Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.zwischen Himmel und Erde in der Mitte schwebten, ist es der Mangel an Consequenz, der die Achtung vor dem Gesetz und dem Leben im Staate noch mehr untergräbt, als jener nicht selten mystische Christinismus, über welchen die Einsichtsvollen lächeln müssen. Das Prinzip der juristischen Neuerer in der Straftheorie ist: die Sicherheit. Der Verbrecher soll unschädlich gemacht werden. Dies Prinzip werde ich niemals billigen; weil es einmal voll innerer Widersprüche und zweitens inhuman ist. Der Widerspruch ist dieser: Soll ein Verbrecher unschädlich gemacht werden, so gibt es zwischen dem Todtschläger und dem Leichtsinnigen, der das Mausen nicht lassen kann, keinen Unterschied. Jhr wollt beide unschädlich machen und müßtet sie auf ewige Zeiten in das Gefängniß einschließen. Wäre die Milde gegen den Todtschläger weise, so wäre sie gegen den unverbesserlichen Hühner- und Gänsedieb ungerecht. Was ist das Unumgängliche? Der Begriff von Strafe. Dies Gefühl der Gesellschaft, welches ganz dem moralischen Gefühl des Einzelnen entspricht, abgesehen von Abschreckung, Rache und dergleichen Einmischungen anderweitiger Zwecke scheint doch in der Menschenbrust eine tiefe Geltung zu haben. Strafe müsse seyn; das läßt sich in dem bei uns nachhallenden Echo jedes fremden Verbrechens nicht ausrotten. Und nur darin liegt die große Controverse unsrer heutigen Debatten über Strafe und Strafmaß, daß man dies Gefühl der zwischen Himmel und Erde in der Mitte schwebten, ist es der Mangel an Consequenz, der die Achtung vor dem Gesetz und dem Leben im Staate noch mehr untergräbt, als jener nicht selten mystische Christinismus, über welchen die Einsichtsvollen lächeln müssen. Das Prinzip der juristischen Neuerer in der Straftheorie ist: die Sicherheit. Der Verbrecher soll unschädlich gemacht werden. Dies Prinzip werde ich niemals billigen; weil es einmal voll innerer Widersprüche und zweitens inhuman ist. Der Widerspruch ist dieser: Soll ein Verbrecher unschädlich gemacht werden, so gibt es zwischen dem Todtschläger und dem Leichtsinnigen, der das Mausen nicht lassen kann, keinen Unterschied. Jhr wollt beide unschädlich machen und müßtet sie auf ewige Zeiten in das Gefängniß einschließen. Wäre die Milde gegen den Todtschläger weise, so wäre sie gegen den unverbesserlichen Hühner- und Gänsedieb ungerecht. Was ist das Unumgängliche? Der Begriff von Strafe. Dies Gefühl der Gesellschaft, welches ganz dem moralischen Gefühl des Einzelnen entspricht, abgesehen von Abschreckung, Rache und dergleichen Einmischungen anderweitiger Zwecke scheint doch in der Menschenbrust eine tiefe Geltung zu haben. Strafe müsse seyn; das läßt sich in dem bei uns nachhallenden Echo jedes fremden Verbrechens nicht ausrotten. Und nur darin liegt die große Controverse unsrer heutigen Debatten über Strafe und Strafmaß, daß man dies Gefühl der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0064" n="62"/> zwischen Himmel und Erde in der Mitte schwebten, ist es der Mangel an Consequenz, der die Achtung vor dem Gesetz und dem Leben im Staate noch mehr untergräbt, als jener nicht selten mystische Christinismus, über welchen die Einsichtsvollen lächeln müssen.</p> <p>Das Prinzip der juristischen Neuerer in der Straftheorie ist: die Sicherheit. Der Verbrecher soll unschädlich gemacht werden. Dies Prinzip werde ich niemals billigen; weil es einmal voll innerer Widersprüche und zweitens inhuman ist. Der Widerspruch ist dieser: Soll ein Verbrecher unschädlich gemacht werden, so gibt es zwischen dem Todtschläger und dem Leichtsinnigen, der das Mausen nicht lassen kann, keinen Unterschied. Jhr wollt beide unschädlich machen und müßtet sie auf ewige Zeiten in das Gefängniß einschließen. Wäre die Milde gegen den Todtschläger weise, so wäre sie gegen den unverbesserlichen Hühner- und Gänsedieb ungerecht. Was ist das Unumgängliche? Der Begriff von <hi rendition="#g">Strafe</hi>. Dies Gefühl der Gesellschaft, welches ganz dem moralischen Gefühl des Einzelnen entspricht, abgesehen von Abschreckung, Rache und dergleichen Einmischungen anderweitiger Zwecke scheint doch in der Menschenbrust eine tiefe Geltung zu haben. <hi rendition="#g">Strafe</hi> müsse seyn; das läßt sich in dem bei uns nachhallenden Echo jedes fremden Verbrechens nicht ausrotten. Und nur darin liegt die große Controverse unsrer heutigen Debatten über Strafe und Strafmaß, daß man dies Gefühl der </p> </div> </body> </text> </TEI> [62/0064]
zwischen Himmel und Erde in der Mitte schwebten, ist es der Mangel an Consequenz, der die Achtung vor dem Gesetz und dem Leben im Staate noch mehr untergräbt, als jener nicht selten mystische Christinismus, über welchen die Einsichtsvollen lächeln müssen.
Das Prinzip der juristischen Neuerer in der Straftheorie ist: die Sicherheit. Der Verbrecher soll unschädlich gemacht werden. Dies Prinzip werde ich niemals billigen; weil es einmal voll innerer Widersprüche und zweitens inhuman ist. Der Widerspruch ist dieser: Soll ein Verbrecher unschädlich gemacht werden, so gibt es zwischen dem Todtschläger und dem Leichtsinnigen, der das Mausen nicht lassen kann, keinen Unterschied. Jhr wollt beide unschädlich machen und müßtet sie auf ewige Zeiten in das Gefängniß einschließen. Wäre die Milde gegen den Todtschläger weise, so wäre sie gegen den unverbesserlichen Hühner- und Gänsedieb ungerecht. Was ist das Unumgängliche? Der Begriff von Strafe. Dies Gefühl der Gesellschaft, welches ganz dem moralischen Gefühl des Einzelnen entspricht, abgesehen von Abschreckung, Rache und dergleichen Einmischungen anderweitiger Zwecke scheint doch in der Menschenbrust eine tiefe Geltung zu haben. Strafe müsse seyn; das läßt sich in dem bei uns nachhallenden Echo jedes fremden Verbrechens nicht ausrotten. Und nur darin liegt die große Controverse unsrer heutigen Debatten über Strafe und Strafmaß, daß man dies Gefühl der
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/64>, abgerufen am 16.02.2025. |