Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Haus einzelne Grundsätze aufstellen, welche entweder den herrschenden widersprechen oder für eine in der Minorität befindliche Ansicht Partei nehmen; allein dies ist nur eine zufällige Konsequenz derselben. Die Sittenreformation ist keine Haupttendenz der Philosophie mehr. Von dieser Seite ist sie selbst im Guten, das sie leisten könnte, zu lässig geworden. Denn wenn die Möglichkeit, vieles in unserem nächsten unmittelbaren Leben besser zu bestimmen, wohl vorhanden ist, so würde die Philosophie hier eine glücklichere Lehrmeisterin seyn, als jene populäre Literatur, deren Motiv mehr das Gefühl als der Gedanke ist; vielleicht hält sich die Philosophie nur zu weit entfernt von unsern Umgangssitten; sie, der man zu einer hier und da wohl möglichen Reform mehr Beruf allgemein zugestehen würde, als jenen einzelnen sogenannten Weltverbesserern, deren mitunter redliche Absichten ihre unbegründete wissenschaftliche Stellung und ihren Mangel an doktrinärem Nimbus meist immer entgelten müssen.

Selbst in der Religion erhebt sich die Philosophie des Tages wenig über das Gegebene. Ja, wir finden, daß die Philosophie weit eher geneigt ist, sich für die Wahrhaftigkeit des Jnhalts jener Dogmen zu erklären, welche von den freisinnigen Richtungen innerhalb der Theologie selbst bestritten werden. Die Philosophie, selbst in England und Frankreich, ist weit geneigter, sich gegen, als für den Deismus zu

Haus einzelne Grundsätze aufstellen, welche entweder den herrschenden widersprechen oder für eine in der Minorität befindliche Ansicht Partei nehmen; allein dies ist nur eine zufällige Konsequenz derselben. Die Sittenreformation ist keine Haupttendenz der Philosophie mehr. Von dieser Seite ist sie selbst im Guten, das sie leisten könnte, zu lässig geworden. Denn wenn die Möglichkeit, vieles in unserem nächsten unmittelbaren Leben besser zu bestimmen, wohl vorhanden ist, so würde die Philosophie hier eine glücklichere Lehrmeisterin seyn, als jene populäre Literatur, deren Motiv mehr das Gefühl als der Gedanke ist; vielleicht hält sich die Philosophie nur zu weit entfernt von unsern Umgangssitten; sie, der man zu einer hier und da wohl möglichen Reform mehr Beruf allgemein zugestehen würde, als jenen einzelnen sogenannten Weltverbesserern, deren mitunter redliche Absichten ihre unbegründete wissenschaftliche Stellung und ihren Mangel an doktrinärem Nimbus meist immer entgelten müssen.

Selbst in der Religion erhebt sich die Philosophie des Tages wenig über das Gegebene. Ja, wir finden, daß die Philosophie weit eher geneigt ist, sich für die Wahrhaftigkeit des Jnhalts jener Dogmen zu erklären, welche von den freisinnigen Richtungen innerhalb der Theologie selbst bestritten werden. Die Philosophie, selbst in England und Frankreich, ist weit geneigter, sich gegen, als für den Deismus zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0362" n="360"/>
Haus einzelne Grundsätze aufstellen, welche entweder den herrschenden widersprechen oder für eine in der Minorität befindliche Ansicht Partei nehmen; allein dies ist nur eine zufällige Konsequenz derselben. Die Sittenreformation ist keine Haupttendenz der Philosophie mehr. Von dieser Seite ist sie selbst im Guten, das sie leisten könnte, zu lässig geworden. Denn wenn die Möglichkeit, vieles in unserem nächsten unmittelbaren Leben besser zu bestimmen, wohl vorhanden ist, so würde die Philosophie hier eine glücklichere Lehrmeisterin seyn, als jene populäre Literatur, deren Motiv mehr das Gefühl als der Gedanke ist; vielleicht hält sich die Philosophie nur zu weit entfernt von unsern Umgangssitten; sie, der man zu einer hier und da wohl möglichen Reform mehr Beruf allgemein zugestehen würde, als jenen einzelnen sogenannten Weltverbesserern, deren mitunter redliche Absichten ihre unbegründete wissenschaftliche Stellung und ihren Mangel an doktrinärem Nimbus meist immer entgelten müssen.</p>
        <p>Selbst in der Religion erhebt sich die Philosophie des Tages wenig über das Gegebene. Ja, wir finden, daß die Philosophie weit eher geneigt ist, sich für die Wahrhaftigkeit des Jnhalts jener Dogmen zu erklären, welche von den freisinnigen Richtungen innerhalb der Theologie selbst bestritten werden. Die Philosophie, selbst in England und Frankreich, ist weit geneigter, sich gegen, als für den Deismus zu
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0362] Haus einzelne Grundsätze aufstellen, welche entweder den herrschenden widersprechen oder für eine in der Minorität befindliche Ansicht Partei nehmen; allein dies ist nur eine zufällige Konsequenz derselben. Die Sittenreformation ist keine Haupttendenz der Philosophie mehr. Von dieser Seite ist sie selbst im Guten, das sie leisten könnte, zu lässig geworden. Denn wenn die Möglichkeit, vieles in unserem nächsten unmittelbaren Leben besser zu bestimmen, wohl vorhanden ist, so würde die Philosophie hier eine glücklichere Lehrmeisterin seyn, als jene populäre Literatur, deren Motiv mehr das Gefühl als der Gedanke ist; vielleicht hält sich die Philosophie nur zu weit entfernt von unsern Umgangssitten; sie, der man zu einer hier und da wohl möglichen Reform mehr Beruf allgemein zugestehen würde, als jenen einzelnen sogenannten Weltverbesserern, deren mitunter redliche Absichten ihre unbegründete wissenschaftliche Stellung und ihren Mangel an doktrinärem Nimbus meist immer entgelten müssen. Selbst in der Religion erhebt sich die Philosophie des Tages wenig über das Gegebene. Ja, wir finden, daß die Philosophie weit eher geneigt ist, sich für die Wahrhaftigkeit des Jnhalts jener Dogmen zu erklären, welche von den freisinnigen Richtungen innerhalb der Theologie selbst bestritten werden. Die Philosophie, selbst in England und Frankreich, ist weit geneigter, sich gegen, als für den Deismus zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/362
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/362>, abgerufen am 22.11.2024.