Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.Begriff und Aufgabe der Tectologie. der thierischen Morphologie." Hier findet sich zum ersten Male mitvoller Bestimmtheit die wesentlich morphologische Bedeutung der gan- zen Frage betont, und deutlich die Ansicht ausgesprochen, "dass man unter dem Begriffe der thierischen Individuen nur materiell abge- schlossene morphologische Facta subsumiren darf," dass man also wohl von verschiedenen Formen der Individuen sprechen, aber nicht einzelne Formzustände eines Körpers als eben so viele Einzelin- dividuen unter einem die ganze Formenreihe begreifenden Gesammt- individuum begreifen darf, wie es Reichert that. Bestimmt man die Individualität eines Thieres, so ist dasselbe im Momente der Beurthei- lung als unveränderlich zu betrachten." Mit diesen Worten ist der allein durchführbare Standpunkt zur Beurtheilung der thierischen Indivi- dualität im engeren Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs voll- kommen richtig bezeichnet und der morphologische Character der In- dividualitäts-Anschauung gewahrt. Doch ist dieser richtige Gedanke in seinen Consequenzen nicht weiter ausgeführt, und auch die Defini- tion, die Carus von dem Individuum (im engeren Sinne!) giebt, 1) will uns nicht erschöpfend erscheinen. Als verschiedene Formen der thierischen Individualität 1) "Unter Individuen verstehen wir die sich in ihrer entwickelten Form an
den ihrer Gattung gehörigen morphologischen Typus eng anschliessenden ma- teriellen Einzelgrundlagen des Thierlebens, welche die drei Functionsgruppen des thierischen Lebens entweder einzeln vollständig erfüllen, oder welche sich, und zwar desto mehr je inniger ihre Verbindung zu einem Thierstocke ist, in die Uebernahme einzelner Verrichtungen theilen." V. Carus, System der thieri- schen Morphologie. 1853. p. 254. Begriff und Aufgabe der Tectologie. der thierischen Morphologie.“ Hier findet sich zum ersten Male mitvoller Bestimmtheit die wesentlich morphologische Bedeutung der gan- zen Frage betont, und deutlich die Ansicht ausgesprochen, „dass man unter dem Begriffe der thierischen Individuen nur materiell abge- schlossene morphologische Facta subsumiren darf,“ dass man also wohl von verschiedenen Formen der Individuen sprechen, aber nicht einzelne Formzustände eines Körpers als eben so viele Einzelin- dividuen unter einem die ganze Formenreihe begreifenden Gesammt- individuum begreifen darf, wie es Reichert that. Bestimmt man die Individualität eines Thieres, so ist dasselbe im Momente der Beurthei- lung als unveränderlich zu betrachten.“ Mit diesen Worten ist der allein durchführbare Standpunkt zur Beurtheilung der thierischen Indivi- dualität im engeren Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs voll- kommen richtig bezeichnet und der morphologische Character der In- dividualitäts-Anschauung gewahrt. Doch ist dieser richtige Gedanke in seinen Consequenzen nicht weiter ausgeführt, und auch die Defini- tion, die Carus von dem Individuum (im engeren Sinne!) giebt, 1) will uns nicht erschöpfend erscheinen. Als verschiedene Formen der thierischen Individualität 1) „Unter Individuen verstehen wir die sich in ihrer entwickelten Form an
den ihrer Gattung gehörigen morphologischen Typus eng anschliessenden ma- teriellen Einzelgrundlagen des Thierlebens, welche die drei Functionsgruppen des thierischen Lebens entweder einzeln vollständig erfüllen, oder welche sich, und zwar desto mehr je inniger ihre Verbindung zu einem Thierstocke ist, in die Uebernahme einzelner Verrichtungen theilen.“ V. Carus, System der thieri- schen Morphologie. 1853. p. 254. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0299" n="260"/><fw place="top" type="header">Begriff und Aufgabe der Tectologie.</fw><lb/> der thierischen Morphologie.“ Hier findet sich zum ersten Male mit<lb/> voller Bestimmtheit die wesentlich morphologische Bedeutung der gan-<lb/> zen Frage betont, und deutlich die Ansicht ausgesprochen, „dass man<lb/> unter dem Begriffe der thierischen Individuen nur materiell abge-<lb/> schlossene <hi rendition="#g">morphologische Facta</hi> subsumiren darf,“ dass man<lb/> also wohl von verschiedenen Formen der Individuen sprechen, aber<lb/> nicht einzelne Formzustände eines Körpers als eben so viele Einzelin-<lb/> dividuen unter einem die ganze Formenreihe begreifenden Gesammt-<lb/> individuum begreifen darf, wie es <hi rendition="#g">Reichert</hi> that. Bestimmt man die<lb/> Individualität eines Thieres, so ist dasselbe im Momente der Beurthei-<lb/> lung als <hi rendition="#g">unveränderlich</hi> zu betrachten.