Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
Verwickelte Wechselbeziehungen aller benachbarten Organismen.

Die unendlich verwickelten Wechselbeziehungen, welche zwischen
den Organismen eines jeden Bezirks bestehen, und welche als die
eigentlichen Bedingungen des Kampfes um's Dasein angesehen werden
müssen, sind uns größtentheils unbekannt und meistens auch sehr schwie-
rig zu erforschen. Nur in einzelnen Fällen haben wir dieselben bisher
bis zu einem gewissen Grade verfolgen können, so z. B. in dem von
Darwin angeführten Beispiel von den Beziehungen der Katzen zum
rothen Klee in England. Die rothe Kleeart (Trifolium pratense),
welche in England eines der vorzüglichsten Futterkräuter für das Rind-
vieh bildet, bedarf, um zur Samenbildung zu gelangen, des Besuchs
der Hummeln. Jndem diese Jnsecten den Honig aus dem Grunde der
Kleeblüthe saugen, bringen sie den Blüthenstaub mit der Narbe in Be-
rührung und vermitteln so die Befruchtung der Blüthe, welche ohne
sie niemals erfolgt. Darwin hat durch Versuche gezeigt, daß rother
Klee, den man von dem Besuche der Hummeln absperrt, keinen einzi-
gen Samen liefert. Die Zahl der Hummeln ist bedingt durch die
Zahl ihrer Feinde, unter denen die Feldmäuse die verderblichsten sind.
Je mehr die Feldmäuse überhand nehmen, desto weniger wird der
Klee befruchtet. Die Zahl der Feldmäuse ist wiederum von der Zahl
ihrer Feinde abhängig, zu denen namentlich die Katzen gehören. Da-
her giebt es in der Nähe der Dörfer und Städte, wo viel Katzen ge-
halten werden, besonders viel Hummeln. Eine große Zahl von Katzen
ist also offenbar von großem Vortheil für die Befruchtung des Klees.
Man kann nun, wie es von Karl Vogt geschehen ist, dieses Beispiel
noch weiter verfolgen, wenn man erwägt, daß das Rindvieh, welches
sich von dem rothen Klee nährt, eine der wichtigsten Grundlagen des
Wohlstands von England ist. Die Engländer conserviren ihre körper-
lichen und geistigen Kräfte vorzugsweise dadurch, daß sie sich größten-
theils von trefflichem Fleisch, namentlich ausgezeichnetem Rostbeaf und
Beafsteak nähren. Dieser vorzüglichen Fleischnahrung verdanken die
Britten zum großen Theil das Uebergewicht ihres Gehirns und Geistes
über die anderen Nationen. Offenbar ist dieses aber indirect abhängig
von den Katzen, welche die Feldmäuse verfolgen. Man kann auch

Verwickelte Wechſelbeziehungen aller benachbarten Organismen.

Die unendlich verwickelten Wechſelbeziehungen, welche zwiſchen
den Organismen eines jeden Bezirks beſtehen, und welche als die
eigentlichen Bedingungen des Kampfes um’s Daſein angeſehen werden
muͤſſen, ſind uns groͤßtentheils unbekannt und meiſtens auch ſehr ſchwie-
rig zu erforſchen. Nur in einzelnen Faͤllen haben wir dieſelben bisher
bis zu einem gewiſſen Grade verfolgen koͤnnen, ſo z. B. in dem von
Darwin angefuͤhrten Beiſpiel von den Beziehungen der Katzen zum
rothen Klee in England. Die rothe Kleeart (Trifolium pratense),
welche in England eines der vorzuͤglichſten Futterkraͤuter fuͤr das Rind-
vieh bildet, bedarf, um zur Samenbildung zu gelangen, des Beſuchs
der Hummeln. Jndem dieſe Jnſecten den Honig aus dem Grunde der
Kleebluͤthe ſaugen, bringen ſie den Bluͤthenſtaub mit der Narbe in Be-
ruͤhrung und vermitteln ſo die Befruchtung der Bluͤthe, welche ohne
ſie niemals erfolgt. Darwin hat durch Verſuche gezeigt, daß rother
Klee, den man von dem Beſuche der Hummeln abſperrt, keinen einzi-
gen Samen liefert. Die Zahl der Hummeln iſt bedingt durch die
Zahl ihrer Feinde, unter denen die Feldmaͤuſe die verderblichſten ſind.
