Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite
Tectologische Thesen.
Elftes Capitel.
Tectologische Thesen.
"Eine Erfahrung, die aus mehreren anderen
besteht, ist offenbar von einer höheren Art. Auf
solche Erfahrungen der höheren Art loszuarbeiten
halte ich für höchste Pflicht des Naturforschers,
und dahin weist uns das Exempel der vorzüg-
lichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet
haben."
Goethe.



I. Thesen von der Fundamental-Structur der Organismen.
1. Alle morphologischen Eigenschaften der Organismen, sowohl
ihre anatomischen, als ihre Entwickelungs-Erscheinungen, und von
den anatomischen Eigenschaften sowohl die tectologischen als die
promorphologischen Verhältnisse, sind die nothwendigen Folgen
mechanischer wirkender Ursachen. 1)
1) Indem wir am Schlusse dieses dritten Buches und der folgenden drei
Bücher eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Morphologie
in Form von "Thesen" aussprechen, wollen wir damit nicht sowohl eine "Ge-
setzsammlung der organischen Morphologie
" begründen, als vielmehr
einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Es liegt auf
der Hand, dass wir gegenwärtig noch in keiner Weise befähigt sind, eine con-
tinuirliche Kette von morphologischen Gesetzen zu entwickeln, die nur einiger-
maassen auf unbedingte mathematische Gültigkeit und Anerkennung rechnen und
sich eine lange Lebensdauer versprechen könnte. Eine Wissenschaft, die noch
so sehr in primis cunabulis liegt wie die Morphologie der Organismen, muss
noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre
allgemeinen Sätze den Rang von unbedingten ausnahmslos wirkenden Naturge-
Tectologische Thesen.
Elftes Capitel.
Tectologische Thesen.
„Eine Erfahrung, die aus mehreren anderen
besteht, ist offenbar von einer höheren Art. Auf
solche Erfahrungen der höheren Art loszuarbeiten
halte ich für höchste Pflicht des Naturforschers,
und dahin weist uns das Exempel der vorzüg-
lichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet
haben.“
Goethe.



I. Thesen von der Fundamental-Structur der Organismen.
1. Alle morphologischen Eigenschaften der Organismen, sowohl
ihre anatomischen, als ihre Entwickelungs-Erscheinungen, und von
den anatomischen Eigenschaften sowohl die tectologischen als die
promorphologischen Verhältnisse, sind die nothwendigen Folgen
mechanischer wirkender Ursachen. 1)
1) Indem wir am Schlusse dieses dritten Buches und der folgenden drei
Bücher eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Morphologie
in Form von „Thesen“ aussprechen, wollen wir damit nicht sowohl eine „Ge-
setzsammlung der organischen Morphologie
“ begründen, als vielmehr
einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Es liegt auf
der Hand, dass wir gegenwärtig noch in keiner Weise befähigt sind, eine con-
tinuirliche Kette von morphologischen Gesetzen zu entwickeln, die nur einiger-
maassen auf unbedingte mathematische Gültigkeit und Anerkennung rechnen und
sich eine lange Lebensdauer versprechen könnte. Eine Wissenschaft, die noch
so sehr in primis cunabulis liegt wie die Morphologie der Organismen, muss
noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre
allgemeinen Sätze den Rang von unbedingten ausnahmslos wirkenden Naturge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0403" n="364"/>
        <fw place="top" type="header">Tectologische Thesen.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Elftes Capitel.</hi><lb/>
Tectologische Thesen.</head><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#et">&#x201E;Eine Erfahrung, die aus mehreren anderen<lb/>
besteht, ist offenbar von einer höheren Art. Auf<lb/>
solche Erfahrungen der höheren Art loszuarbeiten<lb/>
halte ich für höchste Pflicht des Naturforschers,<lb/>
und dahin weist uns das Exempel der vorzüg-<lb/>
lichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet<lb/>
haben.&#x201C;<lb/><hi rendition="#g">Goethe</hi>.</hi> </quote>
          </cit><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">I. Thesen von der Fundamental-Structur der Organismen.</hi> </head><lb/>
            <list>
              <item>1. Alle morphologischen Eigenschaften der Organismen, sowohl<lb/>
ihre anatomischen, als ihre Entwickelungs-Erscheinungen, und von<lb/>
den anatomischen Eigenschaften sowohl die tectologischen als die<lb/>
promorphologischen Verhältnisse, sind die nothwendigen Folgen<lb/>
mechanischer wirkender Ursachen. <note xml:id="seg2pn_22_1" next="#seg2pn_22_2" place="foot" n="1)">Indem wir am Schlusse dieses dritten Buches und der folgenden drei<lb/>
Bücher eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Morphologie<lb/>
in Form von &#x201E;<hi rendition="#g">Thesen</hi>&#x201C; aussprechen, wollen wir damit nicht sowohl eine &#x201E;<hi rendition="#g">Ge-<lb/>
setzsammlung der organischen Morphologie</hi>&#x201C; begründen, als vielmehr<lb/>
einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Es liegt auf<lb/>
der Hand, dass wir gegenwärtig noch in keiner Weise befähigt sind, eine con-<lb/>
tinuirliche Kette von morphologischen Gesetzen zu entwickeln, die nur einiger-<lb/>
maassen auf unbedingte mathematische Gültigkeit und Anerkennung rechnen und<lb/>
sich eine lange Lebensdauer versprechen könnte. Eine Wissenschaft, die noch<lb/>
so sehr in primis cunabulis liegt wie die Morphologie der Organismen, muss<lb/>
noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre<lb/>
allgemeinen Sätze den Rang von unbedingten ausnahmslos wirkenden Naturge-</note></item>
            </list><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0403] Tectologische Thesen. Elftes Capitel. Tectologische Thesen. „Eine Erfahrung, die aus mehreren anderen besteht, ist offenbar von einer höheren Art. Auf solche Erfahrungen der höheren Art loszuarbeiten halte ich für höchste Pflicht des Naturforschers, und dahin weist uns das Exempel der vorzüg- lichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet haben.“ Goethe. I. Thesen von der Fundamental-Structur der Organismen. 1. Alle morphologischen Eigenschaften der Organismen, sowohl ihre anatomischen, als ihre Entwickelungs-Erscheinungen, und von den anatomischen Eigenschaften sowohl die tectologischen als die promorphologischen Verhältnisse, sind die nothwendigen Folgen mechanischer wirkender Ursachen. 1) 1) Indem wir am Schlusse dieses dritten Buches und der folgenden drei Bücher eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Morphologie in Form von „Thesen“ aussprechen, wollen wir damit nicht sowohl eine „Ge- setzsammlung der organischen Morphologie“ begründen, als vielmehr einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Es liegt auf der Hand, dass wir gegenwärtig noch in keiner Weise befähigt sind, eine con- tinuirliche Kette von morphologischen Gesetzen zu entwickeln, die nur einiger- maassen auf unbedingte mathematische Gültigkeit und Anerkennung rechnen und sich eine lange Lebensdauer versprechen könnte. Eine Wissenschaft, die noch so sehr in primis cunabulis liegt wie die Morphologie der Organismen, muss noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre allgemeinen Sätze den Rang von unbedingten ausnahmslos wirkenden Naturge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/403
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/403>, abgerufen am 23.11.2024.