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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.

In allen angeführten Fällen, also bei der grossen Mehrzahl aller
Thiere und Pflanzen, und insbesondere bei fast allen vollkommeneren
Formen beider Reiche, sehen wir die Person oder den Spross durch
seine Gliederung oder Articulation characterisirt, d. h. dadurch, dass
eine Anzahl homodynamer Theile (Metameren) in der Hauptaxe (Längs-
axe) des aus Antimeren zusammengesetzten Körpers hinter einander
liegen. Gewöhnlich kömmt diese Gliederung dadurch zu Stande, dass
ein ursprünglich einfaches Metamer eine Kette von Terminalknospen
treibt, welche durch unvollständige Scheidewände (Knoten, Nodi) ge-
trcnnt werden und vereinigt bleiben. Wir können also diese ganz
characteristische, typische Form der Person, welche bei den meisten
höheren Thieren als Bion, bei den meisten Coelenteraten und Pflanzen
als Theil des Stockes erscheint, definiren als eine Kette von hinter
einander gelegenen Metameren, durch Terminalknospung entstanden.
(Vergl. das siebzehnte Capitel).

Nun existiren aber ausser diesen Metameren-Complexen, welche
alle in ihrer gegliederten Kettenform übereinstimmen, noch andere Me-
tameren-Colonieen, welche sich wesentlich durch den gänzlichen Mangel
der Terminalknospung von den ersteren unterscheiden und dadurch
ein so verschiedenes Ansehen erhalten, dass man dieselben allgemein
mit den Form-Individuen sechster Ordnung, den echten Stöcken oder
Cormen vereinigt hat. Es gehören hierher alle jene stockähnlichen
Synusieen oder Colonieen, welche nicht aus gegliederten Personen,
sondern aus ungegliederten Metameren zusammengesetzt sind. Dies
ist der Fall nur bei sehr wenigen Pflanzen, z. B. bei Viscum, dagegen bei
sehr zahlreichen Thieren, nämlich den meisten stockbildenden Mollusken.
Gleich den echten Stöcken oder Cormen, mit denen sie allgemein (aber
nicht mit Recht!) zusammengestellt werden, entstehen diese Pseudo-Cor-
men, welche insbesondere bei den Tunicaten und Bryozoen eine so man-
nichfaltige Entwickelung erreichen, durch laterale Knospenbildung.
Die Knospen sind aber keine echten Sprosse, gleich den gegliederten
Sprossen oder Blasten der meisten Pflanzen und Coelenteraten, son-
dern einfache ungegliederte Metameren, über deren morphologische
Aequivalenz mit den frei lebenden "Einzelthieren" der höheren Mollus-
ken kein Zweifel bestehen kann. Gleich diesen sind sie aus zwei
Antimeren und aus vielen Organen und Plastiden zusammengesetzt,

schieht auch bei ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe von Ein-
zelheiten, die sich an einander schliessen, bringen als Gesammtheit etwas her-
vor, das auch den Schluss macht und als Kopf des Ganzen anzusehen ist, die
Bienenkönigin. Wie dieses geschieht, ist geheimnissvoll, schwer auszusprechen;
aber ich könnte sagen, dass ich darüber meine Gedanken habe. So bringt ein
Volk seine Helden hervor, die gleich Halbgöttern zu Schutz und Heil an der
Spitze stehen."
21*
V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.

In allen angeführten Fällen, also bei der grossen Mehrzahl aller
Thiere und Pflanzen, und insbesondere bei fast allen vollkommeneren
Formen beider Reiche, sehen wir die Person oder den Spross durch
seine Gliederung oder Articulation characterisirt, d. h. dadurch, dass
eine Anzahl homodynamer Theile (Metameren) in der Hauptaxe (Längs-
axe) des aus Antimeren zusammengesetzten Körpers hinter einander
liegen. Gewöhnlich kömmt diese Gliederung dadurch zu Stande, dass
ein ursprünglich einfaches Metamer eine Kette von Terminalknospen
treibt, welche durch unvollständige Scheidewände (Knoten, Nodi) ge-
trcnnt werden und vereinigt bleiben. Wir können also diese ganz
characteristische, typische Form der Person, welche bei den meisten
höheren Thieren als Bion, bei den meisten Coelenteraten und Pflanzen
als Theil des Stockes erscheint, definiren als eine Kette von hinter
einander gelegenen Metameren, durch Terminalknospung entstanden.
(Vergl. das siebzehnte Capitel).

