Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.sind, geben die weisen Männer nicht zu und vertheidigen ihre Mixturen gegen ein neues aus Deutschland über Paris zu uns gekommenes System der einfachen Arzneimittel mit einer Hartnäckigkeit, deren guten Grund ich, weil ich ein schlechter Mediciner bin, nicht antasten will. Aber alle medicinische Fakultäten mögen mir wenigstens erlauben, ihr Princip eben so sonderbar zu nennen, wie das, wovon unsre neue Geistesheilkunde, die Pädagogik, geleitet wird. Die jetzigen Erzieher rechnen auf die moralische Kraft der Wissenschaften, die ihnen von selbst inwohne. Sie lehren die Tugend zu gleicher Zeit mit dem Schönschreiben. Jhre Vorschriften sind eben so für die Verbesserung der Handschrift als des Herzens berechnet. Man nimmt die Einleitung zu den Naturwissenschaften aus dem ersten Buch Mosis her. Das Eine soll das Fieber, das Andere die Verstopfung heilen. Jch glaube, es ist hier wie bei allen Kranken. Die schlechte Arznei macht nur, daß der noch gesunde Theil des Menschen sich in ihm empört, und die eigne innere Heilkraft wieder die Oberhand gewinnt. So werden wir nicht deßhalb gut, weil wir soviel gelernt haben, sondern wir werden es, trotz dem, daß wir so viel lernen mußten. Jch bin davon überzeugt, daß unsre Zeit weit mehr Laster erzeugt, als das Alterthum und die Zeiten der Barbarei. Wir haben mehr Ordnung, als in der Völkerwanderung herrschte; aber unsre Tugenden sind nicht nur, was schon lasterhaft genug ist, passiver Natur; sondern an sind, geben die weisen Männer nicht zu und vertheidigen ihre Mixturen gegen ein neues aus Deutschland über Paris zu uns gekommenes System der einfachen Arzneimittel mit einer Hartnäckigkeit, deren guten Grund ich, weil ich ein schlechter Mediciner bin, nicht antasten will. Aber alle medicinische Fakultäten mögen mir wenigstens erlauben, ihr Princip eben so sonderbar zu nennen, wie das, wovon unsre neue Geistesheilkunde, die Pädagogik, geleitet wird. Die jetzigen Erzieher rechnen auf die moralische Kraft der Wissenschaften, die ihnen von selbst inwohne. Sie lehren die Tugend zu gleicher Zeit mit dem Schönschreiben. Jhre Vorschriften sind eben so für die Verbesserung der Handschrift als des Herzens berechnet. Man nimmt die Einleitung zu den Naturwissenschaften aus dem ersten Buch Mosis her. Das Eine soll das Fieber, das Andere die Verstopfung heilen. Jch glaube, es ist hier wie bei allen Kranken. Die schlechte Arznei macht nur, daß der noch gesunde Theil des Menschen sich in ihm empört, und die eigne innere Heilkraft wieder die Oberhand gewinnt. So werden wir nicht deßhalb gut, weil wir soviel gelernt haben, sondern wir werden es, trotz dem, daß wir so viel lernen mußten. Jch bin davon überzeugt, daß unsre Zeit weit mehr Laster erzeugt, als das Alterthum und die Zeiten der Barbarei. Wir haben mehr Ordnung, als in der Völkerwanderung herrschte; aber unsre Tugenden sind nicht nur, was schon lasterhaft genug ist, passiver Natur; sondern an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0408" n="380"/> sind, geben die weisen Männer nicht zu und vertheidigen ihre Mixturen gegen ein neues aus Deutschland über Paris zu uns gekommenes System der <hi rendition="#g">einfachen</hi> Arzneimittel mit einer Hartnäckigkeit, deren guten Grund ich, weil ich ein schlechter Mediciner bin, nicht antasten will. Aber alle medicinische Fakultäten mögen mir wenigstens erlauben, ihr Princip eben so sonderbar zu nennen, wie das, wovon unsre neue Geistesheilkunde, die Pädagogik, geleitet wird. Die jetzigen Erzieher rechnen auf die moralische Kraft der Wissenschaften, die ihnen von <hi rendition="#g">selbst</hi> inwohne. Sie lehren die Tugend zu gleicher Zeit mit dem Schönschreiben. Jhre Vorschriften sind eben so für die Verbesserung der Handschrift als des Herzens berechnet. Man nimmt die Einleitung zu den Naturwissenschaften aus dem ersten Buch Mosis her. Das Eine soll das Fieber, das Andere die Verstopfung heilen. Jch glaube, es ist hier wie bei allen Kranken. Die schlechte Arznei macht nur, daß der noch gesunde Theil des Menschen sich in ihm empört, und die eigne innere Heilkraft wieder die Oberhand gewinnt. So werden wir nicht deßhalb gut, <hi rendition="#g">weil</hi> wir soviel gelernt haben, sondern wir werden es, <hi rendition="#g">trotz dem</hi>, daß wir so viel lernen mußten.</p> <p>Jch bin davon überzeugt, daß unsre Zeit weit mehr Laster erzeugt, als das Alterthum und die Zeiten der Barbarei. Wir haben mehr Ordnung, als in der Völkerwanderung herrschte; aber unsre Tugenden sind nicht nur, was schon lasterhaft genug ist, passiver Natur; sondern an </p> </div> </body> </text> </TEI> [380/0408]
sind, geben die weisen Männer nicht zu und vertheidigen ihre Mixturen gegen ein neues aus Deutschland über Paris zu uns gekommenes System der einfachen Arzneimittel mit einer Hartnäckigkeit, deren guten Grund ich, weil ich ein schlechter Mediciner bin, nicht antasten will. Aber alle medicinische Fakultäten mögen mir wenigstens erlauben, ihr Princip eben so sonderbar zu nennen, wie das, wovon unsre neue Geistesheilkunde, die Pädagogik, geleitet wird. Die jetzigen Erzieher rechnen auf die moralische Kraft der Wissenschaften, die ihnen von selbst inwohne. Sie lehren die Tugend zu gleicher Zeit mit dem Schönschreiben. Jhre Vorschriften sind eben so für die Verbesserung der Handschrift als des Herzens berechnet. Man nimmt die Einleitung zu den Naturwissenschaften aus dem ersten Buch Mosis her. Das Eine soll das Fieber, das Andere die Verstopfung heilen. Jch glaube, es ist hier wie bei allen Kranken. Die schlechte Arznei macht nur, daß der noch gesunde Theil des Menschen sich in ihm empört, und die eigne innere Heilkraft wieder die Oberhand gewinnt. So werden wir nicht deßhalb gut, weil wir soviel gelernt haben, sondern wir werden es, trotz dem, daß wir so viel lernen mußten.
Jch bin davon überzeugt, daß unsre Zeit weit mehr Laster erzeugt, als das Alterthum und die Zeiten der Barbarei. Wir haben mehr Ordnung, als in der Völkerwanderung herrschte; aber unsre Tugenden sind nicht nur, was schon lasterhaft genug ist, passiver Natur; sondern an
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/408>, abgerufen am 28.07.2024. |