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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Vorgang der künstlichen Züchtung.
fältig herauslesen, die das Rothe, das nun der größte Theil der Sa-
menpflanzen zeigen würde, am deutlichsten ausgeprägt haben. Wenn
eine solche Auslese durch eine Reihe von sechs oder zehn Generationen
hindurch geschieht, wenn immer mit großer Sorgfalt diejenige Blüthe
ausgesucht wird, die das tiefste Roth zeigt, so wird der Gärtner in
der sechsten oder zehnten Generation eine Pflanze von rein rother
Farbe bekommen, wie sie ihm erwünscht war.

Ebenso verfährt der Landwirth, welcher eine besondere Thierrasse
züchten will, also z. B. eine Schafsorte, welche sich durch besonders
feine Wolle auszeichnet. Das einzige Verfahren, welches bei der Ver-
vollkommnung der Wolle angewandt wird, besteht darin, daß der
Landwirth mit der größten Sorgfalt und Ausdauer unter der ganzen
Schafherde diejenigen Jndividuen aussucht, die die feinste Wolle ha-
ben. Diese allein werden zur Nachzucht verwandt, und unter der
Nachkommenschaft dieser Auserwählten werden abermals diejenigen
herausgesucht, die sich durch die feinste Wolle auszeichnen u. s. f.
Wenn diese sorgfältige Auslese eine Reihe von Generationen hindurch
fortgesetzt wird, so zeichnen sich zuletzt die auserlesenen Zuchtschafe
durch eine Wolle aus, welche sehr auffallend, und zwar nach dem
Wunsche und zu Gunsten des Züchters, von der Wolle des ursprüng-
lichen Stammvaters verschieden ist.

Die Unterschiede der einzelnen Jndividuen, auf die es bei dieser
künstlichen Auslese ankommt, sind sehr klein. Es ist ein gewöhnlicher
Mensch nicht im Stande, die ungemein feinen Unterschiede der Einzel-
wesen zu erkennen, welche ein geübter Züchter auf den ersten Blick
wahrnimmt. Das Geschäft des Züchters ist keine leichte Kunst; das-
selbe erfordert einen außerordentlich scharfen Blick, eine große Geduld,
eine äußerst sorgsame Behandlungsweise der zu züchtenden Organis-
men. Bei jeder einzelnen Generation sind die Unterschiede der Jndi-
viduen dem Laien vielleicht gar nicht in das Auge fallend; aber durch
die Häufung dieser feinen Unterschiede während einer Reihe von Ge-
nerationen wird die Abweichung von der Stammform zuletzt sehr be-
deutend. Sie wird so auffallend, daß endlich die künstlich erzeugte

Vorgang der kuͤnſtlichen Zuͤchtung.
faͤltig herausleſen, die das Rothe, das nun der groͤßte Theil der Sa-
menpflanzen zeigen wuͤrde, am deutlichſten ausgepraͤgt haben. Wenn
eine ſolche Ausleſe durch eine Reihe von ſechs oder zehn Generationen
hindurch geſchieht, wenn immer mit großer Sorgfalt diejenige Bluͤthe
ausgeſucht wird, die das tiefſte Roth zeigt, ſo wird der Gaͤrtner in
der ſechſten oder zehnten Generation eine Pflanze von rein rother
Farbe bekommen, wie ſie ihm erwuͤnſcht war.

Ebenſo verfaͤhrt der Landwirth, welcher eine beſondere Thierraſſe
zuͤchten will, alſo z. B. eine Schafſorte, welche ſich durch beſonders
feine Wolle auszeichnet. Das einzige Verfahren, welches bei der Ver-
vollkommnung der Wolle angewandt wird, beſteht darin, daß der
Landwirth mit der groͤßten Sorgfalt und Ausdauer unter der ganzen
Schafherde diejenigen Jndividuen ausſucht, die die feinſte Wolle ha-
ben. Dieſe allein werden zur Nachzucht verwandt, und unter der
Nachkommenſchaft dieſer Auserwaͤhlten werden abermals diejenigen
herausgeſucht, die ſich durch die feinſte Wolle auszeichnen u. ſ. f.
Wenn dieſe ſorgfaͤltige Ausleſe eine Reihe von Generationen hindurch
fortgeſetzt wird, ſo zeichnen ſich zuletzt die auserleſenen Zuchtſchafe
durch eine Wolle aus, welche ſehr auffallend, und zwar nach dem
Wunſche und zu Gunſten des Zuͤchters, von der Wolle des urſpruͤng-
lichen Stammvaters verſchieden iſt.

