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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Vergleichung der natürlichen und der künstlichen Züchtung.
Zeit sehr bedeutende Veränderungen hervorzubringen, während bei der
natürlichen Zuchtwahl Aehnliches erst in viel längerer Zeit zu Stande
gebracht wird. Das beruht darauf, daß der Mensch die Auslese
viel sorgfältiger betreiben kann. Der Mensch kann unter einer großen
Anzahl von Jndividuen mit der größten Sorgfalt Einzelne herausle-
sen, die übrigen ganz fallen lassen, und bloß die Bevorzugten zur
Fortpflanzung verwenden, während das bei der natürlichen Zuchtwahl
nicht der Fall ist. Da werden sich neben den bevorzugten, zuerst zur
Fortpflanzung gelangenden Jndividuen, auch noch Einzelne oder
Viele von den übrigen, weniger ausgezeichneten Jndividuen, neben
den erstern fortpflanzen. Ferner ist der Mensch im Stande, die Kreu-
zung zu verhüten zwischen der ursprünglichen und der neuen Form, die
bei der natürlichen Züchtung oft nicht zu vermeiden ist. Die natür-
liche Züchtung wirkt daher sehr viel langsamer; sie erfordert viel längere
Zeiträume, als der künstliche Züchtungsprozeß. Aber eine wesentliche
Folge dieses Unterschiedes ist, daß dann auch das Product der künstli-
chen Zuchtwahl viel leichter wieder verschwindet, und die neu erzeugte
Form in die ältere zurückschlägt, während das bei der natürlichen Züch-
tung nicht der Fall ist. Die neuen Arten der Species, welche aus der
natürlichen Züchtung entstehen, erhalten sich viel constanter, schlagen
viel weniger leicht in die Stammform zurück, als es bei den künstli-
chen Züchtungsproducten der Fall ist, und sie erhalten auch demge-
mäß sich eine viel längere Zeit hindurch beständig, als die künstlichen
Rassen, die der Mensch erzeugt. Aber das sind nur untergeordnete
Unterschiede, die sich durch die verschiedenen Bedingungen der natür-
lichen und der künstlichen Auslese erklären, und die auch wesentlich
nur die Zeitdauer betreffen. Das Wesen der Formveränderung, und
die Mittel, durch welche sie erzeugt wird, sind bei der künstlichen und
natürlichen Züchtung ganz dieselben. (Gen. Morph. II., 248).

Die gedankenlosen und beschränkten Gegner Darwin's werden
nicht müde zu behaupten, daß seine Selectionstheorie eine bodenlose
Vermuthung, oder wenigstens eine Hypothese sei, welche erst bewiesen
werden müsse. Daß diese Behauptung vollkommen unbegründet ist,

Vergleichung der natuͤrlichen und der kuͤnſtlichen Zuͤchtung.
Zeit ſehr bedeutende Veraͤnderungen hervorzubringen, waͤhrend bei der
natuͤrlichen Zuchtwahl Aehnliches erſt in viel laͤngerer Zeit zu Stande
gebracht wird. Das beruht darauf, daß der Menſch die Ausleſe
viel ſorgfaͤltiger betreiben kann. Der Menſch kann unter einer großen
Anzahl von Jndividuen mit der groͤßten Sorgfalt Einzelne herausle-
ſen, die uͤbrigen ganz fallen laſſen, und bloß die Bevorzugten zur
Fortpflanzung verwenden, waͤhrend das bei der natuͤrlichen Zuchtwahl
nicht der Fall iſt. Da werden ſich neben den bevorzugten, zuerſt zur
Fortpflanzung gelangenden Jndividuen, auch noch Einzelne oder
Viele von den uͤbrigen, weniger ausgezeichneten Jndividuen, neben
den erſtern fortpflanzen. Ferner iſt der Menſch im Stande, die Kreu-
zung zu verhuͤten zwiſchen der urſpruͤnglichen und der neuen Form, die
bei der natuͤrlichen Zuͤchtung oft nicht zu vermeiden iſt. Die natuͤr-
liche Zuͤchtung wirkt daher ſehr viel langſamer; ſie erfordert viel laͤngere
Zeitraͤume, als der kuͤnſtliche Zuͤchtungsprozeß. Aber eine weſentliche
Folge dieſes Unterſchiedes iſt, daß dann auch das Product der kuͤnſtli-
chen Zuchtwahl viel leichter wieder verſchwindet, und die neu erzeugte
Form in die aͤltere zuruͤckſchlaͤgt, waͤhrend das bei der natuͤrlichen Zuͤch-
tung nicht der Fall iſt. Die neuen Arten der Species, welche aus der
natuͤrlichen Zuͤchtung entſtehen, erhalten ſich viel conſtanter, ſchlagen
viel weniger leicht in die Stammform zuruͤck, als es bei den kuͤnſtli-
chen Zuͤchtungsproducten der Fall iſt, und ſie erhalten auch demge-
maͤß ſich eine viel laͤngere Zeit hindurch beſtaͤndig, als die kuͤnſtlichen
Raſſen, die der Menſch erzeugt. Aber das ſind nur untergeordnete
Unterſchiede, die ſich durch die verſchiedenen Bedingungen der natuͤr-
lichen und der kuͤnſtlichen Ausleſe erklaͤren, und die auch weſentlich
nur die Zeitdauer betreffen. Das Weſen der Formveraͤnderung, und
die Mittel, durch welche ſie erzeugt wird, ſind bei der kuͤnſtlichen und
natuͤrlichen Zuͤchtung ganz dieſelben. (Gen. Morph. II., 248).

