Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Unterscheidung der indirecten und directen Anpassung. zeugt aber nicht eine Veränderung des Organismus selbst, sondern eineVeränderung seiner Nachkommen. Man kann das nicht als Vererbung bezeichnen, weil ja nicht eine im elterlichen Organismus vorhandene Eigenschaft als solche erblich auf die Nachkommen übertragen wird. Viel- mehr tritt eine Abänderung, welche den elterlichen Organismus betraf, aber nicht wahrnehmbar afficirte, erst in der eigenthümlichen Bildung seiner Nachkommen wirksam und offen zu Tage. Bloß der Anstoß zu dieser neuen, eigenthümlichen Bildung wird durch das Ei der Mutter oder durch den Samenfaden des Vaters bei der Fortpflanzung übertragen. Die Neubil- dung ist im elterlichen Organismus bloß der Möglichkeit nach (po- tentia) vorhanden; im kindlichen wird sie zur Wirklichkeit (actu). Während man diese sehr wichtige und sehr allgemeine Erscheinung Wie die beiden Erscheinungsreihen der conservativen und der Unterſcheidung der indirecten und directen Anpaſſung. zeugt aber nicht eine Veraͤnderung des Organismus ſelbſt, ſondern eineVeraͤnderung ſeiner Nachkommen. Man kann das nicht als Vererbung bezeichnen, weil ja nicht eine im elterlichen Organismus vorhandene Eigenſchaft als ſolche erblich auf die Nachkommen uͤbertragen wird. Viel- mehr tritt eine Abaͤnderung, welche den elterlichen Organismus betraf, aber nicht wahrnehmbar afficirte, erſt in der eigenthuͤmlichen Bildung ſeiner Nachkommen wirkſam und offen zu Tage. Bloß der Anſtoß zu dieſer neuen, eigenthuͤmlichen Bildung wird durch das Ei der Mutter oder durch den Samenfaden des Vaters bei der Fortpflanzung uͤbertragen. Die Neubil- dung iſt im elterlichen Organismus bloß der Moͤglichkeit nach (po- tentia) vorhanden; im kindlichen wird ſie zur Wirklichkeit (actu). Waͤhrend man dieſe ſehr wichtige und ſehr allgemeine Erſcheinung Wie die beiden Erſcheinungsreihen der conſervativen und der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0199" n="178"/><fw place="top" type="header">Unterſcheidung der indirecten und directen Anpaſſung.</fw><lb/> zeugt aber nicht eine Veraͤnderung des Organismus ſelbſt, ſondern eine<lb/> Veraͤnderung ſeiner Nachkommen. Man kann das nicht als Vererbung<lb/> bezeichnen, weil ja nicht eine im elterlichen Organismus vorhandene<lb/> Eigenſchaft als ſolche erblich auf die Nachkommen uͤbertragen wird. Viel-<lb/> mehr tritt eine Abaͤnderung, welche den elterlichen Organismus betraf,<lb/> aber nicht wahrnehmbar afficirte, erſt in der eigenthuͤmlichen Bildung ſeiner<lb/> Nachkommen wirkſam und offen zu Tage. Bloß der Anſtoß zu dieſer neuen,<lb/> eigenthuͤmlichen Bildung wird durch das Ei der Mutter oder durch den<lb/> Samenfaden des Vaters bei der Fortpflanzung uͤbertragen. Die Neubil-<lb/> dung iſt im elterlichen Organismus bloß der <hi rendition="#g">Moͤglichkeit</hi> nach <hi rendition="#aq">(po-<lb/> tentia)</hi> vorhanden; im kindlichen wird ſie zur Wirklichkeit <hi rendition="#aq">(actu).</hi></p><lb/> <p>Waͤhrend man dieſe ſehr wichtige und ſehr allgemeine Erſcheinung<lb/> bisher ganz vernachlaͤſſigt hatte, war man geneigt, alle wahrnehm-<lb/> baren Abaͤnderungen und Umbildungen der organiſchen Formen<lb/> als Anpaſſungserſcheinungen der zweiten Reihe zu betrachten, der-<lb/> jenigen der unmittelbaren oder <hi rendition="#g">directen</hi> (actuellen) Anpaſſung.