Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Berührungen schroff und abstoßend. Das Gewirre der ideellen Jnteressen, die sich wechselseitig befehden, um Träumen über Staatsverfassung den Sieg zu verschaffen, die Noth der materiellen Existenz, die oft sogar da die bangsten Stunden macht, wo das großartige Geschäft mit den Konjunkturen zu kämpfen hat, oder der Reichthum einen Lebensfuß erzeugt hat, auf welchem immer und ohne Beschränkung zu leben dem Vermögenden ein nicht selten schwieriges Bedürfniß geworden ist; dies alles macht, daß wir die obere und untere Kinnlade scharf zusammendrücken, die Stirne runzeln und die Augen tief in ihre Höhlen zurückziehen. Die spätere Wendung, welche die Ereignisse nahmen, die den Anfang unsres Jahrhunderts bezeichnen, ging hie und da wirklich von religiösen Jmpulsen aus, man konnt' es sogar möglich machen, die Politik und die Diplomatie einen kurzen Augenblick mit der Religion zu verbinden. Die religiösen Verirrungen überdies, deren unsre Epoche zahlreiche aufzuweisen hat, bestätigen das einmal vorhandene Bedürfniß, welches befriedigt seyn will; die Fortschritte des Pietismus konnten nur in einem Zeitalter möglich seyn, wo es leicht war, an religiöse Empfindungen anzuknüpfen, ja, selbst solche Sekten, welche aus rein politischen Jnteressen, ja sogar aus industriellen hervorgingen, wie der Saint Simonismus, zogen doch das Christenthum in den Kreis ihrer systematisirenden Bestrebungen, eine Kulturblüthe, für welche Berührungen schroff und abstoßend. Das Gewirre der ideellen Jnteressen, die sich wechselseitig befehden, um Träumen über Staatsverfassung den Sieg zu verschaffen, die Noth der materiellen Existenz, die oft sogar da die bangsten Stunden macht, wo das großartige Geschäft mit den Konjunkturen zu kämpfen hat, oder der Reichthum einen Lebensfuß erzeugt hat, auf welchem immer und ohne Beschränkung zu leben dem Vermögenden ein nicht selten schwieriges Bedürfniß geworden ist; dies alles macht, daß wir die obere und untere Kinnlade scharf zusammendrücken, die Stirne runzeln und die Augen tief in ihre Höhlen zurückziehen. Die spätere Wendung, welche die Ereignisse nahmen, die den Anfang unsres Jahrhunderts bezeichnen, ging hie und da wirklich von religiösen Jmpulsen aus, man konnt’ es sogar möglich machen, die Politik und die Diplomatie einen kurzen Augenblick mit der Religion zu verbinden. Die religiösen Verirrungen überdies, deren unsre Epoche zahlreiche aufzuweisen hat, bestätigen das einmal vorhandene Bedürfniß, welches befriedigt seyn will; die Fortschritte des Pietismus konnten nur in einem Zeitalter möglich seyn, wo es leicht war, an religiöse Empfindungen anzuknüpfen, ja, selbst solche Sekten, welche aus rein politischen Jnteressen, ja sogar aus industriellen hervorgingen, wie der Saint Simonismus, zogen doch das Christenthum in den Kreis ihrer systematisirenden Bestrebungen, eine Kulturblüthe, für welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0200" n="198"/> Berührungen schroff und abstoßend. Das Gewirre der ideellen Jnteressen, die sich wechselseitig befehden, um Träumen über Staatsverfassung den Sieg zu verschaffen, die Noth der materiellen Existenz, die oft sogar da die bangsten Stunden macht, wo das großartige Geschäft mit den Konjunkturen zu kämpfen hat, oder der Reichthum einen Lebensfuß erzeugt hat, auf welchem immer und ohne Beschränkung zu leben dem Vermögenden ein nicht selten schwieriges Bedürfniß geworden ist; dies alles macht, daß wir die obere und untere Kinnlade scharf zusammendrücken, die Stirne runzeln und die Augen tief in ihre Höhlen zurückziehen. Die spätere Wendung, welche die Ereignisse nahmen, die den Anfang unsres Jahrhunderts bezeichnen, ging hie und da wirklich von religiösen Jmpulsen aus, man konnt’ es sogar möglich machen, die Politik und die Diplomatie einen kurzen Augenblick mit der Religion zu verbinden. Die religiösen Verirrungen überdies, deren unsre Epoche zahlreiche aufzuweisen hat, bestätigen das einmal vorhandene Bedürfniß, welches befriedigt seyn will; die Fortschritte des Pietismus konnten nur in einem Zeitalter möglich seyn, wo es leicht war, an religiöse Empfindungen anzuknüpfen, ja, selbst solche Sekten, welche aus rein politischen Jnteressen, ja sogar aus industriellen hervorgingen, wie der Saint Simonismus, zogen doch das Christenthum in den Kreis ihrer systematisirenden Bestrebungen, eine Kulturblüthe, für welche </p> </div> </body> </text> </TEI> [198/0200]
Berührungen schroff und abstoßend. Das Gewirre der ideellen Jnteressen, die sich wechselseitig befehden, um Träumen über Staatsverfassung den Sieg zu verschaffen, die Noth der materiellen Existenz, die oft sogar da die bangsten Stunden macht, wo das großartige Geschäft mit den Konjunkturen zu kämpfen hat, oder der Reichthum einen Lebensfuß erzeugt hat, auf welchem immer und ohne Beschränkung zu leben dem Vermögenden ein nicht selten schwieriges Bedürfniß geworden ist; dies alles macht, daß wir die obere und untere Kinnlade scharf zusammendrücken, die Stirne runzeln und die Augen tief in ihre Höhlen zurückziehen. Die spätere Wendung, welche die Ereignisse nahmen, die den Anfang unsres Jahrhunderts bezeichnen, ging hie und da wirklich von religiösen Jmpulsen aus, man konnt’ es sogar möglich machen, die Politik und die Diplomatie einen kurzen Augenblick mit der Religion zu verbinden. Die religiösen Verirrungen überdies, deren unsre Epoche zahlreiche aufzuweisen hat, bestätigen das einmal vorhandene Bedürfniß, welches befriedigt seyn will; die Fortschritte des Pietismus konnten nur in einem Zeitalter möglich seyn, wo es leicht war, an religiöse Empfindungen anzuknüpfen, ja, selbst solche Sekten, welche aus rein politischen Jnteressen, ja sogar aus industriellen hervorgingen, wie der Saint Simonismus, zogen doch das Christenthum in den Kreis ihrer systematisirenden Bestrebungen, eine Kulturblüthe, für welche
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/200>, abgerufen am 27.07.2024. |