Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.deutschen Staaten, liegen brach da; sie reichen für die vorkommenden Fälle nicht aus und wissen das Maß von Milde und Strenge, wenn sie kriminelle Vorschriften machen, nicht auszugleichen. Sie ähneln dann jenen Schlössern, welche Fürsten in einem Anfall von Laune aufbauen ließen und die ihnen, da sie fertig waren, mißfielen. So liegen sie jezt unbewohnt da und dienen höchstens als Absteigequartier für eine Reise oder als Exil für eine Maitresse, deren der Fürst mit der Zeit überdrüssig geworden ist. Diese Zerstreutheit und Unzulänglichkeit des neuern juridischen Verstandes rief das andre Extrem hervor, die Vergötterung der Vergangenheit. Man benuzte das Historische zunächst als Aushilfe, man wollte der Tradition das entnehmen, worauf die Gegenwart keine bestimmte Antwort zu geben wußte. Allein, bald kehrte sich das Verhältniß um. Das allgemeine Landesgesetz wurde Supplement und das Provinzialstatut die Regel. So geschah es auch in fast allen jenen Beziehungen, wo die Menschen zugeben mußten, daß sie organisch mit der Geschichte verwachsen sind und keine Kultur sich so aneignen konnten, wie man wohl Gemälde aus freier Hand auf eine frischgetünchte Mauer wirft. Die Begriffe von Recht und Gerechtigkeit mußten unter dieser Ueberzeugung das Meiste leiden, da, wo sie sich ganz in das Alte zurückwarfen, kann man über Barbarei klagen; da, wo sie zwischen dem Alten und Neuen, deutschen Staaten, liegen brach da; sie reichen für die vorkommenden Fälle nicht aus und wissen das Maß von Milde und Strenge, wenn sie kriminelle Vorschriften machen, nicht auszugleichen. Sie ähneln dann jenen Schlössern, welche Fürsten in einem Anfall von Laune aufbauen ließen und die ihnen, da sie fertig waren, mißfielen. So liegen sie jezt unbewohnt da und dienen höchstens als Absteigequartier für eine Reise oder als Exil für eine Maitresse, deren der Fürst mit der Zeit überdrüssig geworden ist. Diese Zerstreutheit und Unzulänglichkeit des neuern juridischen Verstandes rief das andre Extrem hervor, die Vergötterung der Vergangenheit. Man benuzte das Historische zunächst als Aushilfe, man wollte der Tradition das entnehmen, worauf die Gegenwart keine bestimmte Antwort zu geben wußte. Allein, bald kehrte sich das Verhältniß um. Das allgemeine Landesgesetz wurde Supplement und das Provinzialstatut die Regel. So geschah es auch in fast allen jenen Beziehungen, wo die Menschen zugeben mußten, daß sie organisch mit der Geschichte verwachsen sind und keine Kultur sich so aneignen konnten, wie man wohl Gemälde aus freier Hand auf eine frischgetünchte Mauer wirft. Die Begriffe von Recht und Gerechtigkeit mußten unter dieser Ueberzeugung das Meiste leiden, da, wo sie sich ganz in das Alte zurückwarfen, kann man über Barbarei klagen; da, wo sie zwischen dem Alten und Neuen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0063" n="61"/> deutschen Staaten, liegen brach da; sie reichen für die vorkommenden Fälle nicht aus und wissen das Maß von Milde und Strenge, wenn sie kriminelle Vorschriften machen, nicht auszugleichen. Sie ähneln dann jenen Schlössern, welche Fürsten in einem Anfall von Laune aufbauen ließen und die ihnen, da sie fertig waren, mißfielen. So liegen sie jezt unbewohnt da und dienen höchstens als Absteigequartier für eine Reise oder als Exil für eine Maitresse, deren der Fürst mit der Zeit überdrüssig geworden ist.</p> <p>Diese Zerstreutheit und <hi rendition="#g">Unzulänglichkeit des neuern juridischen Verstandes</hi> rief das andre Extrem hervor, die Vergötterung der Vergangenheit. Man benuzte das Historische zunächst als Aushilfe, man wollte der Tradition das entnehmen, worauf die Gegenwart keine bestimmte Antwort zu geben wußte. Allein, bald kehrte sich das Verhältniß um. Das allgemeine Landesgesetz wurde Supplement und das Provinzialstatut die Regel. So geschah es auch in fast allen jenen Beziehungen, wo die Menschen zugeben mußten, daß sie organisch mit der Geschichte verwachsen sind und keine Kultur sich so aneignen konnten, wie man wohl Gemälde aus freier Hand auf eine frischgetünchte Mauer wirft. Die Begriffe von Recht und Gerechtigkeit mußten unter dieser Ueberzeugung das Meiste leiden, da, wo sie sich ganz in das Alte zurückwarfen, kann man über Barbarei klagen; da, wo sie zwischen dem Alten und Neuen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0063]
deutschen Staaten, liegen brach da; sie reichen für die vorkommenden Fälle nicht aus und wissen das Maß von Milde und Strenge, wenn sie kriminelle Vorschriften machen, nicht auszugleichen. Sie ähneln dann jenen Schlössern, welche Fürsten in einem Anfall von Laune aufbauen ließen und die ihnen, da sie fertig waren, mißfielen. So liegen sie jezt unbewohnt da und dienen höchstens als Absteigequartier für eine Reise oder als Exil für eine Maitresse, deren der Fürst mit der Zeit überdrüssig geworden ist.
Diese Zerstreutheit und Unzulänglichkeit des neuern juridischen Verstandes rief das andre Extrem hervor, die Vergötterung der Vergangenheit. Man benuzte das Historische zunächst als Aushilfe, man wollte der Tradition das entnehmen, worauf die Gegenwart keine bestimmte Antwort zu geben wußte. Allein, bald kehrte sich das Verhältniß um. Das allgemeine Landesgesetz wurde Supplement und das Provinzialstatut die Regel. So geschah es auch in fast allen jenen Beziehungen, wo die Menschen zugeben mußten, daß sie organisch mit der Geschichte verwachsen sind und keine Kultur sich so aneignen konnten, wie man wohl Gemälde aus freier Hand auf eine frischgetünchte Mauer wirft. Die Begriffe von Recht und Gerechtigkeit mußten unter dieser Ueberzeugung das Meiste leiden, da, wo sie sich ganz in das Alte zurückwarfen, kann man über Barbarei klagen; da, wo sie zwischen dem Alten und Neuen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/63 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/63>, abgerufen am 16.02.2025. |