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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Promorphologische Thesen.
VIII. Thesen von der Vollkommenheit der organischen Grundformen.
67. Die Grundform der organischen Individuen ist um so voll-
kommener, je ungleichartiger ihre constanten Axen sind.
68. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl
der ungleichartigen Axen, je geringer die Zahl der gleichartigen
Axen ist.
69. Die Grundform ist um so vollkommener, je ungleichartiger
die beiden Pole ihrer Axen sind.
70. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl
der ungleichartigen Pole und je geringer die Zahl der gleichartigen
Pole ihrer Axen ist.
gesammten Morphologie halten wir für sehr wichtig, weil sie hauptsächlich an
der ausserordentlichen Verwirrung schuld ist, welche in der topographischen Be-
zeichnung der Körperregionen bei Thieren und Pflanzen, oft bei nächstverwandten
Arten, eingerissen ist. Alle drei Richtaxen können jede mögliche Lage gegen
den Horizont haben, ebenso ihre Pole.
Die Hauptaxe oder Längsaxe (Axislongitudinalis) kann jede mög-
liche Lage haben. Sie steht entweder senkrecht (z. B. Mensch, Pinguin, kriechende
Cephalopoden, allopole aufrechte Pflanzensprosse) oder wagerecht (die meisten
kriechenden Thiere, die kriechenden Pflanzensprosse) oder unter irgend einem
Winkel gegen den Horizont geneigt (die allopolen Seitensprossen der Pflanzen
und Coelenteraten-Stöcke. Der Mundpol oder erste Pol der Hauptaxe (Peri-
stomium) ist bald oben (die meisten festsitzenden Thiere, z. B. Bryozoen, Antho-
zoen, die aufrechten Pflanzensprosse) bald unten (z. B. Seesterne, Cidariden,
Medusen, hängende und nickende Blüthensprosse) bald vorn (z. B. die meisten
kriechenden Thiere und die kriechenden Pflanzensprosse), bald hinten (die rück-
wärts kriechenden Thiere, z. B. Crustaceen); ebenso hat der entgegengesetzte
zweite Pol der Hauptaxe oder Gegenmundpol (Antistomium) jede mögliche
Lage, oben oder unten, vorn oder hinten.
Die Dorsoventralaxe oder Dickenaxe (Axis sagittalis) kann
ebenfalls jede mögliche Lage haben. Sie steht horizontal (Mensch, Pinguin,
kriechende Cephalopodon) oder vertical (die meisten kriechenden Thiere) oder
unter irgend einem Winkel gegen den Horizont geneigt (die zeugiten Pflanzen-
sprosse als Aeste und Zweige der Stöcke etc.). Der Dorsalpol oder erste
Pol der Dickenaxe befindet sich bald oben (die meisten kriechenden Thiere),
bald unten (die Heteropoden und andere auf dem Rücken schwimmende Thiere),
bald hinten (Mensch, Pinguin etc.), bald vorn (ruckwärts kriechende Thiere mit
verticaler Hauptaxe); ebenso hat der entgegengesetzte zweite Pol der Dickenaxe
oder der Ventralpol jede mögliche Lage, unten oder oben, vorn oder hinten.
Die Lateralaxe oder Breitenaxe (Axis lateralis) liegt zwar bei den
allermeisten Zeugiten horizontal; allein bei vielen festgewachsenen zeugiten
Thieren, sowie bei den Pleuronectiden und anderen Dysdipleuren steht auch oft der
eine (linke) Pol derselben unten, der andere (rechte) oben (oder umgekehrt),
die Breitenaxe mithin vertical, oder unter irgend einem Winkel gegen den Hori-
zont geneigt, z. B. bei den festgewachsenen Muscheln, Austern etc.
Promorphologische Thesen.
VIII. Thesen von der Vollkommenheit der organischen Grundformen.
67. Die Grundform der organischen Individuen ist um so voll-
kommener, je ungleichartiger ihre constanten Axen sind.
68. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl
der ungleichartigen Axen, je geringer die Zahl der gleichartigen
Axen ist.
69. Die Grundform ist um so vollkommener, je ungleichartiger
die beiden Pole ihrer Axen sind.
70. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl
der ungleichartigen Pole und je geringer die Zahl der gleichartigen
Pole ihrer Axen ist.
gesammten Morphologie halten wir für sehr wichtig, weil sie hauptsächlich an
der ausserordentlichen Verwirrung schuld ist, welche in der topographischen Be-
zeichnung der Körperregionen bei Thieren und Pflanzen, oft bei nächstverwandten
Arten, eingerissen ist. Alle drei Richtaxen können jede mögliche Lage gegen
den Horizont haben, ebenso ihre Pole.
Die Hauptaxe oder Längsaxe (Axislongitudinalis) kann jede mög-
liche Lage haben. Sie steht entweder senkrecht (z. B. Mensch, Pinguin, kriechende
Cephalopoden, allopole aufrechte Pflanzensprosse) oder wagerecht (die meisten
kriechenden Thiere, die kriechenden Pflanzensprosse) oder unter irgend einem
Winkel gegen den Horizont geneigt (die allopolen Seitensprossen der Pflanzen
und Coelenteraten-Stöcke. Der Mundpol oder erste Pol der Hauptaxe (Peri-
stomium) ist bald oben (die meisten festsitzenden Thiere, z. B. Bryozoen, Antho-
zoen, die aufrechten Pflanzensprosse) bald unten (z. B. Seesterne, Cidariden,
Medusen, hängende und nickende Blüthensprosse) bald vorn (z. B. die meisten
kriechenden Thiere und die kriechenden Pflanzensprosse), bald hinten (die rück-
wärts kriechenden Thiere, z. B. Crustaceen); ebenso hat der entgegengesetzte
zweite Pol der Hauptaxe oder Gegenmundpol (Antistomium) jede mögliche
Lage, oben oder unten, vorn oder hinten.