Die gedankenloſen und beſchraͤnkten Gegner Darwin’s werden
nicht muͤde zu behaupten, daß ſeine Selectionstheorie eine bodenloſe
Vermuthung, oder wenigſtens eine Hypotheſe ſei, welche erſt bewieſen
werden muͤſſe. Daß dieſe Behauptung vollkommen unbegruͤndet iſt,

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[132/0153] Vergleichung der natuͤrlichen und der kuͤnſtlichen Zuͤchtung. Zeit ſehr bedeutende Veraͤnderungen hervorzubringen, waͤhrend bei der natuͤrlichen Zuchtwahl Aehnliches erſt in viel laͤngerer Zeit zu Stande gebracht wird. Das beruht darauf, daß der Menſch die Ausleſe viel ſorgfaͤltiger betreiben kann. Der Menſch kann unter einer großen Anzahl von Jndividuen mit der groͤßten Sorgfalt Einzelne herausle- ſen, die uͤbrigen ganz fallen laſſen, und bloß die Bevorzugten zur Fortpflanzung verwenden, waͤhrend das bei der natuͤrlichen Zuchtwahl nicht der Fall iſt. Da werden ſich neben den bevorzugten, zuerſt zur Fortpflanzung gelangenden Jndividuen, auch noch Einzelne oder Viele von den uͤbrigen, weniger ausgezeichneten Jndividuen, neben den erſtern fortpflanzen. Ferner iſt der Menſch im Stande, die Kreu- zung zu verhuͤten zwiſchen der urſpruͤnglichen und der neuen Form, die bei der natuͤrlichen Zuͤchtung oft nicht zu vermeiden iſt. Die natuͤr- liche Zuͤchtung wirkt daher ſehr viel langſamer; ſie erfordert viel laͤngere Zeitraͤume, als der kuͤnſtliche Zuͤchtungsprozeß. Aber eine weſentliche Folge dieſes Unterſchiedes iſt, daß dann auch das Product der kuͤnſtli- chen Zuchtwahl viel leichter wieder verſchwindet, und die neu erzeugte Form in die aͤltere zuruͤckſchlaͤgt, waͤhrend das bei der natuͤrlichen Zuͤch- tung nicht der Fall iſt. Die neuen Arten der Species, welche aus der natuͤrlichen Zuͤchtung entſtehen, erhalten ſich viel conſtanter, ſchlagen viel weniger leicht in die Stammform zuruͤck, als es bei den kuͤnſtli- chen Zuͤchtungsproducten der Fall iſt, und ſie erhalten auch demge- maͤß ſich eine viel laͤngere Zeit hindurch beſtaͤndig, als die kuͤnſtlichen Raſſen, die der Menſch erzeugt. Aber das ſind nur untergeordnete Unterſchiede, die ſich durch die verſchiedenen Bedingungen der natuͤr- lichen und der kuͤnſtlichen Ausleſe erklaͤren, und die auch weſentlich nur die Zeitdauer betreffen. Das Weſen der Formveraͤnderung, und die Mittel, durch welche ſie erzeugt wird, ſind bei der kuͤnſtlichen und natuͤrlichen Zuͤchtung ganz dieſelben. (Gen. Morph. II., 248). Die gedankenloſen und beſchraͤnkten Gegner Darwin’s werden nicht muͤde zu behaupten, daß ſeine Selectionstheorie eine bodenloſe Vermuthung, oder wenigſtens eine Hypotheſe ſei, welche erſt bewieſen werden muͤſſe. Daß dieſe Behauptung vollkommen unbegruͤndet iſt,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/153>, abgerufen am 23.11.2024.