“ Mit diesen Worten ist der<lb/> allein durchführbare Standpunkt zur Beurtheilung der thierischen Indivi-<lb/> dualität <hi rendition="#g">im engeren Sinne</hi> des gewöhnlichen Sprachgebrauchs voll-<lb/> kommen richtig bezeichnet und der morphologische Character der In-<lb/> dividualitäts-Anschauung gewahrt. Doch ist dieser richtige Gedanke<lb/> in seinen Consequenzen nicht weiter ausgeführt, und auch die Defini-<lb/> tion, die <hi rendition="#g">Carus</hi> von dem Individuum (im engeren Sinne!) giebt, <note place="foot" n="1)">„Unter Individuen verstehen wir die sich in ihrer entwickelten Form an<lb/> den ihrer Gattung gehörigen morphologischen Typus eng anschliessenden ma-<lb/> teriellen Einzelgrundlagen des Thierlebens, welche die drei Functionsgruppen<lb/> des thierischen Lebens entweder einzeln vollständig erfüllen, oder welche sich,<lb/> und zwar desto mehr je inniger ihre Verbindung zu einem Thierstocke ist, in<lb/> die Uebernahme einzelner Verrichtungen theilen.“ V. <hi rendition="#g">Carus,</hi> System der thieri-<lb/> schen Morphologie. 1853. p. 254.</note> will<lb/> uns nicht erschöpfend erscheinen.</p><lb/> <p>Als <hi rendition="#g">verschiedene Formen der thierischen Individualität</hi><lb/> unterscheidet <hi rendition="#g">Carus</hi> 1. Vollständige Individuen, welche die drei<lb/> Functionsgruppen (Erhaltung seiner selbst, Erhaltung der Art, Bezie-<lb/> hung zur Aussenwelt) in sich vereinen und höchstens die Spaltung<lb/> des Geschlechtsunterschiedes in zweierlei verschiedenen Geschlechts-<lb/> Individuen zeigen. 2. Polymorphe selbstständige Individuen, wie die<lb/> verschiedenen theils geschlechtlich entwickelten, theils nicht geschlecht-<lb/> lich entwickelten Individuen der Insecten-Staaten, welche ohne ma-<lb/> teriellen Zusammenhang in Gesellschaften beisammen leben, als Sol-<lb/> daten, Arbeiter, Geschlechtsthiere u. s. w. differenzirt. 3. Polymorphe<lb/> Individuen, gleich den vorigen, theils geschlechtlich entwickelt, theils<lb/> nicht, sämmtlich aber materiell verbunden durch den Zusammenhang<lb/> ihres verlängerten Nahrungscanals, (z. B. in den Hydroidencolonieen).<lb/> 4. Polymorphe Individuen, gleich den vorigen an einem Stock zusam-<lb/> men vereinigt, aber mit so weit entwickelter Arbeitstheilung, dass<lb/> nicht nur die Function der geschlechtlichen Fortpflanzung, sondern<lb/> auch die vegetativen und animalen Functionsgruppen auf verschie-<lb/> dene Individuen übertragen sind (Siphonophoren).</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [260/0299]
Begriff und Aufgabe der Tectologie.
der thierischen Morphologie.“ Hier findet sich zum ersten Male mit
voller Bestimmtheit die wesentlich morphologische Bedeutung der gan-
zen Frage betont, und deutlich die Ansicht ausgesprochen, „dass man
unter dem Begriffe der thierischen Individuen nur materiell abge-
schlossene morphologische Facta subsumiren darf,“ dass man
also wohl von verschiedenen Formen der Individuen sprechen, aber
nicht einzelne Formzustände eines Körpers als eben so viele Einzelin-
dividuen unter einem die ganze Formenreihe begreifenden Gesammt-
individuum begreifen darf, wie es Reichert that. Bestimmt man die
Individualität eines Thieres, so ist dasselbe im Momente der Beurthei-
lung als unveränderlich zu betrachten.“ Mit diesen Worten ist der
allein durchführbare Standpunkt zur Beurtheilung der thierischen Indivi-
dualität im engeren Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs voll-
kommen richtig bezeichnet und der morphologische Character der In-
dividualitäts-Anschauung gewahrt. Doch ist dieser richtige Gedanke
in seinen Consequenzen nicht weiter ausgeführt, und auch die Defini-
tion, die Carus von dem Individuum (im engeren Sinne!) giebt, 1) will
uns nicht erschöpfend erscheinen.
Als verschiedene Formen der thierischen Individualität
unterscheidet Carus 1. Vollständige Individuen, welche die drei
Functionsgruppen (Erhaltung seiner selbst, Erhaltung der Art, Bezie-
hung zur Aussenwelt) in sich vereinen und höchstens die Spaltung
des Geschlechtsunterschiedes in zweierlei verschiedenen Geschlechts-
Individuen zeigen. 2. Polymorphe selbstständige Individuen, wie die
verschiedenen theils geschlechtlich entwickelten, theils nicht geschlecht-
lich entwickelten Individuen der Insecten-Staaten, welche ohne ma-
teriellen Zusammenhang in Gesellschaften beisammen leben, als Sol-
daten, Arbeiter, Geschlechtsthiere u. s. w. differenzirt. 3. Polymorphe
Individuen, gleich den vorigen, theils geschlechtlich entwickelt, theils
nicht, sämmtlich aber materiell verbunden durch den Zusammenhang
ihres verlängerten Nahrungscanals, (z. B. in den Hydroidencolonieen).
4. Polymorphe Individuen, gleich den vorigen an einem Stock zusam-
men vereinigt, aber mit so weit entwickelter Arbeitstheilung, dass
nicht nur die Function der geschlechtlichen Fortpflanzung, sondern
auch die vegetativen und animalen Functionsgruppen auf verschie-
dene Individuen übertragen sind (Siphonophoren).
1) „Unter Individuen verstehen wir die sich in ihrer entwickelten Form an
den ihrer Gattung gehörigen morphologischen Typus eng anschliessenden ma-
teriellen Einzelgrundlagen des Thierlebens, welche die drei Functionsgruppen
des thierischen Lebens entweder einzeln vollständig erfüllen, oder welche sich,
und zwar desto mehr je inniger ihre Verbindung zu einem Thierstocke ist, in
die Uebernahme einzelner Verrichtungen theilen.“ V. Carus, System der thieri-
schen Morphologie. 1853. p. 254.
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