Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Morphologische Individualität der Organismen.
einfaches Experiment die amoebenartigen Blutzellen wirbelloser Thiere
(Mollusken und Crustaceen) veranlasste, feste Pigamentmoleküle mittelst
ihrer amoebenartigen Bewegungen und Formveränderungen in ihr Inneres
aufzunehmen. 1) Diese Experimente sind von Recklinghausen, 2) Preyer 3)
und Anderen an den farblosen Blutzellen kaltblütiger und von Max
Schultze
4) neuerlichst, an den farblosen Blutzellen warmblütiger Wirbel-
thiere, des Menschen selbst, mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden.
Es kann hiernach nicht mehr zweifelhaft sein, dass wirkliche echte Zellen,
wofür die farblosen Blutzellen mit Recht allgemein gelten, keine Membran
besitzen und bloss aus zwei wesentlichen Bestandtheilen, dem centralen
festen Kern (Nucleus) und der peripherischen schleimartigen Zellsubstanz
(Protoplasma) bestehen. Die nahe Verwandtschaft dieser Blutzellen mit
anderen amoebenartigen Zellen (Embryonalzellen, Bindegewebszellen, Knor-
pelzellen und indifferenten Zellen niederer Thiere), welche die gleiche Form
und Structur und die gleichen Bewegungserscheinungen zeigen, macht es
aber sehr wahrscheinlich, dass der Mangel der Membran sehr weit ver-
breitet und in einer ersten Jugendperiode allen Zellen gemeinsam ist.

Als wesentliche Bestandtheile aller echten Zellen müssen also
zwei differente Theile betrachtet werden: I. der innere (centrale oder
excentrische) Zellkern (Nucleus, Cytoblastus), welcher entweder ein
fester, homogener, oder selbst wieder ein zusammengesetzter (bläschen-
förmiger) Körper ist; II. der äussere, den Kern umschliessende (peri-
pherische) Zellstoff (Protoplasma, Plasma), welcher aus einem
festflüssigen Eiweisskörper besteht. Als dritter, nicht constanter und
in der ersten Jugend der Zelle stets oder doch meist fehlender Be-
standtheil, kommt dazu in vielen Fällen eine äusserste, den Zellstoff-
körper umschliessende Zellhaut (Membrana cellulae) welche
entweder nur die verdichtete und als besondere Hautschicht differen-
zirte äusserste Oberflächenlage des Protoplasma oder aber von diesem
in flüssiger Form, als Secret, nach aussen abgeschieden, und in Form
einer Cuticula über demselben erstarrt, erhärtet ist.

Wir können demgemäss sämmtliche Zellen des Pflanzen-, Protisten-
und Thierreichs in zwei Hauptgruppen bringen, Hautzellen und hautlose
Zellen. Die nackten oder hautlosen Zellen oder Urzellen (Cel-
lulae primordiales, Gymnocyta
5), bestehen bloss aus innerem
Kern und äusserem Protoplasma. Dahin gehören viele Eier, die Theil-
producte derselben oder Furchungskugeln, die Embryonalzellen, viele
Nervenzellen, Bindegewebszellen, die ausgeschlüpften Schwärm-
sporen vieler Algen etc. Bei den Hautzellen oder Schlauch-

1) Haeckel, Radiolarien, Berlin 1862, p. 104--106.
2) Recklinghausen, Virchow's Archiv Bd. XVIII, p. 184.
3) Preyer, Virchow's Archiv Bd. XXX, p. 420.
4) Max Schultze, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. I, p. 23.
5) gumnos nackt; kutos (to) Zelle.

Morphologische Individualität der Organismen.
einfaches Experiment die amoebenartigen Blutzellen wirbelloser Thiere
(Mollusken und Crustaceen) veranlasste, feste Pigamentmoleküle mittelst
ihrer amoebenartigen Bewegungen und Formveränderungen in ihr Inneres
aufzunehmen. 1) Diese Experimente sind von Recklinghausen, 2) Preyer 3)
und Anderen an den farblosen Blutzellen kaltblütiger und von Max
Schultze
4) neuerlichst, an den farblosen Blutzellen warmblütiger Wirbel-
thiere, des Menschen selbst, mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden.
Es kann hiernach nicht mehr zweifelhaft sein, dass wirkliche echte Zellen,
wofür die farblosen Blutzellen mit Recht allgemein gelten, keine Membran
besitzen und bloss aus zwei wesentlichen Bestandtheilen, dem centralen
festen Kern (Nucleus) und der peripherischen schleimartigen Zellsubstanz
(Protoplasma) bestehen. Die nahe Verwandtschaft dieser Blutzellen mit
anderen amoebenartigen Zellen (Embryonalzellen, Bindegewebszellen, Knor-
pelzellen und indifferenten Zellen niederer Thiere), welche die gleiche Form
und Structur und die gleichen Bewegungserscheinungen zeigen, macht es
aber sehr wahrscheinlich, dass der Mangel der Membran sehr weit ver-
breitet und in einer ersten Jugendperiode allen Zellen gemeinsam ist.

