Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.oder jener männlichen Personnage gelingen konnte, ein Weib zu bekommen. Der Grund lag darin, daß sie so glücklich war, einem Mädchen, das zum ersten Male einen Mann betrachtete, gerade in diesem Momente zu begegnen. Schont man die Verlegenheit des armen Kindes, so hat man sein Herz gewonnen. Welch' ein Unterschied gegen die Liebe des Calculs, die gerade dadurch angefacht wird, daß man sie verletzt! Die besten Hausfrauen werden durch die erste Liebesgattung, welches man statt der moralischen die eigentlich physische Liebe nennen sollte, erzogen. Aber ebenso auch ergeben sich die unglücklichsten Ehen aus ihr. Ein Wesen, das gleichgültig von ihrer Puppe zur Freundin, von dieser zum Geliebten übergeht und dabei auch recht gern die Wärme haben kann, welche die Ahnung des Rechten und die Seligkeit des Besitzes erzeugt, wird leicht die Liebe als etwas Natürliches betrachten, da man sich fortdauernd doch nur auf übernatürliche, mehr himmlische als irdische Weise lieben kann. So einfach der Ursprung des Verhältnisses war, so einfach wird auch der Maßstab, den das Weib an sich zu legen duldet, da doch alle Welt bezeugen wird, daß nichts so complicirt ist, ja in der That nichts so schwer, als sich ohne Wankelmuth ausdauernd zu lieben. Den Mann beglückt der Gedanke, daß er in den Gegenständen seiner Liebe eine Revolution anstiftet, daß für sein Weib ein neues Leben beginne, und es sich oft besinnen wird: ist es ein Traum, oder ist es denn Wahrheit? Dieß Gefühl kömmt oder jener männlichen Personnage gelingen konnte, ein Weib zu bekommen. Der Grund lag darin, daß sie so glücklich war, einem Mädchen, das zum ersten Male einen Mann betrachtete, gerade in diesem Momente zu begegnen. Schont man die Verlegenheit des armen Kindes, so hat man sein Herz gewonnen. Welch’ ein Unterschied gegen die Liebe des Calculs, die gerade dadurch angefacht wird, daß man sie verletzt! Die besten Hausfrauen werden durch die erste Liebesgattung, welches man statt der moralischen die eigentlich physische Liebe nennen sollte, erzogen. Aber ebenso auch ergeben sich die unglücklichsten Ehen aus ihr. Ein Wesen, das gleichgültig von ihrer Puppe zur Freundin, von dieser zum Geliebten übergeht und dabei auch recht gern die Wärme haben kann, welche die Ahnung des Rechten und die Seligkeit des Besitzes erzeugt, wird leicht die Liebe als etwas Natürliches betrachten, da man sich fortdauernd doch nur auf übernatürliche, mehr himmlische als irdische Weise lieben kann. So einfach der Ursprung des Verhältnisses war, so einfach wird auch der Maßstab, den das Weib an sich zu legen duldet, da doch alle Welt bezeugen wird, daß nichts so complicirt ist, ja in der That nichts so schwer, als sich ohne Wankelmuth ausdauernd zu lieben. Den Mann beglückt der Gedanke, daß er in den Gegenständen seiner Liebe eine Revolution anstiftet, daß für sein Weib ein neues Leben beginne, und es sich oft besinnen wird: ist es ein Traum, oder ist es denn Wahrheit? Dieß Gefühl kömmt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0075" n="47"/> oder jener männlichen Personnage gelingen konnte, ein Weib zu bekommen. Der Grund lag darin, daß sie so glücklich war, einem Mädchen, das zum ersten Male einen Mann betrachtete, gerade in diesem Momente zu begegnen. Schont man die Verlegenheit des armen Kindes, so hat man sein Herz gewonnen. Welch’ ein Unterschied gegen die Liebe des Calculs, die gerade dadurch angefacht wird, daß man sie verletzt!</p> <p>Die besten Hausfrauen werden durch die erste Liebesgattung, welches man statt der moralischen die eigentlich physische Liebe nennen sollte, erzogen. Aber ebenso auch ergeben sich die unglücklichsten Ehen aus ihr. Ein Wesen, das gleichgültig von ihrer Puppe zur Freundin, von dieser zum Geliebten übergeht und dabei auch recht gern die Wärme haben kann, welche die Ahnung des Rechten und die Seligkeit des Besitzes erzeugt, wird leicht die Liebe als etwas Natürliches betrachten, da man sich fortdauernd doch nur auf übernatürliche, mehr himmlische als irdische Weise lieben kann. So einfach der Ursprung des Verhältnisses war, so einfach wird auch der Maßstab, den das Weib an sich zu legen duldet, da doch alle Welt bezeugen wird, daß nichts so complicirt ist, ja in der That nichts so schwer, als sich ohne Wankelmuth ausdauernd zu lieben. Den Mann beglückt der Gedanke, daß er in den Gegenständen seiner Liebe eine Revolution anstiftet, daß für sein Weib ein neues Leben beginne, und es sich oft besinnen wird: ist es ein Traum, oder ist es denn Wahrheit? Dieß Gefühl kömmt </p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0075]
oder jener männlichen Personnage gelingen konnte, ein Weib zu bekommen. Der Grund lag darin, daß sie so glücklich war, einem Mädchen, das zum ersten Male einen Mann betrachtete, gerade in diesem Momente zu begegnen. Schont man die Verlegenheit des armen Kindes, so hat man sein Herz gewonnen. Welch’ ein Unterschied gegen die Liebe des Calculs, die gerade dadurch angefacht wird, daß man sie verletzt!
Die besten Hausfrauen werden durch die erste Liebesgattung, welches man statt der moralischen die eigentlich physische Liebe nennen sollte, erzogen. Aber ebenso auch ergeben sich die unglücklichsten Ehen aus ihr. Ein Wesen, das gleichgültig von ihrer Puppe zur Freundin, von dieser zum Geliebten übergeht und dabei auch recht gern die Wärme haben kann, welche die Ahnung des Rechten und die Seligkeit des Besitzes erzeugt, wird leicht die Liebe als etwas Natürliches betrachten, da man sich fortdauernd doch nur auf übernatürliche, mehr himmlische als irdische Weise lieben kann. So einfach der Ursprung des Verhältnisses war, so einfach wird auch der Maßstab, den das Weib an sich zu legen duldet, da doch alle Welt bezeugen wird, daß nichts so complicirt ist, ja in der That nichts so schwer, als sich ohne Wankelmuth ausdauernd zu lieben. Den Mann beglückt der Gedanke, daß er in den Gegenständen seiner Liebe eine Revolution anstiftet, daß für sein Weib ein neues Leben beginne, und es sich oft besinnen wird: ist es ein Traum, oder ist es denn Wahrheit? Dieß Gefühl kömmt
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/75>, abgerufen am 27.07.2024. |