Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.III. Ursprung des Thier- und Pflanzen-Reiches. denen die eine als die älteste gemeinsame Stammform der Thiere,die andere als der gemeinsame Urstamm der Pflanzen zu betrachten sei. Wäre dieses der Fall, so würden Thier- und Pflanzenreich in der That zwei vollkommen selbstständige, von einander gesonderte Haupt- gruppen darstellen. Andererseits könnten wir uns denken, dass die ursprüngliche erste Autogonie nur eine einzige Moneren-Form producirt habe, aus welcher sich, wie aus einer gemeinsamen Wurzel, Thier- und Pflanzenreich als zwei verschiedene Stämme nach zwei divergiren- den Richtungen hin entwickelt haben. Endlich wäre daneben noch die dritte Möglichkeit übrig, dass mehr als zwei verschiedene autogone Moneren die ursprünglichen Stammformen aller Organismen seien, und in diesem Falle würde der Begriff des Thieres, oder der Pflanze, oder alle beide Begriffe, nicht der Ausdruck einer oder zweier continuirlich zusammenhängender Entwickelungsreihen, sondern ein Collectivbegriff für eine Summe von "ähnlichen" Stämmen sein; es entsteht dann auch die Frage, ob wirklich alle Organismen sich unter einen dieser beiden Begriffe subsumiren lassen, oder ob es daneben noch andere Lebe- wesen giebt, die wir weder Thiere noch Pflanzen nennen können. Wir müssen alle diese drei möglichen Fälle in Erwägung ziehen. Dabei bringen wir nochmals in Erinnerung, dass wir unter Moneren ausschliesslich die vollkommen homogenen und structurlosen Organis- men einfachster Art verstehen, formlose lebende Eiweissklumpen gleich den Protamoeben, welche sich ohne besondere Organe ernähren und durch Selbsttheilung fortpflanzen. Die verschiedenen "Arten" (Spe- cies) dieser Moneren können sich demgemäss selbstverständlich einzig und allein durch sehr geringe Differenzen in der chemischen Consti- tution ihres Eiweisskörpers unterscheiden. Soviel verschiedene Moneren- Arten, soviel verschiedene Eiweiss-Verbindungen, als individuelle Ur- wesen lebend. Erster möglicher Fall: Es ist nur eine einzige Moneren- III. Ursprung des Thier- und Pflanzen-Reiches. denen die eine als die älteste gemeinsame Stammform der Thiere,die andere als der gemeinsame Urstamm der Pflanzen zu betrachten sei. Wäre dieses der Fall, so würden Thier- und Pflanzenreich in der That zwei vollkommen selbstständige, von einander gesonderte Haupt- gruppen darstellen. Andererseits könnten wir uns denken, dass die ursprüngliche erste Autogonie nur eine einzige Moneren-Form producirt habe, aus welcher sich, wie aus einer gemeinsamen Wurzel, Thier- und Pflanzenreich als zwei verschiedene Stämme nach zwei divergiren- den Richtungen hin entwickelt haben. Endlich wäre daneben noch die dritte Möglichkeit übrig, dass mehr als zwei verschiedene autogone Moneren die ursprünglichen Stammformen aller Organismen seien, und in diesem Falle würde der Begriff des Thieres, oder der Pflanze, oder alle beide Begriffe, nicht der Ausdruck einer oder zweier continuirlich zusammenhängender Entwickelungsreihen, sondern ein Collectivbegriff für eine Summe von „ähnlichen“ Stämmen sein; es entsteht dann auch die Frage, ob wirklich alle Organismen sich unter einen dieser beiden Begriffe subsumiren lassen, oder ob es daneben noch andere Lebe- wesen giebt, die wir weder Thiere noch Pflanzen nennen können. Wir müssen alle diese drei möglichen Fälle in Erwägung ziehen. Dabei bringen wir nochmals in Erinnerung, dass wir unter Moneren ausschliesslich die vollkommen homogenen und structurlosen Organis- men einfachster Art verstehen, formlose lebende Eiweissklumpen gleich den Protamoeben, welche sich ohne besondere Organe ernähren und durch Selbsttheilung fortpflanzen. Die verschiedenen „Arten“ (Spe- cies) dieser Moneren können sich demgemäss selbstverständlich einzig und allein durch sehr geringe Differenzen in der chemischen Consti- tution ihres Eiweisskörpers unterscheiden. Soviel verschiedene Moneren- Arten, soviel verschiedene Eiweiss-Verbindungen, als individuelle Ur- wesen lebend. Erster möglicher Fall: Es ist nur eine einzige Moneren- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0238" n="199"/><fw place="top" type="header">III. Ursprung des Thier- und Pflanzen-Reiches.