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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Doktrinären so dringend gemachte Nothwendigkeit einer Reform des Unterrichtswesens ihnen Ehre macht; allein bis jetzt war der Primär- und Secundärunterricht nur ihr Paradepferd, das sie einen feierlichen Umzug durch die Kammer halten lassen, wenn sie andeuten wollen, daß sie nicht blos für die materiellen, sondern auch moralischen Jnteressen Frankreichs sorgen. Die Reform des Unterrichtswesens glänzt zur Zeit noch weit mehr in der Thronrede als in der Wirklichkeit. Jn dem Augenblicke, wo dieß geschrieben wird, ist die Kammer mit der Diskussion eines schon vor einem Jahre eingebrachten den Unterricht betreffenden Gesetzentwurfes beschäftigt. Die Opposition findet an den Vorschlägen Guizots zuviel Centraldespotismus, zuviel Erinnerung an jene Napoleonischen Lyceal- und Universitätseinrichtungen, aus denen die Censoren hervorgingen und später, da sie die Restauration beibehielt, die Jesuiten. Wenn es jedoch Guizot mit seinem Gesetzentwurfe dahin bringt, daß erstens die Unterlehrer mehr Ausdehnung gewinnen, um dem Volke Lesen und Schreiben zu lehren, und zweitens die Oberlehrer weniger Ehrgeiz verspüren, sich in die Staatscarriere zu werfen, dann wird kein billig Denkender gegen seine Vorschläge etwas einwenden.

Jn Deutschland endlich befindet sich niederer und höherer Unterricht auf einer außerordentlichen Stufe; dennoch ist diese gebildete, so vortrefflich lesende und schreibende Nation fortwährend in pädagogischen Streitigkeiten verwickelt. Jährlich stehen Reformatoren der

Doktrinären so dringend gemachte Nothwendigkeit einer Reform des Unterrichtswesens ihnen Ehre macht; allein bis jetzt war der Primär- und Secundärunterricht nur ihr Paradepferd, das sie einen feierlichen Umzug durch die Kammer halten lassen, wenn sie andeuten wollen, daß sie nicht blos für die materiellen, sondern auch moralischen Jnteressen Frankreichs sorgen. Die Reform des Unterrichtswesens glänzt zur Zeit noch weit mehr in der Thronrede als in der Wirklichkeit. Jn dem Augenblicke, wo dieß geschrieben wird, ist die Kammer mit der Diskussion eines schon vor einem Jahre eingebrachten den Unterricht betreffenden Gesetzentwurfes beschäftigt. Die Opposition findet an den Vorschlägen Guizots zuviel Centraldespotismus, zuviel Erinnerung an jene Napoleonischen Lyceal- und Universitätseinrichtungen, aus denen die Censoren hervorgingen und später, da sie die Restauration beibehielt, die Jesuiten. Wenn es jedoch Guizot mit seinem Gesetzentwurfe dahin bringt, daß erstens die Unterlehrer mehr Ausdehnung gewinnen, um dem Volke Lesen und Schreiben zu lehren, und zweitens die Oberlehrer weniger Ehrgeiz verspüren, sich in die Staatscarriere zu werfen, dann wird kein billig Denkender gegen seine Vorschläge etwas einwenden.

Jn Deutschland endlich befindet sich niederer und höherer Unterricht auf einer außerordentlichen Stufe; dennoch ist diese gebildete, so vortrefflich lesende und schreibende Nation fortwährend in pädagogischen Streitigkeiten verwickelt. Jährlich stehen Reformatoren der

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Doktrinären so dringend gemachte Nothwendigkeit einer Reform des Unterrichtswesens ihnen Ehre macht; allein bis jetzt war der Primär- und Secundärunterricht nur ihr Paradepferd, das sie einen feierlichen Umzug durch die Kammer halten lassen, wenn sie andeuten wollen, daß sie nicht blos für die materiellen, sondern auch moralischen Jnteressen Frankreichs sorgen. Die Reform des Unterrichtswesens glänzt zur Zeit noch weit mehr in der Thronrede als in der Wirklichkeit. Jn dem Augenblicke, wo dieß geschrieben wird, ist die Kammer mit der Diskussion eines schon vor einem Jahre eingebrachten den Unterricht betreffenden Gesetzentwurfes beschäftigt. Die Opposition findet an den Vorschlägen Guizots zuviel Centraldespotismus, zuviel Erinnerung an jene Napoleonischen Lyceal- und Universitätseinrichtungen, aus denen die Censoren hervorgingen und später, da sie die Restauration beibehielt, die Jesuiten. Wenn es jedoch Guizot mit seinem Gesetzentwurfe dahin bringt, daß erstens die Unterlehrer mehr Ausdehnung gewinnen, um dem Volke Lesen und Schreiben zu lehren, und zweitens die Oberlehrer weniger Ehrgeiz verspüren, sich in die Staatscarriere zu werfen, dann wird kein billig Denkender gegen seine Vorschläge etwas einwenden.</p>
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[407/0435] Doktrinären so dringend gemachte Nothwendigkeit einer Reform des Unterrichtswesens ihnen Ehre macht; allein bis jetzt war der Primär- und Secundärunterricht nur ihr Paradepferd, das sie einen feierlichen Umzug durch die Kammer halten lassen, wenn sie andeuten wollen, daß sie nicht blos für die materiellen, sondern auch moralischen Jnteressen Frankreichs sorgen. Die Reform des Unterrichtswesens glänzt zur Zeit noch weit mehr in der Thronrede als in der Wirklichkeit. Jn dem Augenblicke, wo dieß geschrieben wird, ist die Kammer mit der Diskussion eines schon vor einem Jahre eingebrachten den Unterricht betreffenden Gesetzentwurfes beschäftigt. Die Opposition findet an den Vorschlägen Guizots zuviel Centraldespotismus, zuviel Erinnerung an jene Napoleonischen Lyceal- und Universitätseinrichtungen, aus denen die Censoren hervorgingen und später, da sie die Restauration beibehielt, die Jesuiten. Wenn es jedoch Guizot mit seinem Gesetzentwurfe dahin bringt, daß erstens die Unterlehrer mehr Ausdehnung gewinnen, um dem Volke Lesen und Schreiben zu lehren, und zweitens die Oberlehrer weniger Ehrgeiz verspüren, sich in die Staatscarriere zu werfen, dann wird kein billig Denkender gegen seine Vorschläge etwas einwenden. Jn Deutschland endlich befindet sich niederer und höherer Unterricht auf einer außerordentlichen Stufe; dennoch ist diese gebildete, so vortrefflich lesende und schreibende Nation fortwährend in pädagogischen Streitigkeiten verwickelt. Jährlich stehen Reformatoren der

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/435>, abgerufen am 01.09.2024.