Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.und deutschen Moden duldete, ihnen sogar die Kleiderstoffe zuschickte und die Frauen selbst an seinem Hofe erscheinen ließ. Peter der Große ist vielleicht der Befestiger der russischen Monarchie geworden, allein die Sittenrevolution, die er hervorrief, ist auch die Erweckung eines fortwährenden Widerspruchs gegen die despotische Regierungsform dieser Monarchie. Wie unnatürlich Rußlands gegenwärtige Verfassung schon ist und wie unnatürlich es seyn würde, wenn sie auf die Länge so bliebe, das beweist der große Umschwung der Sitten, welcher seit hundert Jahren in diesem Lande geduldet worden ist. Montesquieu hat in dem Geist der Gesetze bewiesen, daß despotische Staaten keinen bessern Anlehnungspunkt haben können, als die unveränderte heilige alte Sitte. So wie erst in den Gewohnheiten eines despotischen Staates etwas geändert wird, so hat er sich um seine Fortdauer gebracht. Montesquieu fügt hinzu, daß die beste Garantie für die Erhaltung alter Sitten in der Abgeschlossenheit der Weiber läge. Werden diese emanzipirt, dürfen sie ihren Harem verlassen, dürfen sie mit unverschleiertem Gesicht über die Straße gehen und die Gesellschaft anderer Männer als ihrer eigenen und der Verschnittnen derselben annehmen, so wird es nicht mehr lange währen, daß eine große umfassende Revolution in den Sitten ausbricht. Die Sitten ziehen aber die Gesetze nach sich. Wäre es dem Sultan ernst, die Türken zu civilisiren, so müßte er nicht mit den Steigbügeln und deutschen Moden duldete, ihnen sogar die Kleiderstoffe zuschickte und die Frauen selbst an seinem Hofe erscheinen ließ. Peter der Große ist vielleicht der Befestiger der russischen Monarchie geworden, allein die Sittenrevolution, die er hervorrief, ist auch die Erweckung eines fortwährenden Widerspruchs gegen die despotische Regierungsform dieser Monarchie. Wie unnatürlich Rußlands gegenwärtige Verfassung schon ist und wie unnatürlich es seyn würde, wenn sie auf die Länge so bliebe, das beweist der große Umschwung der Sitten, welcher seit hundert Jahren in diesem Lande geduldet worden ist. Montesquieu hat in dem Geist der Gesetze bewiesen, daß despotische Staaten keinen bessern Anlehnungspunkt haben können, als die unveränderte heilige alte Sitte. So wie erst in den Gewohnheiten eines despotischen Staates etwas geändert wird, so hat er sich um seine Fortdauer gebracht. Montesquieu fügt hinzu, daß die beste Garantie für die Erhaltung alter Sitten in der Abgeschlossenheit der Weiber läge. Werden diese emanzipirt, dürfen sie ihren Harem verlassen, dürfen sie mit unverschleiertem Gesicht über die Straße gehen und die Gesellschaft anderer Männer als ihrer eigenen und der Verschnittnen derselben annehmen, so wird es nicht mehr lange währen, daß eine große umfassende Revolution in den Sitten ausbricht. Die Sitten ziehen aber die Gesetze nach sich. Wäre es dem Sultan ernst, die Türken zu civilisiren, so müßte er nicht mit den Steigbügeln <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="18"/> und deutschen <hi rendition="#g">Moden</hi> duldete, ihnen sogar die Kleiderstoffe zuschickte und die Frauen selbst an seinem Hofe erscheinen ließ. <hi rendition="#g">Peter</hi> der Große ist vielleicht der Befestiger der russischen Monarchie geworden, allein die Sittenrevolution, die er hervorrief, ist auch die Erweckung eines fortwährenden Widerspruchs gegen die despotische Regierungsform dieser Monarchie. Wie unnatürlich Rußlands gegenwärtige Verfassung schon ist und wie unnatürlich es seyn würde, wenn sie auf die Länge so bliebe, das beweist der große Umschwung der Sitten, welcher seit hundert Jahren in diesem Lande geduldet worden ist. <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> hat in dem Geist der Gesetze bewiesen, daß despotische Staaten keinen bessern Anlehnungspunkt haben können, als die unveränderte heilige alte Sitte. So wie erst in den Gewohnheiten eines despotischen Staates etwas geändert wird, so hat er sich um seine Fortdauer gebracht. <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> fügt hinzu, daß die beste Garantie für die Erhaltung alter Sitten in der Abgeschlossenheit der Weiber läge. Werden diese emanzipirt, dürfen sie ihren Harem verlassen, dürfen sie mit unverschleiertem Gesicht über die Straße gehen und die Gesellschaft anderer Männer als ihrer eigenen und der Verschnittnen derselben annehmen, so wird es nicht mehr lange währen, daß eine große umfassende Revolution in den Sitten ausbricht. Die Sitten ziehen aber die Gesetze nach sich. Wäre es dem Sultan ernst, die Türken zu civilisiren, so müßte er nicht mit den Steigbügeln </p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0020]
und deutschen Moden duldete, ihnen sogar die Kleiderstoffe zuschickte und die Frauen selbst an seinem Hofe erscheinen ließ. Peter der Große ist vielleicht der Befestiger der russischen Monarchie geworden, allein die Sittenrevolution, die er hervorrief, ist auch die Erweckung eines fortwährenden Widerspruchs gegen die despotische Regierungsform dieser Monarchie. Wie unnatürlich Rußlands gegenwärtige Verfassung schon ist und wie unnatürlich es seyn würde, wenn sie auf die Länge so bliebe, das beweist der große Umschwung der Sitten, welcher seit hundert Jahren in diesem Lande geduldet worden ist. Montesquieu hat in dem Geist der Gesetze bewiesen, daß despotische Staaten keinen bessern Anlehnungspunkt haben können, als die unveränderte heilige alte Sitte. So wie erst in den Gewohnheiten eines despotischen Staates etwas geändert wird, so hat er sich um seine Fortdauer gebracht. Montesquieu fügt hinzu, daß die beste Garantie für die Erhaltung alter Sitten in der Abgeschlossenheit der Weiber läge. Werden diese emanzipirt, dürfen sie ihren Harem verlassen, dürfen sie mit unverschleiertem Gesicht über die Straße gehen und die Gesellschaft anderer Männer als ihrer eigenen und der Verschnittnen derselben annehmen, so wird es nicht mehr lange währen, daß eine große umfassende Revolution in den Sitten ausbricht. Die Sitten ziehen aber die Gesetze nach sich. Wäre es dem Sultan ernst, die Türken zu civilisiren, so müßte er nicht mit den Steigbügeln
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/20>, abgerufen am 27.07.2024. |