Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Jch bin Mensch, ich bin Engel, ich bin nichts von beiden und in meinem Himmel so unselig, wie der Verdammten einer. Ein Handwerker wird in seinem 23sten Jahre von einem verschmitzten Volksverführer in Beschlag genommen. Sein Enthusiasmus wird von einer Seite erregt, wo seine geringe Bildung gegen Thorheiten nur eine schwache Schutzmauer entgegenstellen kann. Der Enthusiasmus ist das Gute an ihm. Warum ist der Mann in seinem 23sten Jahre noch ein Kind, warum ist sein Gutes niemals angeregt worden, warum war er erst ein gedankenloser Knabe, warum erhielt er nichts, als den neumethodischen Elementarunterricht, warum gab ihm der Priester nur die Traditionen des Glaubens, wie sie einmal festgesetzt sind, warum dämmerte der Mensch so lange in einem alltäglichen Zustande fort, bis sein guter, göttlicher Theil, der auch in seinem Herzen tief vergraben gewesene Enthusiasmus, erst von einem Jntrikanten in Beschlag genommen ward, der ihn zu einem Kinde, zu einem Thoren und unglücklich machte? Hier ist eine Lücke in unsrer modernen Bildung, die ausgefüllt werden muß, und wie wird man sie anders ausfüllen können, als durch eine radicale Verbesserung unseres Erziehungs-, Religions-, Unterrichts- und Staatensystems? Wenn sich eine Revolution denken läßt, so ist es unter diesem Gesichtspunkte. Wenn noch einmal ein Christus, ein Luther aufstehen sollte, so kann es nur der seyn, der jene chinesischen Stockwerke einreißt und der Harmonie der Bildung und des Lebens Jch bin Mensch, ich bin Engel, ich bin nichts von beiden und in meinem Himmel so unselig, wie der Verdammten einer. Ein Handwerker wird in seinem 23sten Jahre von einem verschmitzten Volksverführer in Beschlag genommen. Sein Enthusiasmus wird von einer Seite erregt, wo seine geringe Bildung gegen Thorheiten nur eine schwache Schutzmauer entgegenstellen kann. Der Enthusiasmus ist das Gute an ihm. Warum ist der Mann in seinem 23sten Jahre noch ein Kind, warum ist sein Gutes niemals angeregt worden, warum war er erst ein gedankenloser Knabe, warum erhielt er nichts, als den neumethodischen Elementarunterricht, warum gab ihm der Priester nur die Traditionen des Glaubens, wie sie einmal festgesetzt sind, warum dämmerte der Mensch so lange in einem alltäglichen Zustande fort, bis sein guter, göttlicher Theil, der auch in seinem Herzen tief vergraben gewesene Enthusiasmus, erst von einem Jntrikanten in Beschlag genommen ward, der ihn zu einem Kinde, zu einem Thoren und unglücklich machte? Hier ist eine Lücke in unsrer modernen Bildung, die ausgefüllt werden muß, und wie wird man sie anders ausfüllen können, als durch eine radicale Verbesserung unseres Erziehungs-, Religions-, Unterrichts- und Staatensystems? Wenn sich eine Revolution denken läßt, so ist es unter diesem Gesichtspunkte. Wenn noch einmal ein Christus, ein Luther aufstehen sollte, so kann es nur der seyn, der jene chinesischen Stockwerke einreißt und der Harmonie der Bildung und des Lebens <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="71"/> Jch bin Mensch, ich bin Engel, ich bin nichts von beiden und in meinem Himmel so unselig, wie der Verdammten einer. Ein Handwerker wird in seinem 23sten Jahre von einem verschmitzten Volksverführer in Beschlag genommen. Sein Enthusiasmus wird von einer Seite erregt, wo seine geringe Bildung gegen Thorheiten nur eine schwache Schutzmauer entgegenstellen kann. Der Enthusiasmus ist das Gute an ihm. Warum ist der Mann in seinem 23sten Jahre noch ein Kind, warum ist sein Gutes niemals angeregt worden, warum war er erst ein gedankenloser Knabe, warum erhielt er nichts, als den neumethodischen Elementarunterricht, warum gab ihm der Priester nur die Traditionen des Glaubens, wie sie einmal festgesetzt sind, warum dämmerte der Mensch so lange in einem alltäglichen Zustande fort, bis sein guter, göttlicher Theil, der auch in seinem Herzen tief vergraben gewesene Enthusiasmus, erst von einem Jntrikanten in Beschlag genommen ward, der ihn zu einem Kinde, zu einem Thoren und unglücklich machte? Hier ist eine Lücke in unsrer modernen Bildung, die ausgefüllt werden muß, und wie wird man sie anders ausfüllen können, als durch eine radicale Verbesserung unseres Erziehungs-, Religions-, Unterrichts- und Staatensystems? Wenn sich eine Revolution denken läßt, so ist es unter diesem Gesichtspunkte. Wenn noch einmal ein Christus, ein Luther aufstehen sollte, so kann es nur der seyn, der jene chinesischen Stockwerke einreißt und der Harmonie der Bildung und des Lebens </p> </div> </body> </text> </TEI> [71/0099]
Jch bin Mensch, ich bin Engel, ich bin nichts von beiden und in meinem Himmel so unselig, wie der Verdammten einer. Ein Handwerker wird in seinem 23sten Jahre von einem verschmitzten Volksverführer in Beschlag genommen. Sein Enthusiasmus wird von einer Seite erregt, wo seine geringe Bildung gegen Thorheiten nur eine schwache Schutzmauer entgegenstellen kann. Der Enthusiasmus ist das Gute an ihm. Warum ist der Mann in seinem 23sten Jahre noch ein Kind, warum ist sein Gutes niemals angeregt worden, warum war er erst ein gedankenloser Knabe, warum erhielt er nichts, als den neumethodischen Elementarunterricht, warum gab ihm der Priester nur die Traditionen des Glaubens, wie sie einmal festgesetzt sind, warum dämmerte der Mensch so lange in einem alltäglichen Zustande fort, bis sein guter, göttlicher Theil, der auch in seinem Herzen tief vergraben gewesene Enthusiasmus, erst von einem Jntrikanten in Beschlag genommen ward, der ihn zu einem Kinde, zu einem Thoren und unglücklich machte? Hier ist eine Lücke in unsrer modernen Bildung, die ausgefüllt werden muß, und wie wird man sie anders ausfüllen können, als durch eine radicale Verbesserung unseres Erziehungs-, Religions-, Unterrichts- und Staatensystems? Wenn sich eine Revolution denken läßt, so ist es unter diesem Gesichtspunkte. Wenn noch einmal ein Christus, ein Luther aufstehen sollte, so kann es nur der seyn, der jene chinesischen Stockwerke einreißt und der Harmonie der Bildung und des Lebens
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/99>, abgerufen am 27.07.2024. |