Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Die Reformation erst hob diese Stellung der Kirche zum Staate für einen großen Theil Europa's auf. Sie war der Fürsten benöthigt, sie köderte ihre Theilnahme nicht bloß durch Abtretung geistlicher Güter, sondern auch geistlicher Rechte; die Hierarchie war es ja selbst, welche von den Reformatoren bekämpft wurde. Jn England blieb vollends die Einrichtung der alten Kirchenverfassung, nur mit dem Unterschied, daß sich Heinrich VJJJ. zum Pabste machte und dem Staat jenes Supremat hinterließ, welches er mit so vieler Gewaltthätigkeit zu guten und schlechten Zwecken benuzte. Nur die reformirte Kirche, die an die Formen der Schweizerkirche hielt, ging in ihrer Verfassung auf die evangelisch-apostolische Zeit zurück und konstituirte sich als eine durch gemeinsamen Glauben gebundene Privatgesellschaft, die sich selbst Gesetze gab und von den Fürsten nur Schutz verlangte, aber die öfters so glücklich war, mit Fürsten gar nicht in Berührung zu kommen, wie in Holland. Jn Deutschland machten es die politischen Stürme, welche der Reformation folgten, die zum offenen Ausbruch kommende Verwilderung der allgemeinen Staatsverfassung überhaupt, daß sich das kirchliche Leben völlig in die Obhut des Staates begeben mußte. Die Fürsten übernahmen die Bischofsrechte, sie übten Kirchen-Administration und geistliche Gerichtsbarkeit, sie umgaben sich in dem immer mehr zunehmenden Sinne für Centralisation mit Consistorien, welche den Willen des Hoftheologen oder irgend eine landesherrliche Grille Die Reformation erst hob diese Stellung der Kirche zum Staate für einen großen Theil Europa’s auf. Sie war der Fürsten benöthigt, sie köderte ihre Theilnahme nicht bloß durch Abtretung geistlicher Güter, sondern auch geistlicher Rechte; die Hierarchie war es ja selbst, welche von den Reformatoren bekämpft wurde. Jn England blieb vollends die Einrichtung der alten Kirchenverfassung, nur mit dem Unterschied, daß sich Heinrich VJJJ. zum Pabste machte und dem Staat jenes Supremat hinterließ, welches er mit so vieler Gewaltthätigkeit zu guten und schlechten Zwecken benuzte. Nur die reformirte Kirche, die an die Formen der Schweizerkirche hielt, ging in ihrer Verfassung auf die evangelisch-apostolische Zeit zurück und konstituirte sich als eine durch gemeinsamen Glauben gebundene Privatgesellschaft, die sich selbst Gesetze gab und von den Fürsten nur Schutz verlangte, aber die öfters so glücklich war, mit Fürsten gar nicht in Berührung zu kommen, wie in Holland. Jn Deutschland machten es die politischen Stürme, welche der Reformation folgten, die zum offenen Ausbruch kommende Verwilderung der allgemeinen Staatsverfassung überhaupt, daß sich das kirchliche Leben völlig in die Obhut des Staates begeben mußte. Die Fürsten übernahmen die Bischofsrechte, sie übten Kirchen-Administration und geistliche Gerichtsbarkeit, sie umgaben sich in dem immer mehr zunehmenden Sinne für Centralisation mit Consistorien, welche den Willen des Hoftheologen oder irgend eine landesherrliche Grille <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0187" n="185"/> Die Reformation erst hob diese Stellung der Kirche zum Staate für einen großen Theil Europa’s auf. Sie war der Fürsten benöthigt, sie köderte ihre Theilnahme nicht bloß durch Abtretung geistlicher Güter, sondern auch geistlicher Rechte; die Hierarchie war es ja selbst, welche von den Reformatoren bekämpft wurde. Jn England blieb vollends die Einrichtung der alten Kirchenverfassung, nur mit dem Unterschied, daß sich <hi rendition="#g">Heinrich</hi> <hi rendition="#aq">VJJJ.</hi> zum Pabste machte und dem Staat jenes Supremat hinterließ, welches er mit so vieler Gewaltthätigkeit zu guten und schlechten Zwecken benuzte. Nur die reformirte Kirche, die an die Formen der Schweizerkirche hielt, ging in ihrer Verfassung auf die evangelisch-apostolische Zeit zurück und konstituirte sich als eine durch gemeinsamen Glauben gebundene Privatgesellschaft, die sich selbst Gesetze gab und von den Fürsten nur Schutz verlangte, aber die öfters so glücklich war, mit Fürsten gar nicht in Berührung zu kommen, wie in Holland. Jn Deutschland machten es die politischen Stürme, welche der Reformation folgten, die zum offenen Ausbruch kommende Verwilderung der allgemeinen Staatsverfassung überhaupt, daß sich das kirchliche Leben völlig in die Obhut des Staates begeben mußte. Die Fürsten übernahmen die Bischofsrechte, sie übten Kirchen-Administration und geistliche Gerichtsbarkeit, sie umgaben sich in dem immer mehr zunehmenden Sinne für Centralisation mit Consistorien, welche den Willen des Hoftheologen oder irgend eine landesherrliche Grille </p> </div> </body> </text> </TEI> [185/0187]
Die Reformation erst hob diese Stellung der Kirche zum Staate für einen großen Theil Europa’s auf. Sie war der Fürsten benöthigt, sie köderte ihre Theilnahme nicht bloß durch Abtretung geistlicher Güter, sondern auch geistlicher Rechte; die Hierarchie war es ja selbst, welche von den Reformatoren bekämpft wurde. Jn England blieb vollends die Einrichtung der alten Kirchenverfassung, nur mit dem Unterschied, daß sich Heinrich VJJJ. zum Pabste machte und dem Staat jenes Supremat hinterließ, welches er mit so vieler Gewaltthätigkeit zu guten und schlechten Zwecken benuzte. Nur die reformirte Kirche, die an die Formen der Schweizerkirche hielt, ging in ihrer Verfassung auf die evangelisch-apostolische Zeit zurück und konstituirte sich als eine durch gemeinsamen Glauben gebundene Privatgesellschaft, die sich selbst Gesetze gab und von den Fürsten nur Schutz verlangte, aber die öfters so glücklich war, mit Fürsten gar nicht in Berührung zu kommen, wie in Holland. Jn Deutschland machten es die politischen Stürme, welche der Reformation folgten, die zum offenen Ausbruch kommende Verwilderung der allgemeinen Staatsverfassung überhaupt, daß sich das kirchliche Leben völlig in die Obhut des Staates begeben mußte. Die Fürsten übernahmen die Bischofsrechte, sie übten Kirchen-Administration und geistliche Gerichtsbarkeit, sie umgaben sich in dem immer mehr zunehmenden Sinne für Centralisation mit Consistorien, welche den Willen des Hoftheologen oder irgend eine landesherrliche Grille
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/187>, abgerufen am 16.02.2025. |