</fw><lb/> denen die eine als die älteste gemeinsame Stammform der Thiere,<lb/> die andere als der gemeinsame Urstamm der Pflanzen zu betrachten<lb/> sei. Wäre dieses der Fall, so würden Thier- und Pflanzenreich in der<lb/> That zwei vollkommen selbstständige, von einander gesonderte Haupt-<lb/> gruppen darstellen. Andererseits könnten wir uns denken, dass die<lb/> ursprüngliche erste Autogonie nur eine einzige Moneren-Form producirt<lb/> habe, aus welcher sich, wie aus einer gemeinsamen Wurzel, Thier-<lb/> und Pflanzenreich als zwei verschiedene Stämme nach zwei divergiren-<lb/> den Richtungen hin entwickelt haben. Endlich wäre daneben noch<lb/> die dritte Möglichkeit übrig, dass mehr als zwei verschiedene autogone<lb/> Moneren die ursprünglichen Stammformen aller Organismen seien, und<lb/> in diesem Falle würde der Begriff des Thieres, oder der Pflanze, oder<lb/> alle beide Begriffe, nicht der Ausdruck einer oder zweier continuirlich<lb/> zusammenhängender Entwickelungsreihen, sondern ein Collectivbegriff<lb/> für eine Summe von „ähnlichen“ Stämmen sein; es entsteht dann auch<lb/> die Frage, ob wirklich alle Organismen sich unter einen dieser beiden<lb/> Begriffe subsumiren lassen, oder ob es daneben noch andere Lebe-<lb/> wesen giebt, die wir weder Thiere noch Pflanzen nennen können.<lb/> Wir müssen alle diese drei möglichen Fälle in Erwägung ziehen.<lb/> Dabei bringen wir nochmals in Erinnerung, dass wir unter <hi rendition="#g">Moneren</hi><lb/> ausschliesslich die vollkommen homogenen und structurlosen Organis-<lb/> men einfachster Art verstehen, formlose lebende Eiweissklumpen gleich<lb/> den Protamoeben, welche sich ohne besondere Organe ernähren und<lb/> durch Selbsttheilung fortpflanzen. Die verschiedenen „<hi rendition="#g">Arten</hi>“ (Spe-<lb/> cies) dieser Moneren können sich demgemäss selbstverständlich einzig<lb/> und allein durch sehr geringe Differenzen in der chemischen Consti-<lb/> tution ihres Eiweisskörpers unterscheiden. Soviel verschiedene Moneren-<lb/> Arten, soviel verschiedene Eiweiss-Verbindungen, als individuelle Ur-<lb/> wesen lebend.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Erster möglicher Fall: Es ist nur eine einzige Moneren-<lb/> Art durch Autogonie entstanden.</hi> Alle Organismen ohne Aus-<lb/> nahme sind die nach verschiedenen Richtungen hin entwickelten Nach-<lb/> kommen dieser einzigen Moneren-Art, sind Bestandtheile eines einzigen<lb/> Phylon. In diesem Falle würde der Stammbaum aller Lebewesen sich<lb/> unter dem Bilde eines einzigen grossen Baumes zusammenfassen lassen,<lb/> aus dessen gemeinsamer Wurzel und Stammbasis zwei verschiedene<lb/> Stämme oder Hauptzweige (Thier- und Pflanzenreich) nach zwei ver-<lb/> schiedenen Richtungen ihre Krone getrieben haben, während die zwei-<lb/> felhaften Zwischenformen den Wurzelschösslingen gleichen würden,<lb/> welche tief unten aus dem gemeinsamen Stamme ihren Ursprung ge-<lb/> nommen haben. Die übliche Eintheilung der Lebewesen in Thiere<lb/> und Pflanzen würde dann eben so einen genealogischen Werth haben,<lb/> wie jede andere Gruppenbildung des natürlichen Systems; sie würde<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [199/0238]