Als wesentliche Bestandtheile aller echten Zellen müssen also
zwei differente Theile betrachtet werden: I. der innere (centrale oder
excentrische) Zellkern (Nucleus, Cytoblastus), welcher entweder ein
fester, homogener, oder selbst wieder ein zusammengesetzter (bläschen-
förmiger) Körper ist; II. der äussere, den Kern umschliessende (peri-
pherische) Zellstoff (Protoplasma, Plasma), welcher aus einem
festflüssigen Eiweisskörper besteht. Als dritter, nicht constanter und
in der ersten Jugend der Zelle stets oder doch meist fehlender Be-
standtheil, kommt dazu in vielen Fällen eine äusserste, den Zellstoff-
körper umschliessende Zellhaut (Membrana cellulae) welche
entweder nur die verdichtete und als besondere Hautschicht differen-
zirte äusserste Oberflächenlage des Protoplasma oder aber von diesem
in flüssiger Form, als Secret, nach aussen abgeschieden, und in Form
einer Cuticula über demselben erstarrt, erhärtet ist.

Wir können demgemäss sämmtliche Zellen des Pflanzen-, Protisten-
und Thierreichs in zwei Hauptgruppen bringen, Hautzellen und hautlose
Zellen. Die nackten oder hautlosen Zellen oder Urzellen (Cel-
lulae primordiales, Gymnocyta
5), bestehen bloss aus innerem
Kern und äusserem Protoplasma. Dahin gehören viele Eier, die Theil-
producte derselben oder Furchungskugeln, die Embryonalzellen, viele
Nervenzellen, Bindegewebszellen, die ausgeschlüpften Schwärm-
sporen vieler Algen etc. Bei den Hautzellen oder Schlauch-

