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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.
lassen sich auf drei Hauptgruppen vertheilen, entsprechend den drei
Haupt-Functionsgruppen, welche der Organismus besitzt: Erhaltung
seiner selbst, Erhaltung der Art und Erhaltung der Beziehungen zur
Aussenwelt. Hiernach werden wir beim Menschen und den Wirbel-
thieren überhaupt folgende Gruppen von Apparaten unterscheiden
können: I. Apparate zur Erhaltung des Individuums (der Person):
Ernährungs-Apparat (und als untergeordnete Apparate: Verdauungs-,
Circulations-, Respirations- und Secretions-Apparate); II. Apparat zur
Erhaltung der Art: Fortpflanzungs-Apparat (Genitalien); III. Ap-
parate zur Erhaltung des Verkehrs mit der Aussenwelt: Relations-
Apparate:
A. Bewegungs-Apparat (aus Muskelsystem oder activen
und Knochensystem oder passiven Locomotions-Organen zusammen-
gesetzt). B. Seelen-Apparat (aus Nervensystem und Sinnesorganen
zusammengesetzt, unter letzteren als einzelne Sinnes-Apparate die ge-
schlossenen Einheiten der fünf Sinne: Auge (Gesicht), Ohr (Gehör),
Nase (Geruch), Zunge (Geschmack), Hautdecke (Gefühl). Bei den
Pflanzen werden wir ebenso allgemein Ernährungs-Apparate, Fort-
pflanzungsapparate und Relationsapparate unterscheiden können.

III. Morphologische Individuen dritter Ordnung:
Antimeren oder Gegenstücke.
(Homotypische Theile.)

Die vorhergehende Betrachtung der morphologischen Individuen
erster und zweiter Ordnung, der Plastiden und der Organe, hat uns
mit Ueberwindung grosser Schwierigkeiten in das verwickelte Laby-
rinth von coordinirten und subordinirten Theilen eingeführt, aus wel-
chen der ganze Organismus der höheren Thiere und Pflanzen als
höhere Einheit zusammengesetzt wird. Eine genauere Betrachtung
der höchst complicirten und kunstvollen Art und Weise, auf welche
diese Zusammensetzung erfolgt, lässt uns alsbald erkennen, dass die
stufenweise emporsteigende Complication des organischen Baues,
wenigstens bei den höheren Pflanzen und Thieren, nicht allein nach
den grossen Gesetzen der Aggregation und der Differenzirung (oder
des Polymorphismus) erfolgt, sondern dass die verschiedenen coor-
dinirten und subordinirten Theile sich derartig im Ganzen verflechten,
gegenseitig räumlich durchwachsen und verbinden, und in so ver-
wickelter Weise in einander eingreifen, dass wir zur Aufstellung ganz
verschiedener morphologischer Einheiten gelangen, je nachdem wir
unseren Standpunkt auf verschiedenen Seiten nehmen und von diesem
oder jenem gemeinsamen Tertium aus zwei Einheiten vergleichen.
So kann also derselbe Nerv, derselbe Muskel als ein Complex von

II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.
lassen sich auf drei Hauptgruppen vertheilen, entsprechend den drei
Haupt-Functionsgruppen, welche der Organismus besitzt: Erhaltung
seiner selbst, Erhaltung der Art und Erhaltung der Beziehungen zur
Aussenwelt. Hiernach werden wir beim Menschen und den Wirbel-
thieren überhaupt folgende Gruppen von Apparaten unterscheiden
können: I. Apparate zur Erhaltung des Individuums (der Person):
Ernährungs-Apparat (und als untergeordnete Apparate: Verdauungs-,
Circulations-, Respirations- und Secretions-Apparate); II. Apparat zur
Erhaltung der Art: Fortpflanzungs-Apparat (Genitalien); III. Ap-
parate zur Erhaltung des Verkehrs mit der Aussenwelt: Relations-
Apparate:
A. Bewegungs-Apparat (aus Muskelsystem oder activen
und Knochensystem oder passiven Locomotions-Organen zusammen-
gesetzt). B. Seelen-Apparat (aus Nervensystem und Sinnesorganen
zusammengesetzt, unter letzteren als einzelne Sinnes-Apparate die ge-
schlossenen Einheiten der fünf Sinne: Auge (Gesicht), Ohr (Gehör),
Nase (Geruch), Zunge (Geschmack), Hautdecke (Gefühl). Bei den
Pflanzen werden wir ebenso allgemein Ernährungs-Apparate, Fort-
pflanzungsapparate und Relationsapparate unterscheiden können.