Die Unterſchiede der einzelnen Jndividuen, auf die es bei dieſer
kuͤnſtlichen Ausleſe ankommt, ſind ſehr klein. Es iſt ein gewoͤhnlicher
Menſch nicht im Stande, die ungemein feinen Unterſchiede der Einzel-
weſen zu erkennen, welche ein geuͤbter Zuͤchter auf den erſten Blick
wahrnimmt. Das Geſchaͤft des Zuͤchters iſt keine leichte Kunſt; daſ-
ſelbe erfordert einen außerordentlich ſcharfen Blick, eine große Geduld,
eine aͤußerſt ſorgſame Behandlungsweiſe der zu zuͤchtenden Organis-
men. Bei jeder einzelnen Generation ſind die Unterſchiede der Jndi-
viduen dem Laien vielleicht gar nicht in das Auge fallend; aber durch
die Haͤufung dieſer feinen Unterſchiede waͤhrend einer Reihe von Ge-
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deutend. Sie wird ſo auffallend, daß endlich die kuͤnſtlich erzeugte

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[120/0141] Vorgang der kuͤnſtlichen Zuͤchtung. faͤltig herausleſen, die das Rothe, das nun der groͤßte Theil der Sa- menpflanzen zeigen wuͤrde, am deutlichſten ausgepraͤgt haben. Wenn eine ſolche Ausleſe durch eine Reihe von ſechs oder zehn Generationen hindurch geſchieht, wenn immer mit großer Sorgfalt diejenige Bluͤthe ausgeſucht wird, die das tiefſte Roth zeigt, ſo wird der Gaͤrtner in der ſechſten oder zehnten Generation eine Pflanze von rein rother Farbe bekommen, wie ſie ihm erwuͤnſcht war. Ebenſo verfaͤhrt der Landwirth, welcher eine beſondere Thierraſſe zuͤchten will, alſo z. B. eine Schafſorte, welche ſich durch beſonders feine Wolle auszeichnet. Das einzige Verfahren, welches bei der Ver- vollkommnung der Wolle angewandt wird, beſteht darin, daß der Landwirth mit der groͤßten Sorgfalt und Ausdauer unter der ganzen Schafherde diejenigen Jndividuen ausſucht, die die feinſte Wolle ha- ben. Dieſe allein werden zur Nachzucht verwandt, und unter der Nachkommenſchaft dieſer Auserwaͤhlten werden abermals diejenigen herausgeſucht, die ſich durch die feinſte Wolle auszeichnen u. ſ. f. Wenn dieſe ſorgfaͤltige Ausleſe eine Reihe von Generationen hindurch fortgeſetzt wird, ſo zeichnen ſich zuletzt die auserleſenen Zuchtſchafe durch eine Wolle aus, welche ſehr auffallend, und zwar nach dem Wunſche und zu Gunſten des Zuͤchters, von der Wolle des urſpruͤng- lichen Stammvaters verſchieden iſt. Die Unterſchiede der einzelnen Jndividuen, auf die es bei dieſer kuͤnſtlichen Ausleſe ankommt, ſind ſehr klein. Es iſt ein gewoͤhnlicher Menſch nicht im Stande, die ungemein feinen Unterſchiede der Einzel- weſen zu erkennen, welche ein geuͤbter Zuͤchter auf den erſten Blick wahrnimmt. Das Geſchaͤft des Zuͤchters iſt keine leichte Kunſt; daſ- ſelbe erfordert einen außerordentlich ſcharfen Blick, eine große Geduld, eine aͤußerſt ſorgſame Behandlungsweiſe der zu zuͤchtenden Organis- men. Bei jeder einzelnen Generation ſind die Unterſchiede der Jndi- viduen dem Laien vielleicht gar nicht in das Auge fallend; aber durch die Haͤufung dieſer feinen Unterſchiede waͤhrend einer Reihe von Ge- nerationen wird die Abweichung von der Stammform zuletzt ſehr be- deutend. Sie wird ſo auffallend, daß endlich die kuͤnſtlich erzeugte

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/141>, abgerufen am 22.11.2024.