1) Haeckel, Radiolarien, Berlin 1862, p. 104—106.
2) Recklinghausen, Virchow’s Archiv Bd. XVIII, p. 184.
3) Preyer, Virchow’s Archiv Bd. XXX, p. 420.
4) Max Schultze, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. I, p. 23.
5) γυμνός nackt; κύτος (τὸ) Zelle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0311" n="272"/><fw place="top" type="header">Morphologische Individualität der Organismen.</fw><lb/>
einfaches Experiment die amoebenartigen Blutzellen wirbelloser Thiere<lb/>
(Mollusken und Crustaceen) veranlasste, feste Pigamentmoleküle mittelst<lb/>
ihrer amoebenartigen Bewegungen und Formveränderungen in ihr Inneres<lb/>
aufzunehmen. <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Haeckel,</hi> Radiolarien, Berlin 1862, p. 104&#x2014;106.</note> Diese Experimente sind von <hi rendition="#g">Recklinghausen,</hi> <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Recklinghausen,</hi> Virchow&#x2019;s Archiv Bd. XVIII, p. 184.</note> <hi rendition="#g">Preyer</hi> <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Preyer,</hi> Virchow&#x2019;s Archiv Bd. XXX, p. 420.</note><lb/>
und Anderen an den farblosen Blutzellen kaltblütiger und von <hi rendition="#g">Max<lb/>
Schultze</hi> <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#g">Max Schultze,</hi> Archiv für mikrosk. Anat. Bd. I, p. 23.</note> neuerlichst, an den farblosen Blutzellen warmblütiger Wirbel-<lb/>
thiere, des Menschen selbst, mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden.<lb/>
Es kann hiernach nicht mehr zweifelhaft sein, dass wirkliche echte Zellen,<lb/>
wofür die farblosen Blutzellen mit Recht allgemein gelten, keine Membran<lb/>
besitzen und bloss aus zwei wesentlichen Bestandtheilen, dem centralen<lb/>
festen Kern (Nucleus) und der peripherischen schleimartigen Zellsubstanz<lb/>
(Protoplasma) bestehen. Die nahe Verwandtschaft dieser Blutzellen mit<lb/>
anderen amoebenartigen Zellen (Embryonalzellen, Bindegewebszellen, Knor-<lb/>
pelzellen und indifferenten Zellen niederer Thiere), welche die gleiche Form<lb/>
und Structur und die gleichen Bewegungserscheinungen zeigen, macht es<lb/>
aber sehr wahrscheinlich, dass der Mangel der Membran sehr weit ver-<lb/>
breitet und in einer ersten Jugendperiode allen Zellen gemeinsam ist.</p><lb/>
              <p>Als wesentliche Bestandtheile aller echten Zellen müssen also<lb/><hi rendition="#g">zwei</hi> differente Theile betrachtet werden: I. der innere (centrale oder<lb/>
excentrische) <hi rendition="#g">Zellkern</hi> (Nucleus, Cytoblastus), welcher entweder ein<lb/>
fester, homogener, oder selbst wieder ein zusammengesetzter (bläschen-<lb/>
förmiger) Körper ist; II. der äussere, den Kern umschliessende (peri-<lb/>
pherische) <hi rendition="#g">Zellstoff (Protoplasma, Plasma),</hi> welcher aus einem<lb/>
festflüssigen Eiweisskörper besteht. Als dritter, nicht constanter und<lb/>
in der ersten Jugend der Zelle stets oder doch meist fehlender Be-<lb/>
standtheil, kommt dazu in vielen Fällen eine äusserste, den Zellstoff-<lb/>
körper umschliessende <hi rendition="#g">Zellhaut (Membrana cellulae)</hi> welche<lb/>
entweder nur die verdichtete und als besondere Hautschicht differen-<lb/>
zirte äusserste Oberflächenlage des Protoplasma oder aber von diesem<lb/>
in flüssiger Form, als Secret, nach aussen abgeschieden, und in Form<lb/>
einer Cuticula über demselben erstarrt, erhärtet ist.</p><lb/>
              <p>Wir können demgemäss sämmtliche Zellen des Pflanzen-, Protisten-<lb/>
und Thierreichs in zwei Hauptgruppen bringen, Hautzellen und hautlose<lb/>
Zellen. Die nackten oder <hi rendition="#g">hautlosen Zellen oder Urzellen (Cel-<lb/>
lulae primordiales, Gymnocyta</hi> <note place="foot" n="5)">&#x03B3;&#x03C5;&#x03BC;&#x03BD;&#x03CC;&#x03C2; nackt; &#x03BA;&#x03CD;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; (&#x03C4;&#x1F78;) Zelle.</note>, bestehen bloss aus innerem<lb/>
Kern und äusserem Protoplasma. Dahin gehören viele Eier, die Theil-<lb/>
producte derselben oder Furchungskugeln, die Embryonalzellen, viele<lb/>
Nervenzellen, Bindegewebszellen, die ausgeschlüpften Schwärm-<lb/>
sporen vieler Algen etc. Bei den <hi rendition="#g">Hautzellen oder Schlauch-</hi><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0311] Morphologische Individualität der Organismen. einfaches Experiment die amoebenartigen Blutzellen wirbelloser Thiere (Mollusken und Crustaceen) veranlasste, feste Pigamentmoleküle mittelst ihrer amoebenartigen Bewegungen und Formveränderungen in ihr Inneres aufzunehmen. 1) Diese Experimente sind von Recklinghausen, 2) Preyer 3) und Anderen an den farblosen Blutzellen kaltblütiger und von Max Schultze 4) neuerlichst, an den farblosen Blutzellen warmblütiger Wirbel- thiere, des Menschen selbst, mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden. Es kann hiernach nicht mehr zweifelhaft sein, dass wirkliche echte Zellen, wofür die farblosen Blutzellen mit Recht allgemein gelten, keine Membran besitzen und bloss aus zwei wesentlichen Bestandtheilen, dem centralen festen Kern (Nucleus) und der peripherischen schleimartigen Zellsubstanz (Protoplasma) bestehen. Die nahe Verwandtschaft dieser Blutzellen mit anderen amoebenartigen Zellen (Embryonalzellen, Bindegewebszellen, Knor- pelzellen und indifferenten Zellen niederer Thiere), welche die gleiche Form und Structur und die gleichen Bewegungserscheinungen zeigen, macht es aber sehr wahrscheinlich, dass der Mangel der Membran sehr weit ver- breitet und in einer ersten Jugendperiode allen Zellen gemeinsam ist. Als wesentliche Bestandtheile aller echten Zellen müssen also zwei differente Theile betrachtet werden: I. der innere (centrale oder excentrische) Zellkern (Nucleus, Cytoblastus), welcher entweder ein fester, homogener, oder selbst wieder ein zusammengesetzter (bläschen- förmiger) Körper ist; II. der äussere, den Kern umschliessende (peri- pherische) Zellstoff (Protoplasma, Plasma), welcher aus einem festflüssigen Eiweisskörper besteht. Als dritter, nicht constanter und in der ersten Jugend der Zelle stets oder doch meist fehlender Be- standtheil, kommt dazu in vielen Fällen eine äusserste, den Zellstoff- körper umschliessende Zellhaut (Membrana cellulae) welche entweder nur die verdichtete und als besondere Hautschicht differen- zirte äusserste Oberflächenlage des Protoplasma oder aber von diesem in flüssiger Form, als Secret, nach aussen abgeschieden, und in Form einer Cuticula über demselben erstarrt, erhärtet ist. Wir können demgemäss sämmtliche Zellen des Pflanzen-, Protisten- und Thierreichs in zwei Hauptgruppen bringen, Hautzellen und hautlose Zellen. Die nackten oder hautlosen Zellen oder Urzellen (Cel- lulae primordiales, Gymnocyta 5), bestehen bloss aus innerem Kern und äusserem Protoplasma. Dahin gehören viele Eier, die Theil- producte derselben oder Furchungskugeln, die Embryonalzellen, viele Nervenzellen, Bindegewebszellen, die ausgeschlüpften Schwärm- sporen vieler Algen etc. Bei den Hautzellen oder Schlauch- 1) Haeckel, Radiolarien, Berlin 1862, p. 104—106. 2) Recklinghausen, Virchow’s Archiv Bd. XVIII, p. 184. 3) Preyer, Virchow’s Archiv Bd. XXX, p. 420. 4) Max Schultze, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. I, p. 23. 5) γυμνός nackt; κύτος (τὸ) Zelle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/311
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/311>, abgerufen am 25.11.2024.