III. Ursprung des Thier- und Pflanzen-Reiches.
denen die eine als die älteste gemeinsame Stammform der Thiere,
die andere als der gemeinsame Urstamm der Pflanzen zu betrachten
sei. Wäre dieses der Fall, so würden Thier- und Pflanzenreich in der
That zwei vollkommen selbstständige, von einander gesonderte Haupt-
gruppen darstellen. Andererseits könnten wir uns denken, dass die
ursprüngliche erste Autogonie nur eine einzige Moneren-Form producirt
habe, aus welcher sich, wie aus einer gemeinsamen Wurzel, Thier-
und Pflanzenreich als zwei verschiedene Stämme nach zwei divergiren-
den Richtungen hin entwickelt haben. Endlich wäre daneben noch
die dritte Möglichkeit übrig, dass mehr als zwei verschiedene autogone
Moneren die ursprünglichen Stammformen aller Organismen seien, und
in diesem Falle würde der Begriff des Thieres, oder der Pflanze, oder
alle beide Begriffe, nicht der Ausdruck einer oder zweier continuirlich
zusammenhängender Entwickelungsreihen, sondern ein Collectivbegriff
für eine Summe von „ähnlichen“ Stämmen sein; es entsteht dann auch
die Frage, ob wirklich alle Organismen sich unter einen dieser beiden
Begriffe subsumiren lassen, oder ob es daneben noch andere Lebe-
wesen giebt, die wir weder Thiere noch Pflanzen nennen können.
Wir müssen alle diese drei möglichen Fälle in Erwägung ziehen.
Dabei bringen wir nochmals in Erinnerung, dass wir unter Moneren
ausschliesslich die vollkommen homogenen und structurlosen Organis-
men einfachster Art verstehen, formlose lebende Eiweissklumpen gleich
den Protamoeben, welche sich ohne besondere Organe ernähren und
durch Selbsttheilung fortpflanzen. Die verschiedenen „Arten“ (Spe-
cies) dieser Moneren können sich demgemäss selbstverständlich einzig
und allein durch sehr geringe Differenzen in der chemischen Consti-
tution ihres Eiweisskörpers unterscheiden. Soviel verschiedene Moneren-
Arten, soviel verschiedene Eiweiss-Verbindungen, als individuelle Ur-
wesen lebend.
Erster möglicher Fall: Es ist nur eine einzige Moneren-
Art durch Autogonie entstanden. Alle Organismen ohne Aus-
nahme sind die nach verschiedenen Richtungen hin entwickelten Nach-
kommen dieser einzigen Moneren-Art, sind Bestandtheile eines einzigen
Phylon. In diesem Falle würde der Stammbaum aller Lebewesen sich
unter dem Bilde eines einzigen grossen Baumes zusammenfassen lassen,
aus dessen gemeinsamer Wurzel und Stammbasis zwei verschiedene
Stämme oder Hauptzweige (Thier- und Pflanzenreich) nach zwei ver-
schiedenen Richtungen ihre Krone getrieben haben, während die zwei-
felhaften Zwischenformen den Wurzelschösslingen gleichen würden,
welche tief unten aus dem gemeinsamen Stamme ihren Ursprung ge-
nommen haben. Die übliche Eintheilung der Lebewesen in Thiere
und Pflanzen würde dann eben so einen genealogischen Werth haben,
wie jede andere Gruppenbildung des natürlichen Systems; sie würde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |