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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Methodik der Morphologie der Organismen.
dieser mit dem Plan des Gebäudes. Aber nur durch die innigste
Wechselwirkung von empirischer Beobachtung und philosophi-
scher Theorie kann das Lehrgebäude der Naturwissenschaft
wirklich zu Stande kommen
.

Wir schliessen diesen Abschnitt, wie wir ihn begonnen, mit einem Aus-
spruch von Johannes Müller: "Die Phantasie ist ein unentbehrliches Gut;
denn sie ist es, durch welche neue Combinationen zur Veranlassung wich-
tiger Entdeckungen gemacht werden. Die Kraft der Unterscheidung
des isolirenden Verstandes sowohl, als der erweiternden und
zum Allgemeinen strebenden Phantasie sind dem Naturforscher
in einem harmonischen Wechselwirken nothwendig
. Durch Stö-
rung dieses Gleichgewichts wird der Naturforscher von der Phantasie zu
Träumereien hingerissen, während diese Gabe den talentvollen Naturfor-
scher von hinreichender Verstandesstärke zu den wichtigsten Entdeckungen
führt. 1)

II. Analyse und Synthese.

"Ein Jahrhundert, das sich bloss auf die Analyse verlegt, und sich
vor der Synthese gleichsam fürchtet, ist nicht auf dem rechten Wege;
denn nur beide zusammen, wie Aus- und Einathmen, machen das Le-
ben der Wissenschaft. -- Die Hauptsache, woran man bei ausschliess-
licher Anwendung der Analyse nicht zu denken scheint, ist, dass jede
Analyse eine Synthese voraussetzt. -- Sondern und Verknüpfen sind
zwei unzertrennliche Lebensacte. Vielleicht ist es besser gesagt, dass
es unerlässlich ist, man möge wollen oder nicht, aus dem Ganzen ins
Einzelne, aus dem Einzelnen ins Ganze zu gehen; und je lebendiger
diese Functionen des Geistes, wie Aus- und Einathmen, sich zusammen
verhalten, desto besser wird für die Wissenschaften und ihre Freunde
gesorgt sein."

Die vorstehenden Worte von Goethe bezeichnen das nothwendige
Wechselverhältniss zwischen der sondernden Analyse und der ver-
knüpfenden Synthese so treffend, dass wir mit keinen besseren Wor-
ten die folgende Betrachtung einleiten konnten. Wenn wir hier diese
wichtigen gegenseitigen Beziehungen zwischen der analytischen und
synthetischen, der auflösenden und zusammensetzenden Naturforschung
kurz einer gesonderten Betrachtung unterziehen, so geschieht es haupt-
sächlich, weil wir die vielfach verkannte nothwendige Wechselwirkung
zwischen diesen wichtigen Methoden für die Morphologie besonders
eindringlich hervorzuheben wünschen, und weil gerade im gegenwär-
tigen Zeitpunkte eine klare Beleuchtung dieses Verhältnisses von be-
sonderer Wichtigkeit erscheint. Da die analytische oder sondernde

1) Johannes Müller, Archiv für Anatomie etc. I. Jahrgg. 1834. p. 4.

Methodik der Morphologie der Organismen.
dieser mit dem Plan des Gebäudes. Aber nur durch die innigste
Wechselwirkung von empirischer Beobachtung und philosophi-
scher Theorie kann das Lehrgebäude der Naturwissenschaft
wirklich zu Stande kommen
.

Wir schliessen diesen Abschnitt, wie wir ihn begonnen, mit einem Aus-
spruch von Johannes Müller: „Die Phantasie ist ein unentbehrliches Gut;
denn sie ist es, durch welche neue Combinationen zur Veranlassung wich-
tiger Entdeckungen gemacht werden. Die Kraft der Unterscheidung
des isolirenden Verstandes sowohl, als der erweiternden und
zum Allgemeinen strebenden Phantasie sind dem Naturforscher
in einem harmonischen Wechselwirken nothwendig
. Durch Stö-
rung dieses Gleichgewichts wird der Naturforscher von der Phantasie zu
Träumereien hingerissen, während diese Gabe den talentvollen Naturfor-
scher von hinreichender Verstandesstärke zu den wichtigsten Entdeckungen
führt. 1)

