsecten grün gefärbt. Die Wüstenbe- wohner, Springmäuse, Wüstenfüchse, Gazellen, Löwen u. s. w. sind meist gelb oder gelblichbraun gefärbt, wie der Sand der Wüste. Die Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, sind weiß oder grau, wie Eis und Schnee. Viele von diesen ändern ihre Färbung im Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver- geht, wird das Fell dieser Polarthiere graubraun oder schwärzlich wie der nackte Erdboden, während es im Winter wieder weiß wird. Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glänzenden Blüthen umschweben, gleichen diesen in der Färbung. Darwin erklärt nun diese auffallende Thatsache ganz einfach dadurch, daß eine solche Fär- bung, die übereinstimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden
14 *
Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen.
unbewußt. Dieſer wichtige Unterſchied zwiſchen der kuͤnſtlichen und na- tuͤrlichen Zuͤchtung verdient beſondere Beachtung. Denn wir lernen hier- durch verſtehen, warum zweckmaͤßige Einrichtungen ebenſo durch zweck- los wirkende mechaniſche Urſachen, wie durch zweckmaͤßig thaͤtige Endur- ſachen erzeugt werden koͤnnen. Die Producte der natuͤrlichen Zuͤch- tung ſind ebenſo zweckmaͤßig eingerichtet, wie die Kunſtproducte des Menſchen, und dennoch verdanken ſie ihre Entſtehung nicht einer zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft, ſondern einem unbewußt und plan- los wirkenden mechaniſchen Verhaͤltniß. Wenn man nicht tiefer uͤber die Wechſelwirkung der Vererbung und Anpaſſung unter dem Ein- fluß des Kampfes um’s Daſein nachgedacht hat, ſo iſt man zunaͤchſt nicht geneigt, ſolche Erfolge von dieſem natuͤrlichen Zuͤchtungsproceß zu erwarten, wie derſelbe in der That liefert. Es iſt daher wohl an- gemeſſen, hier ein Paar Beiſpiele von der Wirkſamkeit der natuͤrlichen Zuͤchtung anzufuͤhren.
Laſſen Sie uns zunaͤchſt die von Darwin hervorgehobene gleichfarbige Zuchtwahl oder die ſogenannte „ſympathiſche Far- benwahl“ der Thiere betrachten. Schon fruͤhere Naturforſcher haben es ſonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen dieſelbe Faͤrbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der ſie ſich beſtaͤndig aufhalten. So ſind z. B. die Blattlaͤuſe und viele andere auf Blaͤttern lebende Jnſecten gruͤn gefaͤrbt. Die Wuͤſtenbe- wohner, Springmaͤuſe, Wuͤſtenfuͤchſe, Gazellen, Loͤwen u. ſ. w. ſind meiſt gelb oder gelblichbraun gefaͤrbt, wie der Sand der Wuͤſte. Die Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, ſind weiß oder grau, wie Eis und Schnee. Viele von dieſen aͤndern ihre Faͤrbung im Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver- geht, wird das Fell dieſer Polarthiere graubraun oder ſchwaͤrzlich wie der nackte Erdboden, waͤhrend es im Winter wieder weiß wird. Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glaͤnzenden Bluͤthen umſchweben, gleichen dieſen in der Faͤrbung. Darwin erklaͤrt nun dieſe auffallende Thatſache ganz einfach dadurch, daß eine ſolche Faͤr- bung, die uͤbereinſtimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden
14 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0232"n="211"/><fwplace="top"type="header">Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen.</fw><lb/>
unbewußt. Dieſer wichtige Unterſchied zwiſchen der kuͤnſtlichen und na-<lb/>
tuͤrlichen Zuͤchtung verdient beſondere Beachtung. Denn wir lernen hier-<lb/>
durch verſtehen, warum zweckmaͤßige Einrichtungen ebenſo durch zweck-<lb/>
los wirkende mechaniſche Urſachen, wie durch zweckmaͤßig thaͤtige Endur-<lb/>ſachen erzeugt werden koͤnnen. Die Producte der natuͤrlichen Zuͤch-<lb/>
tung ſind ebenſo zweckmaͤßig eingerichtet, wie die Kunſtproducte des<lb/>
Menſchen, und dennoch verdanken ſie ihre Entſtehung nicht einer<lb/>
zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft, ſondern einem unbewußt und plan-<lb/>
los wirkenden mechaniſchen Verhaͤltniß. Wenn man nicht tiefer uͤber<lb/>
die Wechſelwirkung der Vererbung und Anpaſſung unter dem Ein-<lb/>
fluß des Kampfes um’s Daſein nachgedacht hat, ſo iſt man zunaͤchſt<lb/>