Je mehr die Feldmaͤuſe uͤberhand nehmen, deſto weniger wird der
Klee befruchtet. Die Zahl der Feldmaͤuſe iſt wiederum von der Zahl
ihrer Feinde abhaͤngig, zu denen namentlich die Katzen gehoͤren. Da-
her giebt es in der Naͤhe der Doͤrfer und Staͤdte, wo viel Katzen ge-
halten werden, beſonders viel Hummeln. Eine große Zahl von Katzen
iſt alſo offenbar von großem Vortheil fuͤr die Befruchtung des Klees.
Man kann nun, wie es von Karl Vogt geſchehen iſt, dieſes Beiſpiel
noch weiter verfolgen, wenn man erwaͤgt, daß das Rindvieh, welches
ſich von dem rothen Klee naͤhrt, eine der wichtigſten Grundlagen des
Wohlſtands von England iſt. Die Englaͤnder conſerviren ihre koͤrper-
lichen und geiſtigen Kraͤfte vorzugsweiſe dadurch, daß ſie ſich groͤßten-
theils von trefflichem Fleiſch, namentlich ausgezeichnetem Roſtbeaf und
Beafſteak naͤhren. Dieſer vorzuͤglichen Fleiſchnahrung verdanken die
Britten zum großen Theil das Uebergewicht ihres Gehirns und Geiſtes
uͤber die anderen Nationen. Offenbar iſt dieſes aber indirect abhaͤngig
von den Katzen, welche die Feldmaͤuſe verfolgen. Man kann auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0229" n="208"/>
        <fw place="top" type="header">Verwickelte Wech&#x017F;elbeziehungen aller benachbarten Organismen.</fw><lb/>
        <p>Die unendlich verwickelten Wech&#x017F;elbeziehungen, welche zwi&#x017F;chen<lb/>
den Organismen eines jeden Bezirks be&#x017F;tehen, und welche als die<lb/>
eigentlichen Bedingungen des Kampfes um&#x2019;s Da&#x017F;ein ange&#x017F;ehen werden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind uns gro&#x0364;ßtentheils unbekannt und mei&#x017F;tens auch &#x017F;ehr &#x017F;chwie-<lb/>
rig zu erfor&#x017F;chen. Nur in einzelnen Fa&#x0364;llen haben wir die&#x017F;elben bisher<lb/>
bis zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grade verfolgen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o z. B. in dem von<lb/><hi rendition="#g">Darwin</hi> angefu&#x0364;hrten Bei&#x017F;piel von den Beziehungen der Katzen zum<lb/>
rothen Klee in England. Die rothe Kleeart <hi rendition="#aq">(Trifolium pratense),</hi><lb/>
welche in England eines der vorzu&#x0364;glich&#x017F;ten Futterkra&#x0364;uter fu&#x0364;r das Rind-<lb/>
vieh bildet, bedarf, um zur Samenbildung zu gelangen, des Be&#x017F;uchs<lb/>
der Hummeln. Jndem die&#x017F;e Jn&#x017F;ecten den Honig aus dem Grunde der<lb/>
Kleeblu&#x0364;the &#x017F;augen, bringen &#x017F;ie den Blu&#x0364;then&#x017F;taub mit der Narbe in Be-<lb/>
ru&#x0364;hrung und vermitteln &#x017F;o die Befruchtung der Blu&#x0364;the, welche ohne<lb/>
&#x017F;ie niemals erfolgt. <hi rendition="#g">Darwin</hi> hat durch Ver&#x017F;uche gezeigt, daß rother<lb/>
Klee, den man von dem Be&#x017F;uche der Hummeln ab&#x017F;perrt, keinen einzi-<lb/>
gen Samen liefert. Die Zahl der Hummeln i&#x017F;t bedingt durch die<lb/>
Zahl ihrer Feinde, unter denen die Feldma&#x0364;u&#x017F;e die verderblich&#x017F;ten &#x017F;ind.<lb/>
Je mehr die Feldma&#x0364;u&#x017F;e u&#x0364;berhand nehmen, de&#x017F;to weniger wird der<lb/>
Klee befruchtet. Die Zahl der Feldma&#x0364;u&#x017F;e i&#x017F;t wiederum von der Zahl<lb/>
ihrer Feinde abha&#x0364;ngig, zu denen namentlich die Katzen geho&#x0364;ren. Da-<lb/>
her giebt es in der Na&#x0364;he der Do&#x0364;rfer und Sta&#x0364;dte, wo viel Katzen ge-<lb/>
halten werden, be&#x017F;onders viel Hummeln. Eine große Zahl von Katzen<lb/>
i&#x017F;t al&#x017F;o offenbar von großem Vortheil fu&#x0364;r die Befruchtung des Klees.<lb/>
