der Form, die Umbildung, welche dadurch bewirkt wird, ist niemals bloß die unmittelbare Folge des äußeren Einflusses, sondern muß immer zurückgeführt werden auf die entsprechende Gegenwirkung, auf die Selbstthätigkeit des Organismus, die man als Angewöhnung, Uebung, Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe bezeichnet. Daß man diese letzteren Erscheinungen in der Regel getrennt von der erste- ren betrachtete, liegt erstens an der schon hervorgehobenen einseitigen Betrachtungsweise, und dann zweitens daran, daß man sich eine ganz falsche Vorstellung von dem Einfluß der Willensthätigkeit bei den Thieren gebildet hatte.
Die Thätigkeit des Willens, welche der Angewöhnung, der Ue- bung, dem Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe bei den Thie- ren zu Grunde liegt, ist gleich jeder anderen Thätigkeit der thierischen Seele durch materielle Vorgänge im Centralnervensystem bedingt, durch eigenthümliche Bewegungen, welche von der eiweißartigen Ma- terie der Ganglienzellen und der mit ihnen verbundenen Nervenfasern ausgehen. Der Wille der höheren Thiere ist in dieser Beziehung, ebenso wie die übrigen Geistesthätigkeiten, von denjenigen des Men- schen nur quantitativ (nicht qnalitativ) verschieden. Der Wille des Thieres, wie des Menschen ist niemals frei. Das weitverbreitete Dogma von der Freiheit des Willens ist naturwissenschaftlich durch- aus nicht haltbar. Jeder Physiologe, der die Erscheinungen der Willensthätigkeit bei Menschen und Thieren naturwissenschaftlich unter- sucht, kommt mit Nothwendigkeit zu der Ueberzeugung, daß der Wille eigentlich niemals frei, sondern stets durch äußere oder innere Einflüsse bedingt ist. Diese Einflüsse sind größtentheils Vorstellungen, die entweder durch Anpassung oder durch Vererbung erworben, und auf eine von diesen beiden physiologischen Functionen zurückführbar sind. Sobald man seine eigene Willensthätigkeit streng untersucht, ohne das herkömmliche Vorurtheil von der Freiheit des Willens, so wird man gewahr, daß jede scheinbar freie Willenshandlung bewirkt wird durch vorhergehende Vorstellungen, die entweder in ererbten oder in anderweitig erworbenen Vorstellungen wurzeln, und in letzter
Das Dogma von der Freiheit des Willens.
der Form, die Umbildung, welche dadurch bewirkt wird, iſt niemals bloß die unmittelbare Folge des aͤußeren Einfluſſes, ſondern muß immer zuruͤckgefuͤhrt werden auf die entſprechende Gegenwirkung, auf die Selbſtthaͤtigkeit des Organismus, die man als Angewoͤhnung, Uebung, Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe bezeichnet. Daß man dieſe letzteren Erſcheinungen in der Regel getrennt von der erſte- ren betrachtete, liegt erſtens an der ſchon hervorgehobenen einſeitigen Betrachtungsweiſe, und dann zweitens daran, daß man ſich eine ganz falſche Vorſtellung von dem Einfluß der Willensthaͤtigkeit bei den Thieren gebildet hatte.