<lb/> Das Weſen dieſer Anpaſſungsgeſetze liegt darin, daß die den Orga-<lb/> nismus betreffende Veraͤnderung (in der Ernaͤhrung u. ſ. w.) bereits<lb/> in deſſen eigener Umbildung und nicht erſt in derjenigen ſeiner Nach-<lb/> kommen ſich aͤußert. Hierher gehoͤren alle die bekannten Erſcheinun-<lb/> gen, bei denen wir den umgeſtaltenden Einfluß des Klimas, der Nah-<lb/> rung, der Erziehung, Dreſſur u. ſ. w. unmittelbar an den betroffenen<lb/> Jndividuen ſelbſt in ſeiner Wirkung verfolgen koͤnnen.</p><lb/> <p>Wie die beiden Erſcheinungsreihen der conſervativen und der<lb/> progreſſiven Vererbung trotz ihres principiellen Unterſchiedes vielfach<lb/> in einander greifen und ſich gegenſeitig modificiren, vielfach zuſam-<lb/> menwirken und ſich durchkreuzen, ſo gilt das in noch hoͤherem Maße<lb/> von den beiden entgegengeſetzten und doch innig zuſammenhaͤngenden<lb/> Erſcheinungsreihen der indirecten und der directen Anpaſſung. Einige<lb/> Naturforſcher, namentlich <hi rendition="#g">Darwin</hi> und <hi rendition="#g">Carl Vogt,</hi> ſchreiben den<lb/> indirecten oder potentiellen Anpaſſungen eine viel bedeutendere oder<lb/> ſelbſt eine faſt ausſchließliche Wirkſamkeit zu. Die Mehrzahl der Na-<lb/> turforſcher aber war bisher geneigt, umgekehrt das Hauptgewicht auf<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [178/0199]
Unterſcheidung der indirecten und directen Anpaſſung.
zeugt aber nicht eine Veraͤnderung des Organismus ſelbſt, ſondern eine
Veraͤnderung ſeiner Nachkommen. Man kann das nicht als Vererbung
bezeichnen, weil ja nicht eine im elterlichen Organismus vorhandene
Eigenſchaft als ſolche erblich auf die Nachkommen uͤbertragen wird. Viel-
mehr tritt eine Abaͤnderung, welche den elterlichen Organismus betraf,
aber nicht wahrnehmbar afficirte, erſt in der eigenthuͤmlichen Bildung ſeiner
Nachkommen wirkſam und offen zu Tage. Bloß der Anſtoß zu dieſer neuen,
eigenthuͤmlichen Bildung wird durch das Ei der Mutter oder durch den
Samenfaden des Vaters bei der Fortpflanzung uͤbertragen. Die Neubil-
dung iſt im elterlichen Organismus bloß der Moͤglichkeit nach (po-
tentia) vorhanden; im kindlichen wird ſie zur Wirklichkeit (actu).
Waͤhrend man dieſe ſehr wichtige und ſehr allgemeine Erſcheinung
bisher ganz vernachlaͤſſigt hatte, war man geneigt, alle wahrnehm-
baren Abaͤnderungen und Umbildungen der organiſchen Formen
als Anpaſſungserſcheinungen der zweiten Reihe zu betrachten, der-
jenigen der unmittelbaren oder directen (actuellen) Anpaſſung.
Das Weſen dieſer Anpaſſungsgeſetze liegt darin, daß die den Orga-
nismus betreffende Veraͤnderung (in der Ernaͤhrung u. ſ. w.) bereits
in deſſen eigener Umbildung und nicht erſt in derjenigen ſeiner Nach-
kommen ſich aͤußert. Hierher gehoͤren alle die bekannten Erſcheinun-
gen, bei denen wir den umgeſtaltenden Einfluß des Klimas, der Nah-
rung, der Erziehung, Dreſſur u. ſ. w. unmittelbar an den betroffenen
Jndividuen ſelbſt in ſeiner Wirkung verfolgen koͤnnen.
Wie die beiden Erſcheinungsreihen der conſervativen und der
progreſſiven Vererbung trotz ihres principiellen Unterſchiedes vielfach
in einander greifen und ſich gegenſeitig modificiren, vielfach zuſam-
menwirken und ſich durchkreuzen, ſo gilt das in noch hoͤherem Maße
von den beiden entgegengeſetzten und doch innig zuſammenhaͤngenden
Erſcheinungsreihen der indirecten und der directen Anpaſſung. Einige
Naturforſcher, namentlich Darwin und Carl Vogt, ſchreiben den
indirecten oder potentiellen Anpaſſungen eine viel bedeutendere oder
ſelbſt eine faſt ausſchließliche Wirkſamkeit zu. Die Mehrzahl der Na-
turforſcher aber war bisher geneigt, umgekehrt das Hauptgewicht auf
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