Man kann nun, wie es von <hi rendition="#g">Karl Vogt</hi> ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, die&#x017F;es Bei&#x017F;piel<lb/>
noch weiter verfolgen, wenn man erwa&#x0364;gt, daß das Rindvieh, welches<lb/>
&#x017F;ich von dem rothen Klee na&#x0364;hrt, eine der wichtig&#x017F;ten Grundlagen des<lb/>
Wohl&#x017F;tands von England i&#x017F;t. Die Engla&#x0364;nder con&#x017F;erviren ihre ko&#x0364;rper-<lb/>
lichen und gei&#x017F;tigen Kra&#x0364;fte vorzugswei&#x017F;e dadurch, daß &#x017F;ie &#x017F;ich gro&#x0364;ßten-<lb/>
theils von trefflichem Flei&#x017F;ch, namentlich ausgezeichnetem Ro&#x017F;tbeaf und<lb/>
Beaf&#x017F;teak na&#x0364;hren. Die&#x017F;er vorzu&#x0364;glichen Flei&#x017F;chnahrung verdanken die<lb/>
Britten zum großen Theil das Uebergewicht ihres Gehirns und Gei&#x017F;tes<lb/>
u&#x0364;ber die anderen Nationen. Offenbar i&#x017F;t die&#x017F;es aber indirect abha&#x0364;ngig<lb/>
von den Katzen, welche die Feldma&#x0364;u&#x017F;e verfolgen. Man kann auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0229] Verwickelte Wechſelbeziehungen aller benachbarten Organismen. Die unendlich verwickelten Wechſelbeziehungen, welche zwiſchen den Organismen eines jeden Bezirks beſtehen, und welche als die eigentlichen Bedingungen des Kampfes um’s Daſein angeſehen werden muͤſſen, ſind uns groͤßtentheils unbekannt und meiſtens auch ſehr ſchwie- rig zu erforſchen. Nur in einzelnen Faͤllen haben wir dieſelben bisher bis zu einem gewiſſen Grade verfolgen koͤnnen, ſo z. B. in dem von Darwin angefuͤhrten Beiſpiel von den Beziehungen der Katzen zum rothen Klee in England. Die rothe Kleeart (Trifolium pratense), welche in England eines der vorzuͤglichſten Futterkraͤuter fuͤr das Rind- vieh bildet, bedarf, um zur Samenbildung zu gelangen, des Beſuchs der Hummeln. Jndem dieſe Jnſecten den Honig aus dem Grunde der Kleebluͤthe ſaugen, bringen ſie den Bluͤthenſtaub mit der Narbe in Be- ruͤhrung und vermitteln ſo die Befruchtung der Bluͤthe, welche ohne ſie niemals erfolgt. Darwin hat durch Verſuche gezeigt, daß rother Klee, den man von dem Beſuche der Hummeln abſperrt, keinen einzi- gen Samen liefert. Die Zahl der Hummeln iſt bedingt durch die Zahl ihrer Feinde, unter denen die Feldmaͤuſe die verderblichſten ſind. Je mehr die Feldmaͤuſe uͤberhand nehmen, deſto weniger wird der Klee befruchtet. Die Zahl der Feldmaͤuſe iſt wiederum von der Zahl ihrer Feinde abhaͤngig, zu denen namentlich die Katzen gehoͤren. Da- her giebt es in der Naͤhe der Doͤrfer und Staͤdte, wo viel Katzen ge- halten werden, beſonders viel Hummeln. Eine große Zahl von Katzen iſt alſo offenbar von großem Vortheil fuͤr die Befruchtung des Klees. Man kann nun, wie es von Karl Vogt geſchehen iſt, dieſes Beiſpiel noch weiter verfolgen, wenn man erwaͤgt, daß das Rindvieh, welches ſich von dem rothen Klee naͤhrt, eine der wichtigſten Grundlagen des Wohlſtands von England iſt. Die Englaͤnder conſerviren ihre koͤrper- lichen und geiſtigen Kraͤfte vorzugsweiſe dadurch, daß ſie ſich groͤßten- theils von trefflichem Fleiſch, namentlich ausgezeichnetem Roſtbeaf und Beafſteak naͤhren. Dieſer vorzuͤglichen Fleiſchnahrung verdanken die Britten zum großen Theil das Uebergewicht ihres Gehirns und Geiſtes uͤber die anderen Nationen. Offenbar iſt dieſes aber indirect abhaͤngig von den Katzen, welche die Feldmaͤuſe verfolgen. Man kann auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/229
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/229>, abgerufen am 18.05.2024.