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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gesetze der directen Anpassung.
rungen des elterlichen Organismus zwar nicht den gänzlichen Ausfall
der Nachkommenschaft, wohl aber bedeutende Umbildungen in deren
Form veranlassen.

Viel bekannter als die Erscheinungen der indirecten oder poten-
tiellen Anpassung sind diejenigen der directen oder actuellen
Anpassung,
zu deren näherer Betrachtung wir uns jetzt wenden.
Es gehören hierher alle diejenigen Abänderungen der Organismen,
welche man als die Folgen der Uebung, Gewohnheit, Dressur, Erzie-
hung u. s. w. betrachtet, ebenso diejenigen Umbildungen der organi-
schen Formen, welche unmittelbar durch den Einfluß der Nahrung,
des Klimas und anderer äußerer Existenzbedingungen bewirkt werden.
Wie schon vorher bemerkt, tritt hier bei der directen oder unmittelbaren
Anpassung der umbildende Einfluß der äußeren Ursache unmittelbar
in der Form des betroffenen Organismus selbst, und nicht erst in
derjenigen seiner Nachkommenschaft zu Tage (Gen. Morph. II., 207).

Unter den verschiedenen Gesetzen der directen oder actuellen An-
passung können wir als das oberste und umfassendste das Gesetz
der allgemeinen oder universellen Anpassung
an die
Spitze stellen. Dasselbe läßt sich kurz in dem Satze aussprechen: "Alle
organische Jndividuen werden im Laufe ihres Lebens durch Anpassung
an verschiedene Lebensbedingungen einander ungleich, obwohl die Jn-
dividuen einer und derselben Art sich meistens sehr ähnlich bleiben."
Eine gewisse Ungleichheit der organischen Jndividuen wurde, wie Sie
sahen, schon durch das Gesetz der individuellen (indirecten) Anpassung
bedingt. Allein diese ursprüngliche Ungleichheit der Einzelwesen wird
späterhin dadurch noch gesteigert, daß jedes Jndividuum sich während
seines selbstständigen Lebens seinen eigenthümlichen Existenzbedingun-
gen unterwirft und anpaßt. Alle verschiedenen Einzelwesen einer jeden
Art, so ähnlich sie in ihren ersten Lebensstadien auch sein mögen, wer-
den im weiteren Verlaufe der Existenz einander mehr oder minder
ungleich. Jn geringeren oder bedeutenderen Eigenthümlichkeiten ent-
fernen sie sich von einander, und das ist eine natürliche Folge der ver-
schiedenen Bedingungen, unter denen alle Jndividuen leben. Es gibt

Geſetze der directen Anpaſſung.
rungen des elterlichen Organismus zwar nicht den gaͤnzlichen Ausfall
der Nachkommenſchaft, wohl aber bedeutende Umbildungen in deren
Form veranlaſſen.

Viel bekannter als die Erſcheinungen der indirecten oder poten-
tiellen Anpaſſung ſind diejenigen der directen oder actuellen
Anpaſſung,
zu deren naͤherer Betrachtung wir uns jetzt wenden.
Es gehoͤren hierher alle diejenigen Abaͤnderungen der Organismen,
welche man als die Folgen der Uebung, Gewohnheit, Dreſſur, Erzie-
hung u. ſ. w. betrachtet, ebenſo diejenigen Umbildungen der organi-
ſchen Formen, welche unmittelbar durch den Einfluß der Nahrung,
des Klimas und anderer aͤußerer Exiſtenzbedingungen bewirkt werden.
Wie ſchon vorher bemerkt, tritt hier bei der directen oder unmittelbaren
Anpaſſung der umbildende Einfluß der aͤußeren Urſache unmittelbar
in der Form des betroffenen Organismus ſelbſt, und nicht erſt in
derjenigen ſeiner Nachkommenſchaft zu Tage (Gen. Morph. II., 207).

