Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.auch, daß wenn kleine Kinder zum ersten Male in die Schule gebracht werden, einige von ihren künftigen Kameraden heranzurücken pflegen und allerhand zärtliche, von ältern Personen nur sonst gebrauchte Ausdrücke an sie richten. Dieß tröstete mich aber nicht. Jch sah in ein Lesebuch, das ich mitbringen mußte, und verstand nicht ein Wort, ich hörte, daß vor mir Einer nach dem Andern auftrat und aus dem Buche Etwas hersagen konnte: ich konnt' es nicht, ich war außer mir vor Angst, schrie auf und sagte zitternd zum Lehrer, daß ich ja noch nicht einmal lesen könne! Der gute Mann beruhigte mich und hat gewiß über meine Furcht vor den Wissenschaften innerlich lachen müssen. Noch bleibt aber dem Knaben zuweilen Zeit zum Spiele. Das Spiel ist massenhaft, es ist von kriegerischem Geiste beseelt, war es wenigstens, so lange noch auf den Straßen Pamphlets gegen Napoleon ausgerufen wurden. Man hatte die Wahl, entweder im Garten des Vaters das Beet zu bepflanzen, welches Erbeigenthum des kleinen Pachters wurde, oder draußen auf den Plätzen sich den Freiwilligen anzuschließen, die unter dem edeln Herzog fechten wollten oder der kaiserlichen Garde, später den Griechen oder den Türken. Diese Spiele scheinen sich aber verloren zu haben mit den Congressen von Verona und Aachen und werden schwerlich durch die Quadrupelallianz wieder belebt werden. Jm Gegentheil werden die Stimmungen unsrer Jugend immer friedlicher, so daß man glauben möchte, sie wollten auch, daß wenn kleine Kinder zum ersten Male in die Schule gebracht werden, einige von ihren künftigen Kameraden heranzurücken pflegen und allerhand zärtliche, von ältern Personen nur sonst gebrauchte Ausdrücke an sie richten. Dieß tröstete mich aber nicht. Jch sah in ein Lesebuch, das ich mitbringen mußte, und verstand nicht ein Wort, ich hörte, daß vor mir Einer nach dem Andern auftrat und aus dem Buche Etwas hersagen konnte: ich konnt’ es nicht, ich war außer mir vor Angst, schrie auf und sagte zitternd zum Lehrer, daß ich ja noch nicht einmal lesen könne! Der gute Mann beruhigte mich und hat gewiß über meine Furcht vor den Wissenschaften innerlich lachen müssen. Noch bleibt aber dem Knaben zuweilen Zeit zum Spiele. Das Spiel ist massenhaft, es ist von kriegerischem Geiste beseelt, war es wenigstens, so lange noch auf den Straßen Pamphlets gegen Napoleon ausgerufen wurden. Man hatte die Wahl, entweder im Garten des Vaters das Beet zu bepflanzen, welches Erbeigenthum des kleinen Pachters wurde, oder draußen auf den Plätzen sich den Freiwilligen anzuschließen, die unter dem edeln Herzog fechten wollten oder der kaiserlichen Garde, später den Griechen oder den Türken. Diese Spiele scheinen sich aber verloren zu haben mit den Congressen von Verona und Aachen und werden schwerlich durch die Quadrupelallianz wieder belebt werden. Jm Gegentheil werden die Stimmungen unsrer Jugend immer friedlicher, so daß man glauben möchte, sie wollten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="18"/> auch, daß wenn kleine Kinder zum ersten Male in die Schule gebracht werden, einige von ihren künftigen Kameraden heranzurücken pflegen und allerhand zärtliche, von ältern Personen nur sonst gebrauchte Ausdrücke an sie richten. Dieß tröstete mich aber nicht. Jch sah in ein Lesebuch, das ich mitbringen mußte, und verstand nicht ein Wort, ich hörte, daß vor mir Einer nach dem Andern auftrat und aus dem Buche Etwas hersagen konnte: ich konnt’ es nicht, ich war außer mir vor Angst, schrie auf und sagte zitternd zum Lehrer, daß ich ja noch nicht einmal lesen könne! Der gute Mann beruhigte mich und hat gewiß über meine Furcht vor den Wissenschaften innerlich lachen müssen.</p> <p>Noch bleibt aber dem Knaben zuweilen Zeit zum Spiele. Das Spiel ist massenhaft, es ist von kriegerischem Geiste beseelt, war es wenigstens, so lange noch auf den Straßen Pamphlets gegen Napoleon ausgerufen wurden. Man hatte die Wahl, entweder im Garten des Vaters das Beet zu bepflanzen, welches Erbeigenthum des kleinen Pachters wurde, oder draußen auf den Plätzen sich den Freiwilligen anzuschließen, die unter dem edeln Herzog fechten wollten oder der kaiserlichen Garde, später den Griechen oder den Türken. Diese Spiele scheinen sich aber verloren zu haben mit den Congressen von Verona und Aachen und werden schwerlich durch die Quadrupelallianz wieder belebt werden. Jm Gegentheil werden die Stimmungen unsrer Jugend immer friedlicher, so daß man glauben möchte, sie wollten </p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0046]
auch, daß wenn kleine Kinder zum ersten Male in die Schule gebracht werden, einige von ihren künftigen Kameraden heranzurücken pflegen und allerhand zärtliche, von ältern Personen nur sonst gebrauchte Ausdrücke an sie richten. Dieß tröstete mich aber nicht. Jch sah in ein Lesebuch, das ich mitbringen mußte, und verstand nicht ein Wort, ich hörte, daß vor mir Einer nach dem Andern auftrat und aus dem Buche Etwas hersagen konnte: ich konnt’ es nicht, ich war außer mir vor Angst, schrie auf und sagte zitternd zum Lehrer, daß ich ja noch nicht einmal lesen könne! Der gute Mann beruhigte mich und hat gewiß über meine Furcht vor den Wissenschaften innerlich lachen müssen.
Noch bleibt aber dem Knaben zuweilen Zeit zum Spiele. Das Spiel ist massenhaft, es ist von kriegerischem Geiste beseelt, war es wenigstens, so lange noch auf den Straßen Pamphlets gegen Napoleon ausgerufen wurden. Man hatte die Wahl, entweder im Garten des Vaters das Beet zu bepflanzen, welches Erbeigenthum des kleinen Pachters wurde, oder draußen auf den Plätzen sich den Freiwilligen anzuschließen, die unter dem edeln Herzog fechten wollten oder der kaiserlichen Garde, später den Griechen oder den Türken. Diese Spiele scheinen sich aber verloren zu haben mit den Congressen von Verona und Aachen und werden schwerlich durch die Quadrupelallianz wieder belebt werden. Jm Gegentheil werden die Stimmungen unsrer Jugend immer friedlicher, so daß man glauben möchte, sie wollten
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/46>, abgerufen am 16.02.2025. |