Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Bastardzeugung. Abgekürzte oder vereinfachte Vererbung. welche Eigenschaften von beiden Eltern angenommen hat; allein dieEigenschaften des Bastards sind ganz verschieden, je nach der Form der Kreuzung. So zeigen auch die Mulattenkinder, welche von einem Europäer mit einer Negerin erzeugt werden, eine andere Mischung der Charactere, als diejenigen Bastarde, welche ein Neger mit einer Eu- ropäerin erzeugt. Bei diesen Erscheinungen der Bastardzeugung sind wir wie bei den anderen vorher erwähnten Vererbungsgesetzen jetzt noch nicht im Stande, die mechanischen Ursachen im Einzelnen nach- zuweisen. Aber kein Naturforscher zweifelt daran, daß die Ursachen hier überall rein mechanisch, in der Natur der organischen Materie selbst begründet sind. Wenn wir feinere Untersuchungsmittel als un- sere groben Sinnesorgane und deren Hülfsmittel hätten, so würden wir jene mechanischen Ursachen erkennen, und sicherlich auf die chemi- schen und physikalischen Eigenschaften der Materie, aus welcher der Organismus besteht, zurückführen können. Als ein fünftes Gesetz müssen wir nun unter den Erscheinungen Baſtardzeugung. Abgekuͤrzte oder vereinfachte Vererbung. welche Eigenſchaften von beiden Eltern angenommen hat; allein dieEigenſchaften des Baſtards ſind ganz verſchieden, je nach der Form der Kreuzung. So zeigen auch die Mulattenkinder, welche von einem Europaͤer mit einer Negerin erzeugt werden, eine andere Miſchung der Charactere, als diejenigen Baſtarde, welche ein Neger mit einer Eu- ropaͤerin erzeugt. Bei dieſen Erſcheinungen der Baſtardzeugung ſind wir wie bei den anderen vorher erwaͤhnten Vererbungsgeſetzen jetzt noch nicht im Stande, die mechaniſchen Urſachen im Einzelnen nach- zuweiſen. Aber kein Naturforſcher zweifelt daran, daß die Urſachen hier uͤberall rein mechaniſch, in der Natur der organiſchen Materie ſelbſt begruͤndet ſind. Wenn wir feinere Unterſuchungsmittel als un- ſere groben Sinnesorgane und deren Huͤlfsmittel haͤtten, ſo wuͤrden wir jene mechaniſchen Urſachen erkennen, und ſicherlich auf die chemi- ſchen und phyſikaliſchen Eigenſchaften der Materie, aus welcher der Organismus beſteht, zuruͤckfuͤhren koͤnnen. Als ein fuͤnftes Geſetz muͤſſen wir nun unter den Erſcheinungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0187" n="166"/><fw place="top" type="header">Baſtardzeugung. Abgekuͤrzte oder vereinfachte Vererbung.</fw><lb/> welche Eigenſchaften von beiden Eltern angenommen hat; allein die<lb/> Eigenſchaften des Baſtards ſind ganz verſchieden, je nach der Form<lb/> der Kreuzung. So zeigen auch die Mulattenkinder, welche von einem<lb/> Europaͤer mit einer Negerin erzeugt werden, eine andere Miſchung der<lb/> Charactere, als diejenigen Baſtarde, welche ein Neger mit einer Eu-<lb/> ropaͤerin erzeugt. Bei dieſen Erſcheinungen der Baſtardzeugung ſind<lb/> wir wie bei den anderen vorher erwaͤhnten Vererbungsgeſetzen jetzt<lb/> noch nicht im Stande, die mechaniſchen Urſachen im Einzelnen nach-<lb/> zuweiſen. Aber kein Naturforſcher zweifelt daran, daß die Urſachen<lb/> hier uͤberall rein mechaniſch, in der Natur der organiſchen Materie<lb/> ſelbſt begruͤndet ſind. Wenn wir feinere Unterſuchungsmittel als un-<lb/> ſere groben Sinnesorgane und deren Huͤlfsmittel haͤtten, ſo wuͤrden<lb/> wir jene mechaniſchen Urſachen erkennen, und ſicherlich auf die chemi-<lb/> ſchen und phyſikaliſchen Eigenſchaften der Materie, aus welcher der<lb/> Organismus beſteht, zuruͤckfuͤhren koͤnnen.