Unter den verſchiedenen Geſetzen der directen oder actuellen An-
paſſung koͤnnen wir als das oberſte und umfaſſendſte das Geſetz
der allgemeinen oder univerſellen Anpaſſung
an die
Spitze ſtellen. Daſſelbe laͤßt ſich kurz in dem Satze ausſprechen: „Alle
organiſche Jndividuen werden im Laufe ihres Lebens durch Anpaſſung
an verſchiedene Lebensbedingungen einander ungleich, obwohl die Jn-
dividuen einer und derſelben Art ſich meiſtens ſehr aͤhnlich bleiben.“
Eine gewiſſe Ungleichheit der organiſchen Jndividuen wurde, wie Sie
ſahen, ſchon durch das Geſetz der individuellen (indirecten) Anpaſſung
bedingt. Allein dieſe urſpruͤngliche Ungleichheit der Einzelweſen wird
ſpaͤterhin dadurch noch geſteigert, daß jedes Jndividuum ſich waͤhrend
ſeines ſelbſtſtaͤndigen Lebens ſeinen eigenthuͤmlichen Exiſtenzbedingun-
gen unterwirft und anpaßt. Alle verſchiedenen Einzelweſen einer jeden
Art, ſo aͤhnlich ſie in ihren erſten Lebensſtadien auch ſein moͤgen, wer-
den im weiteren Verlaufe der Exiſtenz einander mehr oder minder
ungleich. Jn geringeren oder bedeutenderen Eigenthuͤmlichkeiten ent-
fernen ſie ſich von einander, und das iſt eine natuͤrliche Folge der ver-
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[184/0205] Geſetze der directen Anpaſſung. rungen des elterlichen Organismus zwar nicht den gaͤnzlichen Ausfall der Nachkommenſchaft, wohl aber bedeutende Umbildungen in deren Form veranlaſſen. Viel bekannter als die Erſcheinungen der indirecten oder poten- tiellen Anpaſſung ſind diejenigen der directen oder actuellen Anpaſſung, zu deren naͤherer Betrachtung wir uns jetzt wenden. Es gehoͤren hierher alle diejenigen Abaͤnderungen der Organismen, welche man als die Folgen der Uebung, Gewohnheit, Dreſſur, Erzie- hung u. ſ. w. betrachtet, ebenſo diejenigen Umbildungen der organi- ſchen Formen, welche unmittelbar durch den Einfluß der Nahrung, des Klimas und anderer aͤußerer Exiſtenzbedingungen bewirkt werden. Wie ſchon vorher bemerkt, tritt hier bei der directen oder unmittelbaren Anpaſſung der umbildende Einfluß der aͤußeren Urſache unmittelbar in der Form des betroffenen Organismus ſelbſt, und nicht erſt in derjenigen ſeiner Nachkommenſchaft zu Tage (Gen. Morph. II., 207). Unter den verſchiedenen Geſetzen der directen oder actuellen An- paſſung koͤnnen wir als das oberſte und umfaſſendſte das Geſetz der allgemeinen oder univerſellen Anpaſſung an die Spitze ſtellen. Daſſelbe laͤßt ſich kurz in dem Satze ausſprechen: „Alle organiſche Jndividuen werden im Laufe ihres Lebens durch Anpaſſung an verſchiedene Lebensbedingungen einander ungleich, obwohl die Jn- dividuen einer und derſelben Art ſich meiſtens ſehr aͤhnlich bleiben.“ Eine gewiſſe Ungleichheit der organiſchen Jndividuen wurde, wie Sie ſahen, ſchon durch das Geſetz der individuellen (indirecten) Anpaſſung bedingt. Allein dieſe urſpruͤngliche Ungleichheit der Einzelweſen wird ſpaͤterhin dadurch noch geſteigert, daß jedes Jndividuum ſich waͤhrend ſeines ſelbſtſtaͤndigen Lebens ſeinen eigenthuͤmlichen Exiſtenzbedingun- gen unterwirft und anpaßt. Alle verſchiedenen Einzelweſen einer jeden Art, ſo aͤhnlich ſie in ihren erſten Lebensſtadien auch ſein moͤgen, wer- den im weiteren Verlaufe der Exiſtenz einander mehr oder minder ungleich. Jn geringeren oder bedeutenderen Eigenthuͤmlichkeiten ent- fernen ſie ſich von einander, und das iſt eine natuͤrliche Folge der ver- ſchiedenen Bedingungen, unter denen alle Jndividuen leben. Es gibt

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/205>, abgerufen am 28.11.2024.