nicht geneigt, ſolche Erfolge von dieſem natuͤrlichen Zuͤchtungsproceß<lb/>
zu erwarten, wie derſelbe in der That liefert. Es iſt daher wohl an-<lb/>
gemeſſen, hier ein Paar Beiſpiele von der Wirkſamkeit der natuͤrlichen<lb/>
Zuͤchtung anzufuͤhren.</p><lb/><p>Laſſen Sie uns zunaͤchſt die von <hirendition="#g">Darwin</hi> hervorgehobene<lb/><hirendition="#g">gleichfarbige Zuchtwahl</hi> oder die ſogenannte „ſympathiſche Far-<lb/>
benwahl“ der Thiere betrachten. Schon fruͤhere Naturforſcher haben<lb/>
es ſonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen<lb/>
dieſelbe Faͤrbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der<lb/>ſie ſich beſtaͤndig aufhalten. So ſind z. B. die Blattlaͤuſe und viele<lb/>
andere auf Blaͤttern lebende Jnſecten gruͤn gefaͤrbt. Die Wuͤſtenbe-<lb/>
wohner, Springmaͤuſe, Wuͤſtenfuͤchſe, Gazellen, Loͤwen u. ſ. w. ſind<lb/>
meiſt gelb oder gelblichbraun gefaͤrbt, wie der Sand der Wuͤſte. Die<lb/>
Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, ſind weiß oder grau,<lb/>
wie Eis und Schnee. Viele von dieſen aͤndern ihre Faͤrbung im<lb/>
Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver-<lb/>
geht, wird das Fell dieſer Polarthiere graubraun oder ſchwaͤrzlich wie<lb/>
der nackte Erdboden, waͤhrend es im Winter wieder weiß wird.<lb/>
Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glaͤnzenden Bluͤthen<lb/>
umſchweben, gleichen dieſen in der Faͤrbung. <hirendition="#g">Darwin</hi> erklaͤrt nun<lb/>
dieſe auffallende Thatſache ganz einfach dadurch, daß eine ſolche Faͤr-<lb/>
bung, die uͤbereinſtimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden<lb/><fwplace="bottom"type="sig">14 *</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[211/0232]
Gleichfarbige Zuchtwahl als Urſache der ſympathiſchen Faͤrbungen.
unbewußt. Dieſer wichtige Unterſchied zwiſchen der kuͤnſtlichen und na-
tuͤrlichen Zuͤchtung verdient beſondere Beachtung. Denn wir lernen hier-
durch verſtehen, warum zweckmaͤßige Einrichtungen ebenſo durch zweck-
los wirkende mechaniſche Urſachen, wie durch zweckmaͤßig thaͤtige Endur-
ſachen erzeugt werden koͤnnen. Die Producte der natuͤrlichen Zuͤch-
tung ſind ebenſo zweckmaͤßig eingerichtet, wie die Kunſtproducte des
Menſchen, und dennoch verdanken ſie ihre Entſtehung nicht einer
zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft, ſondern einem unbewußt und plan-
los wirkenden mechaniſchen Verhaͤltniß. Wenn man nicht tiefer uͤber
die Wechſelwirkung der Vererbung und Anpaſſung unter dem Ein-
fluß des Kampfes um’s Daſein nachgedacht hat, ſo iſt man zunaͤchſt
nicht geneigt, ſolche Erfolge von dieſem natuͤrlichen Zuͤchtungsproceß
zu erwarten, wie derſelbe in der That liefert. Es iſt daher wohl an-
gemeſſen, hier ein Paar Beiſpiele von der Wirkſamkeit der natuͤrlichen
Zuͤchtung anzufuͤhren.
Laſſen Sie uns zunaͤchſt die von Darwin hervorgehobene
gleichfarbige Zuchtwahl oder die ſogenannte „ſympathiſche Far-
benwahl“ der Thiere betrachten. Schon fruͤhere Naturforſcher haben
es ſonderbar gefunden, daß zahlreiche Thiere im Großen und Ganzen
dieſelbe Faͤrbung zeigen wie der Wohnort, oder die Umgebung, in der
ſie ſich beſtaͤndig aufhalten. So ſind z. B. die Blattlaͤuſe und viele
andere auf Blaͤttern lebende Jnſecten gruͤn gefaͤrbt. Die Wuͤſtenbe-
wohner, Springmaͤuſe, Wuͤſtenfuͤchſe, Gazellen, Loͤwen u. ſ. w. ſind
meiſt gelb oder gelblichbraun gefaͤrbt, wie der Sand der Wuͤſte. Die
Polarthiere, welche auf Eis und Schnee leben, ſind weiß oder grau,
wie Eis und Schnee. Viele von dieſen aͤndern ihre Faͤrbung im
Sommer und Winter. Jm Sommer, wenn der Schnee theilweis ver-
geht, wird das Fell dieſer Polarthiere graubraun oder ſchwaͤrzlich wie
der nackte Erdboden, waͤhrend es im Winter wieder weiß wird.
Schmetterlinge und Colibris, welche die bunten, glaͤnzenden Bluͤthen
umſchweben, gleichen dieſen in der Faͤrbung. Darwin erklaͤrt nun
dieſe auffallende Thatſache ganz einfach dadurch, daß eine ſolche Faͤr-
bung, die uͤbereinſtimmt mit der des Wohnortes, den betreffenden
14 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/232>, abgerufen am 24.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.