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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Schöpfung und Selbstzeugung.
überhaupt denkenden und nicht allzusehr in traditionellen Vorurtheilen
befangenen Lesers die Vernichtung dieser Schöpfungs-Vorstellung selbst
überlassen können. Denjenigen Morphologen aber, welche nicht durch
eigenes Nachdenken zu dieser Erkenntniss gelangen können, empfehlen
wir zu aufmerksamer Lectüre den merkwürdigen "Essay on classifica-
tion" des geistvollen Agassiz, in welchem dieser berühmte Natur-
forscher die teleologische Vorstellung des Schöpfers und der Schöpfungs-
Akte dadurch in glänzendster Weise widerlegt, dass er sie bis auf
ihre extremen Consequenzen verfolgt und ihre unlöslichen Widersprüche
überall lichtvoll an den Tag fördert.

Eine Schöpfung der Organismen ist mithin theils ganz undenkbar,
theils aller empirisch erworbenen Naturkenntniss so vollständig zuwider
laufend, dass wir uns zu dieser Hypothese auf keinen Fall entschliessen
dürfen. Es bleibt mithin nichts übrig, als eine spontane Entstehung
der einfachsten Organismen, aus denen sich alle vollkommneren durch
allmählige Umbildung entwickelten, anzunehmen, eine Selbstformung
oder Selbstgestaltung der Materie zum Organismus, welche gewöhnlich
Urzeugung oder Generatio spontanea (aequivoca) genannt wird.

III. Urzeugung oder Generatio spontanea.

Die ursprüngliche mechanische Entstehung oder die elternlose
Zeugung der einfachsten structurlosen Organismen, welche wir im
folgenden Abschnitt als Selbstzeugung oder Autogonie näher betrachten
werden, ist nicht oder nur theilweis identisch mit den verschiedenen
Arten der freiwilligen oder Urzeugung, welche unter dem Namen der
Generatio spontanea, aequivoca, heterogenea, originaria, automatica,
primitiva, primigenia, primaria etc. seit so langer Zeit und mit so viel
Interesse discutirt worden sind. Die Vorstellungen der verschiedenen
Naturforscher über jene Urzeugung sind im Allgemeinen sehr ver-
schieden, stimmen aber doch alle darin überein, dass durch jenen
Process lebendige Wesen aus der nicht belebten (sogenannten "todten")
Materie, durch deren innewohnende, ureigene Kraft, ohne Dazwischen-
treten einer ausserhalb der Materie stehenden Schöpferkraft, hervor-

Organen handelndes Wirbelthier, vorgestellt, andererseits als ein gasförmiger,
also organloser Körper (daher auch die Ausdrücke: Spiritus, Pneuma, Hauch
des Schöpfers, Blasen und Wehen seines Odems etc.). Wir gelangen somit zu
der paradoxen Vorstellung eines gasförmigen Wirbelthieres, einer Contradictio in
adjecto. Im Ganzen gilt von diesen wie von den meisten ähnlichen anthropo-
morphen Vorstellungen der schöpferischen Persönlichkeit das Umgekehrte von
dem, was die Priester sagen: "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde."
Es müsste vielmehr heissen: "Der Mensch schafft Gott nach seinem Bilde;" oder
wie es der Dichter in dem bekannten Spruche ausdrückt: "In seinen Göttern
malet sich der Mensch!"

Schöpfung und Selbstzeugung.
überhaupt denkenden und nicht allzusehr in traditionellen Vorurtheilen
befangenen Lesers die Vernichtung dieser Schöpfungs-Vorstellung selbst
überlassen können. Denjenigen Morphologen aber, welche nicht durch
eigenes Nachdenken zu dieser Erkenntniss gelangen können, empfehlen
wir zu aufmerksamer Lectüre den merkwürdigen „Essay on classifica-
tion“ des geistvollen Agassiz, in welchem dieser berühmte Natur-
forscher die teleologische Vorstellung des Schöpfers und der Schöpfungs-
Akte dadurch in glänzendster Weise widerlegt, dass er sie bis auf
ihre extremen Consequenzen verfolgt und ihre unlöslichen Widersprüche
überall lichtvoll an den Tag fördert.

Eine Schöpfung der Organismen ist mithin theils ganz undenkbar,
theils aller empirisch erworbenen Naturkenntniss so vollständig zuwider
laufend, dass wir uns zu dieser Hypothese auf keinen Fall entschliessen
dürfen. Es bleibt mithin nichts übrig, als eine spontane Entstehung
der einfachsten Organismen, aus denen sich alle vollkommneren durch
allmählige Umbildung entwickelten, anzunehmen, eine Selbstformung
oder Selbstgestaltung der Materie zum Organismus, welche gewöhnlich
Urzeugung oder Generatio spontanea (aequivoca) genannt wird.