II. Analyse und Synthese.

„Ein Jahrhundert, das sich bloss auf die Analyse verlegt, und sich
vor der Synthese gleichsam fürchtet, ist nicht auf dem rechten Wege;
denn nur beide zusammen, wie Aus- und Einathmen, machen das Le-
ben der Wissenschaft. — Die Hauptsache, woran man bei ausschliess-
licher Anwendung der Analyse nicht zu denken scheint, ist, dass jede
Analyse eine Synthese voraussetzt. — Sondern und Verknüpfen sind
zwei unzertrennliche Lebensacte. Vielleicht ist es besser gesagt, dass
es unerlässlich ist, man möge wollen oder nicht, aus dem Ganzen ins
Einzelne, aus dem Einzelnen ins Ganze zu gehen; und je lebendiger
diese Functionen des Geistes, wie Aus- und Einathmen, sich zusammen
verhalten, desto besser wird für die Wissenschaften und ihre Freunde
gesorgt sein.“

Die vorstehenden Worte von Goethe bezeichnen das nothwendige
Wechselverhältniss zwischen der sondernden Analyse und der ver-
knüpfenden Synthese so treffend, dass wir mit keinen besseren Wor-
ten die folgende Betrachtung einleiten konnten. Wenn wir hier diese
wichtigen gegenseitigen Beziehungen zwischen der analytischen und
synthetischen, der auflösenden und zusammensetzenden Naturforschung
kurz einer gesonderten Betrachtung unterziehen, so geschieht es haupt-
sächlich, weil wir die vielfach verkannte nothwendige Wechselwirkung
zwischen diesen wichtigen Methoden für die Morphologie besonders
eindringlich hervorzuheben wünschen, und weil gerade im gegenwär-
tigen Zeitpunkte eine klare Beleuchtung dieses Verhältnisses von be-
sonderer Wichtigkeit erscheint. Da die analytische oder sondernde

1) Johannes Müller, Archiv für Anatomie etc. I. Jahrgg. 1834. p. 4.
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[74/0113] Methodik der Morphologie der Organismen. dieser mit dem Plan des Gebäudes. Aber nur durch die innigste Wechselwirkung von empirischer Beobachtung und philosophi- scher Theorie kann das Lehrgebäude der Naturwissenschaft wirklich zu Stande kommen. Wir schliessen diesen Abschnitt, wie wir ihn begonnen, mit einem Aus- spruch von Johannes Müller: „Die Phantasie ist ein unentbehrliches Gut; denn sie ist es, durch welche neue Combinationen zur Veranlassung wich- tiger Entdeckungen gemacht werden. Die Kraft der Unterscheidung des isolirenden Verstandes sowohl, als der erweiternden und zum Allgemeinen strebenden Phantasie sind dem Naturforscher in einem harmonischen Wechselwirken nothwendig. Durch Stö- rung dieses Gleichgewichts wird der Naturforscher von der Phantasie zu Träumereien hingerissen, während diese Gabe den talentvollen Naturfor- scher von hinreichender Verstandesstärke zu den wichtigsten Entdeckungen führt. 1) II. Analyse und Synthese. „Ein Jahrhundert, das sich bloss auf die Analyse verlegt, und sich vor der Synthese gleichsam fürchtet, ist nicht auf dem rechten Wege; denn nur beide zusammen, wie Aus- und Einathmen, machen das Le- ben der Wissenschaft. — Die Hauptsache, woran man bei ausschliess- licher Anwendung der Analyse nicht zu denken scheint, ist, dass jede Analyse eine Synthese voraussetzt. — Sondern und Verknüpfen sind zwei unzertrennliche Lebensacte. Vielleicht ist es besser gesagt, dass es unerlässlich ist, man möge wollen oder nicht, aus dem Ganzen ins Einzelne, aus dem Einzelnen ins Ganze zu gehen; und je lebendiger diese Functionen des Geistes, wie Aus- und Einathmen, sich zusammen verhalten, desto besser wird für die Wissenschaften und ihre Freunde gesorgt sein.“ Die vorstehenden Worte von Goethe bezeichnen das nothwendige Wechselverhältniss zwischen der sondernden Analyse und der ver- knüpfenden Synthese so treffend, dass wir mit keinen besseren Wor- ten die folgende Betrachtung einleiten konnten. Wenn wir hier diese wichtigen gegenseitigen Beziehungen zwischen der analytischen und synthetischen, der auflösenden und zusammensetzenden Naturforschung kurz einer gesonderten Betrachtung unterziehen, so geschieht es haupt- sächlich, weil wir die vielfach verkannte nothwendige Wechselwirkung zwischen diesen wichtigen Methoden für die Morphologie besonders eindringlich hervorzuheben wünschen, und weil gerade im gegenwär- tigen Zeitpunkte eine klare Beleuchtung dieses Verhältnisses von be- sonderer Wichtigkeit erscheint. Da die analytische oder sondernde 1) Johannes Müller, Archiv für Anatomie etc. I. Jahrgg. 1834. p. 4.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/113>, abgerufen am 24.11.2024.