Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.unter der Zahl drei sinnbildlich ausgedrückt werden sollte. Eine Braut wurde nicht mit freiem Fuße über die Schwelle des Bräutigams gelassen, sondern hinübergehoben. Es wundert mich nicht, daß Plutarch, indem er diesen Gebrauch erwähnt, dabei die Erinnerung an den Raub der Sabinerinnen zum Grunde legt. Gesezt, es hieß von jemanden, er wäre in der Fremde gestorben, so durfte er nicht, wenn das Gerücht falsch gewesen war und er zurückkam, durch die Thüre das Haus seiner Familie betreten, sondern mußte vom Dache hineinsteigen. Dies geschah wahrscheinlich, weil es für unpassend gehalten wurde, durch dieselbe Thüre, durch welche das Todtenopfer für den Abwesenden getragen worden war, ihn nach seiner Rückkehr nun selbst hindurchschreiten zu lassen. Sehr bekannt ist, daß die römischen Frauen ihre nächsten Verwandten nicht nur küssen durften, sondern sogar küssen mußten, weil sich die Männer und die Gevatterinnen nur auf diese Weise am Geruch überzeugen konnten, ob sich die Frauen dem Weingenuß ergaben. So demüthigend diese Sitte für die Frauen war, so ehrenvoll war für sie eine andere. Kein Gatte durfte, wenn er vom Land oder von einer Reise zurückkam, ohne gegen den Anstand zu verstoßen, seine Frau plötzlich überraschen, sondern er mußte zum Beweise, daß er von der guten Aufführung seiner Gattin überzeugt war, sich erst vorher bei ihr anmelden lassen. Wenn die Römer auf der Straße einem vornehmen unter der Zahl drei sinnbildlich ausgedrückt werden sollte. Eine Braut wurde nicht mit freiem Fuße über die Schwelle des Bräutigams gelassen, sondern hinübergehoben. Es wundert mich nicht, daß Plutarch, indem er diesen Gebrauch erwähnt, dabei die Erinnerung an den Raub der Sabinerinnen zum Grunde legt. Gesezt, es hieß von jemanden, er wäre in der Fremde gestorben, so durfte er nicht, wenn das Gerücht falsch gewesen war und er zurückkam, durch die Thüre das Haus seiner Familie betreten, sondern mußte vom Dache hineinsteigen. Dies geschah wahrscheinlich, weil es für unpassend gehalten wurde, durch dieselbe Thüre, durch welche das Todtenopfer für den Abwesenden getragen worden war, ihn nach seiner Rückkehr nun selbst hindurchschreiten zu lassen. Sehr bekannt ist, daß die römischen Frauen ihre nächsten Verwandten nicht nur küssen durften, sondern sogar küssen mußten, weil sich die Männer und die Gevatterinnen nur auf diese Weise am Geruch überzeugen konnten, ob sich die Frauen dem Weingenuß ergaben. So demüthigend diese Sitte für die Frauen war, so ehrenvoll war für sie eine andere. Kein Gatte durfte, wenn er vom Land oder von einer Reise zurückkam, ohne gegen den Anstand zu verstoßen, seine Frau plötzlich überraschen, sondern er mußte zum Beweise, daß er von der guten Aufführung seiner Gattin überzeugt war, sich erst vorher bei ihr anmelden lassen. Wenn die Römer auf der Straße einem vornehmen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="10"/> unter der Zahl drei sinnbildlich ausgedrückt werden sollte. Eine Braut wurde nicht mit freiem Fuße über die Schwelle des Bräutigams gelassen, sondern hinübergehoben. Es wundert mich nicht, daß <hi rendition="#g">Plutarch</hi>, indem er diesen Gebrauch erwähnt, dabei die Erinnerung an den Raub der Sabinerinnen zum Grunde legt. Gesezt, es hieß von jemanden, er wäre in der Fremde gestorben, so durfte er nicht, wenn das Gerücht falsch gewesen war und er zurückkam, durch die Thüre das Haus seiner Familie betreten, sondern mußte vom Dache hineinsteigen. Dies geschah wahrscheinlich, weil es für unpassend gehalten wurde, durch dieselbe Thüre, durch welche das Todtenopfer für den Abwesenden getragen worden war, ihn nach seiner Rückkehr nun selbst hindurchschreiten zu lassen. Sehr bekannt ist, daß die römischen Frauen ihre nächsten Verwandten nicht nur küssen durften, sondern sogar küssen <hi rendition="#g">mußten</hi>, weil sich die Männer und die Gevatterinnen nur auf diese Weise am Geruch überzeugen konnten, ob sich die Frauen dem Weingenuß ergaben. So demüthigend <hi rendition="#g">diese</hi> Sitte für die Frauen war, so ehrenvoll war für sie eine andere. Kein Gatte durfte, wenn er vom Land oder von einer Reise zurückkam, ohne gegen den Anstand zu verstoßen, seine Frau plötzlich überraschen, sondern er mußte zum Beweise, daß er von der guten Aufführung seiner Gattin überzeugt war, sich erst vorher bei ihr anmelden lassen. Wenn die Römer auf der Straße einem vornehmen </p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0012]
unter der Zahl drei sinnbildlich ausgedrückt werden sollte. Eine Braut wurde nicht mit freiem Fuße über die Schwelle des Bräutigams gelassen, sondern hinübergehoben. Es wundert mich nicht, daß Plutarch, indem er diesen Gebrauch erwähnt, dabei die Erinnerung an den Raub der Sabinerinnen zum Grunde legt. Gesezt, es hieß von jemanden, er wäre in der Fremde gestorben, so durfte er nicht, wenn das Gerücht falsch gewesen war und er zurückkam, durch die Thüre das Haus seiner Familie betreten, sondern mußte vom Dache hineinsteigen. Dies geschah wahrscheinlich, weil es für unpassend gehalten wurde, durch dieselbe Thüre, durch welche das Todtenopfer für den Abwesenden getragen worden war, ihn nach seiner Rückkehr nun selbst hindurchschreiten zu lassen. Sehr bekannt ist, daß die römischen Frauen ihre nächsten Verwandten nicht nur küssen durften, sondern sogar küssen mußten, weil sich die Männer und die Gevatterinnen nur auf diese Weise am Geruch überzeugen konnten, ob sich die Frauen dem Weingenuß ergaben. So demüthigend diese Sitte für die Frauen war, so ehrenvoll war für sie eine andere. Kein Gatte durfte, wenn er vom Land oder von einer Reise zurückkam, ohne gegen den Anstand zu verstoßen, seine Frau plötzlich überraschen, sondern er mußte zum Beweise, daß er von der guten Aufführung seiner Gattin überzeugt war, sich erst vorher bei ihr anmelden lassen. Wenn die Römer auf der Straße einem vornehmen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/12>, abgerufen am 05.07.2024. |