Die Thaͤtigkeit des Willens, welche der Angewoͤhnung, der Ue- bung, dem Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe bei den Thie- ren zu Grunde liegt, iſt gleich jeder anderen Thaͤtigkeit der thieriſchen Seele durch materielle Vorgaͤnge im Centralnervenſyſtem bedingt, durch eigenthuͤmliche Bewegungen, welche von der eiweißartigen Ma- terie der Ganglienzellen und der mit ihnen verbundenen Nervenfaſern ausgehen. Der Wille der hoͤheren Thiere iſt in dieſer Beziehung, ebenſo wie die uͤbrigen Geiſtesthaͤtigkeiten, von denjenigen des Men- ſchen nur quantitativ (nicht qnalitativ) verſchieden. Der Wille des Thieres, wie des Menſchen iſt niemals frei. Das weitverbreitete Dogma von der Freiheit des Willens iſt naturwiſſenſchaftlich durch- aus nicht haltbar. Jeder Phyſiologe, der die Erſcheinungen der Willensthaͤtigkeit bei Menſchen und Thieren naturwiſſenſchaftlich unter- ſucht, kommt mit Nothwendigkeit zu der Ueberzeugung, daß der Wille eigentlich niemals frei, ſondern ſtets durch aͤußere oder innere Einfluͤſſe bedingt iſt. Dieſe Einfluͤſſe ſind groͤßtentheils Vorſtellungen, die entweder durch Anpaſſung oder durch Vererbung erworben, und auf eine von dieſen beiden phyſiologiſchen Functionen zuruͤckfuͤhrbar ſind. Sobald man ſeine eigene Willensthaͤtigkeit ſtreng unterſucht, ohne das herkoͤmmliche Vorurtheil von der Freiheit des Willens, ſo wird man gewahr, daß jede ſcheinbar freie Willenshandlung bewirkt wird durch vorhergehende Vorſtellungen, die entweder in ererbten oder in anderweitig erworbenen Vorſtellungen wurzeln, und in letzter
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Das Dogma von der Freiheit des Willens.
der Form, die Umbildung, welche dadurch bewirkt wird, iſt niemals
bloß die unmittelbare Folge des aͤußeren Einfluſſes, ſondern muß
immer zuruͤckgefuͤhrt werden auf die entſprechende Gegenwirkung, auf
die Selbſtthaͤtigkeit des Organismus, die man als Angewoͤhnung,
Uebung, Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe bezeichnet. Daß
man dieſe letzteren Erſcheinungen in der Regel getrennt von der erſte-
ren betrachtete, liegt erſtens an der ſchon hervorgehobenen einſeitigen
Betrachtungsweiſe, und dann zweitens daran, daß man ſich eine
ganz falſche Vorſtellung von dem Einfluß der Willensthaͤtigkeit bei den
Thieren gebildet hatte.
Die Thaͤtigkeit des Willens, welche der Angewoͤhnung, der Ue-
bung, dem Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe bei den Thie-
ren zu Grunde liegt, iſt gleich jeder anderen Thaͤtigkeit der thieriſchen
Seele durch materielle Vorgaͤnge im Centralnervenſyſtem bedingt,
durch eigenthuͤmliche Bewegungen, welche von der eiweißartigen Ma-
terie der Ganglienzellen und der mit ihnen verbundenen Nervenfaſern
ausgehen. Der Wille der hoͤheren Thiere iſt in dieſer Beziehung,
ebenſo wie die uͤbrigen Geiſtesthaͤtigkeiten, von denjenigen des Men-
ſchen nur quantitativ (nicht qnalitativ) verſchieden. Der Wille des
Thieres, wie des Menſchen iſt niemals frei. Das weitverbreitete
Dogma von der Freiheit des Willens iſt naturwiſſenſchaftlich durch-
aus nicht haltbar. Jeder Phyſiologe, der die Erſcheinungen der
Willensthaͤtigkeit bei Menſchen und Thieren naturwiſſenſchaftlich unter-
ſucht, kommt mit Nothwendigkeit zu der Ueberzeugung, daß der
Wille eigentlich niemals frei, ſondern ſtets durch aͤußere oder innere
Einfluͤſſe bedingt iſt. Dieſe Einfluͤſſe ſind groͤßtentheils Vorſtellungen,
die entweder durch Anpaſſung oder durch Vererbung erworben, und
auf eine von dieſen beiden phyſiologiſchen Functionen zuruͤckfuͤhrbar
ſind. Sobald man ſeine eigene Willensthaͤtigkeit ſtreng unterſucht,
ohne das herkoͤmmliche Vorurtheil von der Freiheit des Willens, ſo
wird man gewahr, daß jede ſcheinbar freie Willenshandlung bewirkt
wird durch vorhergehende Vorſtellungen, die entweder in ererbten
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/210>, abgerufen am 28.11.2024.
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