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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Morphologische Individualität der Organismen.
weiter die Centralisation der Personen geht, desto schärfer ist die
Trennung der einzelnen Organ-Systeme, desto einheitlicher der Zu-
sammenhang jedes Systems. Bei den höheren Pflanzen könnte man
als derartige zusammenhängende Systeme vielleicht unterscheiden:
1) das Decken-System (mit Oberhaut, Haaren, Rinde etc.), 2) das
Parenchym-System, 3) das Gefässsystem (Gefässbündel etc.).

E. Organe fünfter Ordnung:
Organ-Apparate.

Obgleich dem Begriffe des Apparates, wie schon bemerkt, wesent-
lich eine physiologische Vorstellung zu Grunde liegt, und man also
gewöhnlich unter einem Apparate einen Complex von einfachen und
zusammengesetzten Organen versteht, die zu einem einheitlichen Gan-
zen behufs einer einzigen gemeinsamen Function verbunden sind, so
können wir dennoch, wie oben gezeigt wurde, dem Begriffe des Appa-
rates auch eine morphologische Bedeutung beilegen. Wir verstehen
dann darunter einen einheitlich abgeschlossenen Complex von mehre-
ren verschiedenartigen untergeordneten Organen (verschiedenen Syste-
men und Geweben angehörig), in welchen mehrere coordinirte Gewebe
der Art verbunden sind, dass keins allein eine vorwiegende Bedeutung
vor allen anderen beanspruchen kann.

Wir dürfen diese Apparate um so eher als eine Ordnung von
Organen höchsten Ranges anführen, als die morphologische Einheit
des Ganzen in denselben meist nicht minder deutlich, oft sogar augen-
fälliger hervortritt, als in den einzelnen Systemen. Die Form-Einheit
des Apparates beruht aber nicht, wie bei dem Systeme, auf dem aus-
schliesslichen Vorwiegen einer einzigen Gewebs-Form, sondern viel-
mehr auf einer räumlichen Sonderung, die schon bei der gröbsten
Betrachtung des Organismus ins Auge springt. So befindet sich der
Ernährungsapparat fast ganz auf die Pleuroperitonealhöhle des Wirbel-
thieres beschränkt, der Gesichtsapparat auf den Inhalt der Augenhöhle,
der Geruchsapparat auf die Nasenhöhle etc.

Da nun ausser der räumlichen Sonderung und Einheit auch die
morphologische Zusammensetzung jedes Apparates aus coordinirten
und subordinirten Organen und Systemtheilen dem Ganzen ein ein-
heitliches Gepräge giebt, so können wir, gestützt auf den innigen Zu-
sammenhang und die Wechselwirkung von Form und Function, ebenso,
wie es bei dem Begriffe des Organes im Allgemeinen bereits ge-
schehen ist, die morphologische Einheit des Apparates von der physio-
logischen sondern und die erstere als Organ fünfter Ordnung hier in
Betracht ziehen.

Die sämmtlichen Organ-Apparate, welche man weiter in niedere
oder besondere und in höhere oder allgemeinere gruppiren kann,

Morphologische Individualität der Organismen.
weiter die Centralisation der Personen geht, desto schärfer ist die
Trennung der einzelnen Organ-Systeme, desto einheitlicher der Zu-
sammenhang jedes Systems. Bei den höheren Pflanzen könnte man
als derartige zusammenhängende Systeme vielleicht unterscheiden:
1) das Decken-System (mit Oberhaut, Haaren, Rinde etc.), 2) das
Parenchym-System, 3) das Gefässsystem (Gefässbündel etc.).

E. Organe fünfter Ordnung:
Organ-Apparate.

Obgleich dem Begriffe des Apparates, wie schon bemerkt, wesent-
lich eine physiologische Vorstellung zu Grunde liegt, und man also
gewöhnlich unter einem Apparate einen Complex von einfachen und
zusammengesetzten Organen versteht, die zu einem einheitlichen Gan-
zen behufs einer einzigen gemeinsamen Function verbunden sind, so
können wir dennoch, wie oben gezeigt wurde, dem Begriffe des Appa-
rates auch eine morphologische Bedeutung beilegen. Wir verstehen
dann darunter einen einheitlich abgeschlossenen Complex von mehre-
ren verschiedenartigen untergeordneten Organen (verschiedenen Syste-
men und Geweben angehörig), in welchen mehrere coordinirte Gewebe
der Art verbunden sind, dass keins allein eine vorwiegende Bedeutung
vor allen anderen beanspruchen kann.