Die Dorsoventralaxe oder Dickenaxe (Axis sagittalis) kann
ebenfalls jede mögliche Lage haben. Sie steht horizontal (Mensch, Pinguin,
kriechende Cephalopodon) oder vertical (die meisten kriechenden Thiere) oder
unter irgend einem Winkel gegen den Horizont geneigt (die zeugiten Pflanzen-
sprosse als Aeste und Zweige der Stöcke etc.). Der Dorsalpol oder erste
Pol der Dickenaxe befindet sich bald oben (die meisten kriechenden Thiere),
bald unten (die Heteropoden und andere auf dem Rücken schwimmende Thiere),
bald hinten (Mensch, Pinguin etc.), bald vorn (rúckwärts kriechende Thiere mit
verticaler Hauptaxe); ebenso hat der entgegengesetzte zweite Pol der Dickenaxe
oder der Ventralpol jede mögliche Lage, unten oder oben, vorn oder hinten.
Die Lateralaxe oder Breitenaxe (Axis lateralis) liegt zwar bei den
allermeisten Zeugiten horizontal; allein bei vielen festgewachsenen zeugiten
Thieren, sowie bei den Pleuronectiden und anderen Dysdipleuren steht auch oft der
eine (linke) Pol derselben unten, der andere (rechte) oben (oder umgekehrt),
die Breitenaxe mithin vertical, oder unter irgend einem Winkel gegen den Hori-
zont geneigt, z. B. bei den festgewachsenen Muscheln, Austern etc.
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[550/0589] Promorphologische Thesen. VIII. Thesen von der Vollkommenheit der organischen Grundformen. 67. Die Grundform der organischen Individuen ist um so voll- kommener, je ungleichartiger ihre constanten Axen sind. 68. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl der ungleichartigen Axen, je geringer die Zahl der gleichartigen Axen ist. 69. Die Grundform ist um so vollkommener, je ungleichartiger die beiden Pole ihrer Axen sind. 70. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl der ungleichartigen Pole und je geringer die Zahl der gleichartigen Pole ihrer Axen ist. 1) 1) gesammten Morphologie halten wir für sehr wichtig, weil sie hauptsächlich an der ausserordentlichen Verwirrung schuld ist, welche in der topographischen Be- zeichnung der Körperregionen bei Thieren und Pflanzen, oft bei nächstverwandten Arten, eingerissen ist. Alle drei Richtaxen können jede mögliche Lage gegen den Horizont haben, ebenso ihre Pole. Die Hauptaxe oder Längsaxe (Axislongitudinalis) kann jede mög- liche Lage haben. Sie steht entweder senkrecht (z. B. Mensch, Pinguin, kriechende Cephalopoden, allopole aufrechte Pflanzensprosse) oder wagerecht (die meisten kriechenden Thiere, die kriechenden Pflanzensprosse) oder unter irgend einem Winkel gegen den Horizont geneigt (die allopolen Seitensprossen der Pflanzen und Coelenteraten-Stöcke. Der Mundpol oder erste Pol der Hauptaxe (Peri- stomium) ist bald oben (die meisten festsitzenden Thiere, z. B. Bryozoen, Antho- zoen, die aufrechten Pflanzensprosse) bald unten (z. B. Seesterne, Cidariden, Medusen, hängende und nickende Blüthensprosse) bald vorn (z. B. die meisten kriechenden Thiere und die kriechenden Pflanzensprosse), bald hinten (die rück- wärts kriechenden Thiere, z. B. Crustaceen); ebenso hat der entgegengesetzte zweite Pol der Hauptaxe oder Gegenmundpol (Antistomium) jede mögliche Lage, oben oder unten, vorn oder hinten. Die Dorsoventralaxe oder Dickenaxe (Axis sagittalis) kann ebenfalls jede mögliche Lage haben. Sie steht horizontal (Mensch, Pinguin, kriechende Cephalopodon) oder vertical (die meisten kriechenden Thiere) oder unter irgend einem Winkel gegen den Horizont geneigt (die zeugiten Pflanzen- sprosse als Aeste und Zweige der Stöcke etc.). Der Dorsalpol oder erste Pol der Dickenaxe befindet sich bald oben (die meisten kriechenden Thiere), bald unten (die Heteropoden und andere auf dem Rücken schwimmende Thiere), bald hinten (Mensch, Pinguin etc.), bald vorn (rúckwärts kriechende Thiere mit verticaler Hauptaxe); ebenso hat der entgegengesetzte zweite Pol der Dickenaxe oder der Ventralpol jede mögliche Lage, unten oder oben, vorn oder hinten. Die Lateralaxe oder Breitenaxe (Axis lateralis) liegt zwar bei den allermeisten Zeugiten horizontal; allein bei vielen festgewachsenen zeugiten Thieren, sowie bei den Pleuronectiden und anderen Dysdipleuren steht auch oft der eine (linke) Pol derselben unten, der andere (rechte) oben (oder umgekehrt), die Breitenaxe mithin vertical, oder unter irgend einem Winkel gegen den Hori- zont geneigt, z. B. bei den festgewachsenen Muscheln, Austern etc.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/589>, abgerufen am 24.11.2024.