III. Urzeugung oder Generatio spontanea.

Die ursprüngliche mechanische Entstehung oder die elternlose
Zeugung der einfachsten structurlosen Organismen, welche wir im
folgenden Abschnitt als Selbstzeugung oder Autogonie näher betrachten
werden, ist nicht oder nur theilweis identisch mit den verschiedenen
Arten der freiwilligen oder Urzeugung, welche unter dem Namen der
Generatio spontanea, aequivoca, heterogenea, originaria, automatica,
primitiva, primigenia, primaria etc. seit so langer Zeit und mit so viel
Interesse discutirt worden sind. Die Vorstellungen der verschiedenen
Naturforscher über jene Urzeugung sind im Allgemeinen sehr ver-
schieden, stimmen aber doch alle darin überein, dass durch jenen
Process lebendige Wesen aus der nicht belebten (sogenannten „todten“)
Materie, durch deren innewohnende, ureigene Kraft, ohne Dazwischen-
treten einer ausserhalb der Materie stehenden Schöpferkraft, hervor-

Organen handelndes Wirbelthier, vorgestellt, andererseits als ein gasförmiger,
also organloser Körper (daher auch die Ausdrücke: Spiritus, Pneuma, Hauch
des Schöpfers, Blasen und Wehen seines Odems etc.). Wir gelangen somit zu
der paradoxen Vorstellung eines gasförmigen Wirbelthieres, einer Contradictio in
adjecto. Im Ganzen gilt von diesen wie von den meisten ähnlichen anthropo-
morphen Vorstellungen der schöpferischen Persönlichkeit das Umgekehrte von
dem, was die Priester sagen: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde.“
Es müsste vielmehr heissen: „Der Mensch schafft Gott nach seinem Bilde;“ oder
wie es der Dichter in dem bekannten Spruche ausdrückt: „In seinen Göttern
malet sich der Mensch!“
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[174/0213] Schöpfung und Selbstzeugung. überhaupt denkenden und nicht allzusehr in traditionellen Vorurtheilen befangenen Lesers die Vernichtung dieser Schöpfungs-Vorstellung selbst überlassen können. Denjenigen Morphologen aber, welche nicht durch eigenes Nachdenken zu dieser Erkenntniss gelangen können, empfehlen wir zu aufmerksamer Lectüre den merkwürdigen „Essay on classifica- tion“ des geistvollen Agassiz, in welchem dieser berühmte Natur- forscher die teleologische Vorstellung des Schöpfers und der Schöpfungs- Akte dadurch in glänzendster Weise widerlegt, dass er sie bis auf ihre extremen Consequenzen verfolgt und ihre unlöslichen Widersprüche überall lichtvoll an den Tag fördert. Eine Schöpfung der Organismen ist mithin theils ganz undenkbar, theils aller empirisch erworbenen Naturkenntniss so vollständig zuwider laufend, dass wir uns zu dieser Hypothese auf keinen Fall entschliessen dürfen. Es bleibt mithin nichts übrig, als eine spontane Entstehung der einfachsten Organismen, aus denen sich alle vollkommneren durch allmählige Umbildung entwickelten, anzunehmen, eine Selbstformung oder Selbstgestaltung der Materie zum Organismus, welche gewöhnlich Urzeugung oder Generatio spontanea (aequivoca) genannt wird. III. Urzeugung oder Generatio spontanea. Die ursprüngliche mechanische Entstehung oder die elternlose Zeugung der einfachsten structurlosen Organismen, welche wir im folgenden Abschnitt als Selbstzeugung oder Autogonie näher betrachten werden, ist nicht oder nur theilweis identisch mit den verschiedenen Arten der freiwilligen oder Urzeugung, welche unter dem Namen der Generatio spontanea, aequivoca, heterogenea, originaria, automatica, primitiva, primigenia, primaria etc. seit so langer Zeit und mit so viel Interesse discutirt worden sind. Die Vorstellungen der verschiedenen Naturforscher über jene Urzeugung sind im Allgemeinen sehr ver- schieden, stimmen aber doch alle darin überein, dass durch jenen Process lebendige Wesen aus der nicht belebten (sogenannten „todten“) Materie, durch deren innewohnende, ureigene Kraft, ohne Dazwischen- treten einer ausserhalb der Materie stehenden Schöpferkraft, hervor- 1) 1) Organen handelndes Wirbelthier, vorgestellt, andererseits als ein gasförmiger, also organloser Körper (daher auch die Ausdrücke: Spiritus, Pneuma, Hauch des Schöpfers, Blasen und Wehen seines Odems etc.). Wir gelangen somit zu der paradoxen Vorstellung eines gasförmigen Wirbelthieres, einer Contradictio in adjecto. Im Ganzen gilt von diesen wie von den meisten ähnlichen anthropo- morphen Vorstellungen der schöpferischen Persönlichkeit das Umgekehrte von dem, was die Priester sagen: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde.“ Es müsste vielmehr heissen: „Der Mensch schafft Gott nach seinem Bilde;“ oder wie es der Dichter in dem bekannten Spruche ausdrückt: „In seinen Göttern malet sich der Mensch!“

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/213>, abgerufen am 27.11.2024.