Wir dürfen diese Apparate um so eher als eine Ordnung von
Organen höchsten Ranges anführen, als die morphologische Einheit
des Ganzen in denselben meist nicht minder deutlich, oft sogar augen-
fälliger hervortritt, als in den einzelnen Systemen. Die Form-Einheit
des Apparates beruht aber nicht, wie bei dem Systeme, auf dem aus-
schliesslichen Vorwiegen einer einzigen Gewebs-Form, sondern viel-
mehr auf einer räumlichen Sonderung, die schon bei der gröbsten
Betrachtung des Organismus ins Auge springt. So befindet sich der
Ernährungsapparat fast ganz auf die Pleuroperitonealhöhle des Wirbel-
thieres beschränkt, der Gesichtsapparat auf den Inhalt der Augenhöhle,
der Geruchsapparat auf die Nasenhöhle etc.

Da nun ausser der räumlichen Sonderung und Einheit auch die
morphologische Zusammensetzung jedes Apparates aus coordinirten
und subordinirten Organen und Systemtheilen dem Ganzen ein ein-
heitliches Gepräge giebt, so können wir, gestützt auf den innigen Zu-
sammenhang und die Wechselwirkung von Form und Function, ebenso,
wie es bei dem Begriffe des Organes im Allgemeinen bereits ge-
schehen ist, die morphologische Einheit des Apparates von der physio-
logischen sondern und die erstere als Organ fünfter Ordnung hier in
Betracht ziehen.

Die sämmtlichen Organ-Apparate, welche man weiter in niedere
oder besondere und in höhere oder allgemeinere gruppiren kann,

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[302/0341] Morphologische Individualität der Organismen. weiter die Centralisation der Personen geht, desto schärfer ist die Trennung der einzelnen Organ-Systeme, desto einheitlicher der Zu- sammenhang jedes Systems. Bei den höheren Pflanzen könnte man als derartige zusammenhängende Systeme vielleicht unterscheiden: 1) das Decken-System (mit Oberhaut, Haaren, Rinde etc.), 2) das Parenchym-System, 3) das Gefässsystem (Gefässbündel etc.). E. Organe fünfter Ordnung: Organ-Apparate. Obgleich dem Begriffe des Apparates, wie schon bemerkt, wesent- lich eine physiologische Vorstellung zu Grunde liegt, und man also gewöhnlich unter einem Apparate einen Complex von einfachen und zusammengesetzten Organen versteht, die zu einem einheitlichen Gan- zen behufs einer einzigen gemeinsamen Function verbunden sind, so können wir dennoch, wie oben gezeigt wurde, dem Begriffe des Appa- rates auch eine morphologische Bedeutung beilegen. Wir verstehen dann darunter einen einheitlich abgeschlossenen Complex von mehre- ren verschiedenartigen untergeordneten Organen (verschiedenen Syste- men und Geweben angehörig), in welchen mehrere coordinirte Gewebe der Art verbunden sind, dass keins allein eine vorwiegende Bedeutung vor allen anderen beanspruchen kann. Wir dürfen diese Apparate um so eher als eine Ordnung von Organen höchsten Ranges anführen, als die morphologische Einheit des Ganzen in denselben meist nicht minder deutlich, oft sogar augen- fälliger hervortritt, als in den einzelnen Systemen. Die Form-Einheit des Apparates beruht aber nicht, wie bei dem Systeme, auf dem aus- schliesslichen Vorwiegen einer einzigen Gewebs-Form, sondern viel- mehr auf einer räumlichen Sonderung, die schon bei der gröbsten Betrachtung des Organismus ins Auge springt. So befindet sich der Ernährungsapparat fast ganz auf die Pleuroperitonealhöhle des Wirbel- thieres beschränkt, der Gesichtsapparat auf den Inhalt der Augenhöhle, der Geruchsapparat auf die Nasenhöhle etc. Da nun ausser der räumlichen Sonderung und Einheit auch die morphologische Zusammensetzung jedes Apparates aus coordinirten und subordinirten Organen und Systemtheilen dem Ganzen ein ein- heitliches Gepräge giebt, so können wir, gestützt auf den innigen Zu- sammenhang und die Wechselwirkung von Form und Function, ebenso, wie es bei dem Begriffe des Organes im Allgemeinen bereits ge- schehen ist, die morphologische Einheit des Apparates von der physio- logischen sondern und die erstere als Organ fünfter Ordnung hier in Betracht ziehen. Die sämmtlichen Organ-Apparate, welche man weiter in niedere oder besondere und in höhere oder allgemeinere gruppiren kann,

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/341>, abgerufen am 11.06.2024.