Nun existiren aber ausser diesen Metameren-Complexen, welche
alle in ihrer gegliederten Kettenform übereinstimmen, noch andere Me-
tameren-Colonieen, welche sich wesentlich durch den gänzlichen Mangel
der Terminalknospung von den ersteren unterscheiden und dadurch
ein so verschiedenes Ansehen erhalten, dass man dieselben allgemein
mit den Form-Individuen sechster Ordnung, den echten Stöcken oder
Cormen vereinigt hat. Es gehören hierher alle jene stockähnlichen
Synusieen oder Colonieen, welche nicht aus gegliederten Personen,
sondern aus ungegliederten Metameren zusammengesetzt sind. Dies
ist der Fall nur bei sehr wenigen Pflanzen, z. B. bei Viscum, dagegen bei
sehr zahlreichen Thieren, nämlich den meisten stockbildenden Mollusken.
Gleich den echten Stöcken oder Cormen, mit denen sie allgemein (aber
nicht mit Recht!) zusammengestellt werden, entstehen diese Pseudo-Cor-
men, welche insbesondere bei den Tunicaten und Bryozoen eine so man-
nichfaltige Entwickelung erreichen, durch laterale Knospenbildung.
Die Knospen sind aber keine echten Sprosse, gleich den gegliederten
Sprossen oder Blasten der meisten Pflanzen und Coelenteraten, son-
dern einfache ungegliederte Metameren, über deren morphologische
Aequivalenz mit den frei lebenden „Einzelthieren“ der höheren Mollus-
ken kein Zweifel bestehen kann. Gleich diesen sind sie aus zwei
Antimeren und aus vielen Organen und Plastiden zusammengesetzt,

schieht auch bei ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe von Ein-
zelheiten, die sich an einander schliessen, bringen als Gesammtheit etwas her-
vor, das auch den Schluss macht und als Kopf des Ganzen anzusehen ist, die
Bienenkönigin. Wie dieses geschieht, ist geheimnissvoll, schwer auszusprechen;
aber ich könnte sagen, dass ich darüber meine Gedanken habe. So bringt ein
Volk seine Helden hervor, die gleich Halbgöttern zu Schutz und Heil an der
Spitze stehen.“
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[323/0362] V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen. In allen angeführten Fällen, also bei der grossen Mehrzahl aller Thiere und Pflanzen, und insbesondere bei fast allen vollkommeneren Formen beider Reiche, sehen wir die Person oder den Spross durch seine Gliederung oder Articulation characterisirt, d. h. dadurch, dass eine Anzahl homodynamer Theile (Metameren) in der Hauptaxe (Längs- axe) des aus Antimeren zusammengesetzten Körpers hinter einander liegen. Gewöhnlich kömmt diese Gliederung dadurch zu Stande, dass ein ursprünglich einfaches Metamer eine Kette von Terminalknospen treibt, welche durch unvollständige Scheidewände (Knoten, Nodi) ge- trcnnt werden und vereinigt bleiben. Wir können also diese ganz characteristische, typische Form der Person, welche bei den meisten höheren Thieren als Bion, bei den meisten Coelenteraten und Pflanzen als Theil des Stockes erscheint, definiren als eine Kette von hinter einander gelegenen Metameren, durch Terminalknospung entstanden. (Vergl. das siebzehnte Capitel). Nun existiren aber ausser diesen Metameren-Complexen, welche alle in ihrer gegliederten Kettenform übereinstimmen, noch andere Me- tameren-Colonieen, welche sich wesentlich durch den gänzlichen Mangel der Terminalknospung von den ersteren unterscheiden und dadurch ein so verschiedenes Ansehen erhalten, dass man dieselben allgemein mit den Form-Individuen sechster Ordnung, den echten Stöcken oder Cormen vereinigt hat. Es gehören hierher alle jene stockähnlichen Synusieen oder Colonieen, welche nicht aus gegliederten Personen, sondern aus ungegliederten Metameren zusammengesetzt sind. Dies ist der Fall nur bei sehr wenigen Pflanzen, z. B. bei Viscum, dagegen bei sehr zahlreichen Thieren, nämlich den meisten stockbildenden Mollusken. Gleich den echten Stöcken oder Cormen, mit denen sie allgemein (aber nicht mit Recht!) zusammengestellt werden, entstehen diese Pseudo-Cor- men, welche insbesondere bei den Tunicaten und Bryozoen eine so man- nichfaltige Entwickelung erreichen, durch laterale Knospenbildung. Die Knospen sind aber keine echten Sprosse, gleich den gegliederten Sprossen oder Blasten der meisten Pflanzen und Coelenteraten, son- dern einfache ungegliederte Metameren, über deren morphologische Aequivalenz mit den frei lebenden „Einzelthieren“ der höheren Mollus- ken kein Zweifel bestehen kann. Gleich diesen sind sie aus zwei Antimeren und aus vielen Organen und Plastiden zusammengesetzt, 1) 1) schieht auch bei ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe von Ein- zelheiten, die sich an einander schliessen, bringen als Gesammtheit etwas her- vor, das auch den Schluss macht und als Kopf des Ganzen anzusehen ist, die Bienenkönigin. Wie dieses geschieht, ist geheimnissvoll, schwer auszusprechen; aber ich könnte sagen, dass ich darüber meine Gedanken habe. So bringt ein Volk seine Helden hervor, die gleich Halbgöttern zu Schutz und Heil an der Spitze stehen.“ 21*

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/362>, abgerufen am 23.11.2024.