</p><lb/> <p>Als ein fuͤnftes Geſetz muͤſſen wir nun unter den Erſcheinungen<lb/> der conſervativen oder erhaltenden Vererbung noch <hi rendition="#g">das Geſetz der<lb/> abgekuͤrzten oder vereinfachten Vererbung</hi> anfuͤhren.<lb/> Daſſelbe iſt ſehr wichtig fuͤr die Embryologie oder Ontogenie, d. h.<lb/> fuͤr die Entwickelungsgeſchichte der organiſchen Jndividuen. Wie ich<lb/> bereits im erſten Vortrage (S. 9) erwaͤhnte und ſpaͤter noch ausfuͤhr-<lb/> lich zu erlaͤutern habe, iſt die <hi rendition="#g">Ontogenie</hi> oder die Entwickelungs-<lb/> geſchichte der Jndividuen weiter nichts als eine kurze und ſchnelle,<lb/> durch die Geſetze der Vererbung und Anpaſſung bedingte Wieder-<lb/> holung der <hi rendition="#g">Phylogenie,</hi> d. h. der palaͤontologiſchen Entwickelungs-<lb/> geſchichte des ganzen organiſchen Stammes oder Phylum, zu wel-<lb/> chem der betreffende Organismus gehoͤrt. Wenn Sie z. B. die indi-<lb/> viduelle Entwickelung des Menſchen, des Affen, oder irgend eines<lb/> anderen hoͤheren Saͤugethieres innerhalb des Mutterleibes vom Ei<lb/> an verfolgen, ſo finden Sie, daß der aus dem Ei entſtehende Keim<lb/> oder Embryo eine Reihe von ſehr verſchiedenen Formen durchlaͤuft,<lb/> welche im Ganzen uͤbereinſtimmt oder wenigſtens parallel iſt mit der<lb/> Formenreihe, welche die hiſtoriſche Vorfahrenkette der hoͤheren Saͤuge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [166/0187]
Baſtardzeugung. Abgekuͤrzte oder vereinfachte Vererbung.
welche Eigenſchaften von beiden Eltern angenommen hat; allein die
Eigenſchaften des Baſtards ſind ganz verſchieden, je nach der Form
der Kreuzung. So zeigen auch die Mulattenkinder, welche von einem
Europaͤer mit einer Negerin erzeugt werden, eine andere Miſchung der
Charactere, als diejenigen Baſtarde, welche ein Neger mit einer Eu-
ropaͤerin erzeugt. Bei dieſen Erſcheinungen der Baſtardzeugung ſind
wir wie bei den anderen vorher erwaͤhnten Vererbungsgeſetzen jetzt
noch nicht im Stande, die mechaniſchen Urſachen im Einzelnen nach-
zuweiſen. Aber kein Naturforſcher zweifelt daran, daß die Urſachen
hier uͤberall rein mechaniſch, in der Natur der organiſchen Materie
ſelbſt begruͤndet ſind. Wenn wir feinere Unterſuchungsmittel als un-
ſere groben Sinnesorgane und deren Huͤlfsmittel haͤtten, ſo wuͤrden
wir jene mechaniſchen Urſachen erkennen, und ſicherlich auf die chemi-
ſchen und phyſikaliſchen Eigenſchaften der Materie, aus welcher der
Organismus beſteht, zuruͤckfuͤhren koͤnnen.
Als ein fuͤnftes Geſetz muͤſſen wir nun unter den Erſcheinungen
der conſervativen oder erhaltenden Vererbung noch das Geſetz der
abgekuͤrzten oder vereinfachten Vererbung anfuͤhren.
Daſſelbe iſt ſehr wichtig fuͤr die Embryologie oder Ontogenie, d. h.
fuͤr die Entwickelungsgeſchichte der organiſchen Jndividuen. Wie ich
bereits im erſten Vortrage (S. 9) erwaͤhnte und ſpaͤter noch ausfuͤhr-
lich zu erlaͤutern habe, iſt die Ontogenie oder die Entwickelungs-
geſchichte der Jndividuen weiter nichts als eine kurze und ſchnelle,
durch die Geſetze der Vererbung und Anpaſſung bedingte Wieder-
holung der Phylogenie, d. h. der palaͤontologiſchen Entwickelungs-
geſchichte des ganzen organiſchen Stammes oder Phylum, zu wel-
chem der betreffende Organismus gehoͤrt. Wenn Sie z. B. die indi-
viduelle Entwickelung des Menſchen, des Affen, oder irgend eines
anderen hoͤheren Saͤugethieres innerhalb des Mutterleibes vom Ei
an verfolgen, ſo finden Sie, daß der aus dem Ei entſtehende Keim
oder Embryo eine Reihe von ſehr verſchiedenen Formen durchlaͤuft,
welche im Ganzen uͤbereinſtimmt oder wenigſtens parallel iſt mit der
Formenreihe, welche die hiſtoriſche Vorfahrenkette der hoͤheren Saͤuge-
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