III. Morphologische Individuen dritter Ordnung:
Antimeren oder Gegenstücke.
(Homotypische Theile.)

Die vorhergehende Betrachtung der morphologischen Individuen
erster und zweiter Ordnung, der Plastiden und der Organe, hat uns
mit Ueberwindung grosser Schwierigkeiten in das verwickelte Laby-
rinth von coordinirten und subordinirten Theilen eingeführt, aus wel-
chen der ganze Organismus der höheren Thiere und Pflanzen als
höhere Einheit zusammengesetzt wird. Eine genauere Betrachtung
der höchst complicirten und kunstvollen Art und Weise, auf welche
diese Zusammensetzung erfolgt, lässt uns alsbald erkennen, dass die
stufenweise emporsteigende Complication des organischen Baues,
wenigstens bei den höheren Pflanzen und Thieren, nicht allein nach
den grossen Gesetzen der Aggregation und der Differenzirung (oder
des Polymorphismus) erfolgt, sondern dass die verschiedenen coor-
dinirten und subordinirten Theile sich derartig im Ganzen verflechten,
gegenseitig räumlich durchwachsen und verbinden, und in so ver-
wickelter Weise in einander eingreifen, dass wir zur Aufstellung ganz
verschiedener morphologischer Einheiten gelangen, je nachdem wir
unseren Standpunkt auf verschiedenen Seiten nehmen und von diesem
oder jenem gemeinsamen Tertium aus zwei Einheiten vergleichen.
So kann also derselbe Nerv, derselbe Muskel als ein Complex von

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[303/0342] II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe. lassen sich auf drei Hauptgruppen vertheilen, entsprechend den drei Haupt-Functionsgruppen, welche der Organismus besitzt: Erhaltung seiner selbst, Erhaltung der Art und Erhaltung der Beziehungen zur Aussenwelt. Hiernach werden wir beim Menschen und den Wirbel- thieren überhaupt folgende Gruppen von Apparaten unterscheiden können: I. Apparate zur Erhaltung des Individuums (der Person): Ernährungs-Apparat (und als untergeordnete Apparate: Verdauungs-, Circulations-, Respirations- und Secretions-Apparate); II. Apparat zur Erhaltung der Art: Fortpflanzungs-Apparat (Genitalien); III. Ap- parate zur Erhaltung des Verkehrs mit der Aussenwelt: Relations- Apparate: A. Bewegungs-Apparat (aus Muskelsystem oder activen und Knochensystem oder passiven Locomotions-Organen zusammen- gesetzt). B. Seelen-Apparat (aus Nervensystem und Sinnesorganen zusammengesetzt, unter letzteren als einzelne Sinnes-Apparate die ge- schlossenen Einheiten der fünf Sinne: Auge (Gesicht), Ohr (Gehör), Nase (Geruch), Zunge (Geschmack), Hautdecke (Gefühl). Bei den Pflanzen werden wir ebenso allgemein Ernährungs-Apparate, Fort- pflanzungsapparate und Relationsapparate unterscheiden können. III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren oder Gegenstücke. (Homotypische Theile.) Die vorhergehende Betrachtung der morphologischen Individuen erster und zweiter Ordnung, der Plastiden und der Organe, hat uns mit Ueberwindung grosser Schwierigkeiten in das verwickelte Laby- rinth von coordinirten und subordinirten Theilen eingeführt, aus wel- chen der ganze Organismus der höheren Thiere und Pflanzen als höhere Einheit zusammengesetzt wird. Eine genauere Betrachtung der höchst complicirten und kunstvollen Art und Weise, auf welche diese Zusammensetzung erfolgt, lässt uns alsbald erkennen, dass die stufenweise emporsteigende Complication des organischen Baues, wenigstens bei den höheren Pflanzen und Thieren, nicht allein nach den grossen Gesetzen der Aggregation und der Differenzirung (oder des Polymorphismus) erfolgt, sondern dass die verschiedenen coor- dinirten und subordinirten Theile sich derartig im Ganzen verflechten, gegenseitig räumlich durchwachsen und verbinden, und in so ver- wickelter Weise in einander eingreifen, dass wir zur Aufstellung ganz verschiedener morphologischer Einheiten gelangen, je nachdem wir unseren Standpunkt auf verschiedenen Seiten nehmen und von diesem oder jenem gemeinsamen Tertium aus zwei Einheiten vergleichen. So kann also derselbe Nerv, derselbe Muskel als ein Complex von

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/342>, abgerufen am 24.11.2024.